Auf einem Friedhof in Warschau findet heute eine Art Staatsbegräbnis statt. Und wenn ich das richtig verstanden habe, sind alle dabei, die in Polen Rang und Namen haben, Politiker, Militärs, von heute, von früher. Bestimmt werden Reden gehalten und vielleicht Fahnen geschwenkt, und irgendein wichtiges polnisches Orchester macht die dementsprechende Musik dazu, alles wird im besten Sinn des Wortes sehr erhaben sein, so stelle ich mir das zumindest vor.
Auch ein Ehepaar aus unserem winzigen Nachbardorf ist dabei, bei diesem Warschauer Staatsbegräbnis, zwei Odenwälder aus dem tiefsten nordbadischen Hinterland. Weil das Weltgeschehen eben manchmal merkwürdige Wege geht. Und weil manchmal daraus Beziehungen und Verbindungen entstehen, die bleiben. Und sei es nur gedanklich.
Bestattet werden also heute in Warschau die sterblichen Überreste von Zygmunt Szendzielarz. Szendzielarz war im 2. Weltkrieg im Widerstand, er gehörte zu einer Partisanen-Einheit, die an allen Fronten kämpfte, gegen die Deutschen, gegen die Russen. Nach Kriegsende verschwand Szendzielarz in den Untergrund, wurde 1948 von den Russen verhaftet, eingesperrt und gefoltert. Schlußendlich, 1951, wurde der damals gerademal 40jährige zum Tode verurteilt, umgebracht und irgendwo in einem Massengrab verscharrt.
Seine Frau Hanka, die Mutter seiner Tochter, lebte da schon nicht mehr. 1941 war sie in Wilna bei einer Straßenrazzia den Nazis in die Hände gefallen, war verhaftet und in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager gebracht worden. Hanka landete auf Umwegen als Zwangsarbeiterin im Odenwald, hier haben wir schon mal darüber berichtet. Sie war offenbar geachtet hier, die junge polnische Adlige, die fünf Sprachen beherrschte, sie ging bei mehreren Familien ein und aus, hatte Freunde. Und vermutlich eine unstillbare Sehnsucht nach ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann Zygmunt.
Im Februar 1945 wurde Hanka bei einer Schießerei im Dorf getötet, sie war mehr oder weniger durch Zufall in den Kugelhagel geraten. Auf unserem kleinen Friedhof liegt sie begraben, das Grab wird bis heute gepflegt von den Frauen des Dorfes. Vor ein paar Jahren haben die Odenwälder Hankas und Zygmunts Tochter ausfindig gemacht und eingeladen, sie kam tatsächlich zu Besuch, um das Grab der Mutter zu sehen und von ihrem Vater zu erzählen.
Ich frage mich, ob Zygmunt überhaupt wusste, wo seine Frau abgeblieben war nach ihrer Verhaftung damals in Wilna, oder ob er an jenem Morgen 1941 das letzte Mal von ihr gesehen und gehört hat. Und ob er, als er da in seiner Todeszelle auf die Hinrichtung wartete, 1951, ob er da gewußt hat, dass seine Frau schon tot ist, begraben irgendwo in einem Nest im Odenwald. Ob er geahnt hat, dass ihr Andenken auch 60 Jahre später noch bewahrt wird, von einem klitzekleinen Odenwälder Heimat- und Museumsverein.
2013 haben Wissenschaftler und Historiker bei ihrer Suche die Knochen von Zygmunt Szendzielarz im besagten Massengrab identifiziert, da war er schon lange rehabilitiert und hoch geehrt, der polnische Staat hatte ihm zuletzt 2007 posthum den höchsten Orden des Landes, den Polonia Restituta, verliehen. Hier kann man die Geschichte nochmal nachlesen, auf Englisch leider nur, aber immerhin.
Heute nun also werden auf einem Friedhof in Warschau diese Überreste in ein eigenes Grab bestattet, in einer Art Staatsbegräbnis, mit allem, was dazugehört. Und mit Gästen aus dem Odenwald, die weder Hanka noch Zygmunt je gekannt haben und ihnen doch, auf irgendeine merkwürdige Weise, sehr vertraut sind. Vielleicht überbringen sie in Gedanken Grüße von Hanka, das klingt zwar furchtbar kitschig, aber irgendwie erschiene es mir passend. Und vielleicht gehe ich heute mal den Hügel rauf zu Hankas Grab und erzähle ihr, umgekehrt, vom Staatsbegräbnis in Warschau.
Zu Hankas Geschichte hat der Museumsverein im vergangenen Jahr ein kleines Büchlein herausgebracht. Wer sich dafür interessiert, oder einfach die Arbeit des Vereins unterstützen möchte, findet die Bezugsquelle hier am Ende des Beitrags.
berührend die geschichte. und doch…. wünschte ich mir, hanka und zymunt hätten leben dürfen, mit ihrer tochter, und wären ungenannt in der geschichte versunken. wunderbar, aber,….. da sie das leben nicht haben durften, dass man ihnen nachspürt und auch nachtrauert.
Wir das Ehepaar aus dem tiefsten odenwald zur Zeit in warschau waren beim Staatsbegräbnis mit dabei an vorderster Stelle. Es war eine beindruckende Trauerfeier mit trauermarsch von 3 km zum powatzifriedhof. Wir odenwälder hinter dem Sarg und vor dem Staatspräsidenten geht unter die Haut und ist eine einmalige Geschichte für das Museum in Wagenschwend, wo man die Geschichte nachlesen kann.
Großartig, dass Ihr diese Reise gemacht habt und dabeiwart!!
Eine Geschichte die anrührt und berührt!!
Es ist gerade in dieser jetzigen Zeit wichtig, daß solche Menschen nicht vergessen sind.