Hanka.

26. Oktober 2014

Heute ist mir im Nachbardorf Hanka wieder begegnet. Die junge polnische Adlige, Mutter eines kleinen Mädchens, hochgebildet, fünfsprachig, nachdenklich, kritisch.

 

Zu kritisch für ihre Zeit. 1941 wird sie mit den falschen Unterlagen im Gepäck bei einer Straßenrazzia der Nazis in Wilna erwischt und verhaftet, sie kommt ins Gefängnis, dann ins KZ. Schließlich landet sie als Hausmädchen in Frankreich bei einer deutschen Familie, dann geht es zurück ins KZ Ravensbrück, dann hier zu uns in den Odenwald. Wieder Zwangsarbeit.

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Aber offenbar haben es Menschen hier – wenn ich das richtig verstehe – gut gemeint mit der jungen Frau. Man kennt die Hanka. An Wochenenden hat sie frei, fährt ins Nachbardorf, übernachtet bei einer Familie.

An einem kalten Februarabend 1945 wird Hanka als Dolmetscherin zu Verhandlungen ins Wagenschwender Gasthaus Linde geholt, irgendwie eskaliert die Situation, es fallen Schüsse, Hanka wird getroffen und stirbt. 25 Jahre ist sie alt.

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Die junge polnische Zwangsarbeiterin wird auf dem Friedhof zwischen Balsbach und Wagenschwend begraben. Die meisten Namen all jener Familien, die damals mit Hanka zu tun hatten, so oder so, die gibt es bis heute im Dorf und in der Region.

Seit Jahrzehnten kümmern sich Frauen aus dem Dorf um das Grab. Seit einiger Zeit widmet auch das kleine Wagenschwender Dorfmuseum der Geschichte der jungen Polin eine eigene, kleine Abteilung. Ein paar schlichte Stellwände, ein paar angepinnte DIN-A-4-Blätter, Dokumente, Fotos. Mitglieder des Museumsvereins haben akribisch recherchiert, organisieren Vorträge, haben vor einigen Jahren Hankas Tochter in den Odenwald eingeladen. Geschichte hautnah. Ohne öffentliche Gelder, dafür mit umsomehr Engagement. Tief in der vermeintlichen Provinz.

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Ich komme fast täglich am Friedhof vorbei. Jetzt im Winter morgens mit den Hunden. Stockfinster ist es dann noch, aber oft gehe ich die paar Schritte vom Weg auf den Friedhof zu Hankas Grab und leuchte es mit der Taschenlampe an.

 

Der Grabstein als Symbol für die mitunter komplette Idiotie der Geschichte. Und als Symbol dafür, wie man mit dieser Geschichte – schlicht und ergreifend – umgehen kann.

 

 

 

 

 

P.S. Leider habe ich im Internet keinen MuseumsLink gefunden, der die Bemühungen des Wagenschwender Dorfmuseums um die Geschichte der jungen Polin erwähnen würde. Falls Sie sich aber generell für Öffnungszeiten und Kontakt zum Museum interessieren: HIER.

 

Und über die ehrenamtliche Grabpflege hatten wir HIER schon mal berichtet.

 

 

Und falls Sie – ganz generell – wissen wollen, wieso man an einem schönen Sonntagnachmittag ausgerechnet in ein Dorfmuseum gehen sollte: Weil es sich immer lohnt. Davon hatten wir es neulich – ganz generell –  HIER schon mal.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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