Nein, ich habe immernoch keinen einzigen Flüchtling gesehen hier bei uns, ich kenne das alles weiterhin nur aus den Nachrichten, sagt der Freund aus dem schicken Frankfurter Innenstadtviertel am Telefon. Erzählt doch mal, wie das so geht. Ein altbekanntes Thema, in der Großstadt kann ich dem Problem aus dem Weg gehen und es ausschließlich vom Sofa aus verfolgen, wir hatten es hier schon einmal davon.

Hier in der Provinz trifft man sie vielerorts, die Geflüchteten, sie stehen morgens in großen Trauben vor den Unterrichtsräumen der Volkshochschule, Deutschbücher unter dem Arm, sie sind mit Fahrrädern unterwegs, treffen sich an den Plätzen mit öffentlichem wlan, kaufen ein im Supermarkt.

Und sie sind auf vielen Weihnachtsmärkten in der Region dabei. In dieser Gegend, die gerne, halb abschätzig, halb bewundernd, als Besonders Christliches Hinterland bezeichnet wird und in der auf den Weihnachtsmärkten schon mal der Nikolaus erscheint, nicht als dickbäuchiger Alter mit Rauschebart und HoHoHo, sondern als Heiliger und Bischof, mit Hirtenstab und Mitra.

Mit eigenen Ständen sind die Flüchtlinge hier dabei, unterstützt von einheimischen Helfern. Sie verkaufen irgendwelche weihnachtlichen Sachen, selbstgebastelt, es gibt syrische oder afghanische Spezialitäten, dazu Gespräche und Informationen über die Herkunftsländer, über Krieg und Flucht.

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Im kleinen Osterburken haben die Flüchtlinge im katholischen Bernardussaal eine Fotoausstellung organisiert, die jungen Männer aus Kabul, aus Damaskus und Aleppo haben mit ihren Handies alles festgehalten, was ihnen bemerkenswert erscheint im kleinen deutschen Städtchen und auch drumherum. Herbstlich gefärbter Laubwald, der blitzeblank-gepflasterte Parkplatz am Einkaufszentrum, Bildstöcke mit frommen Sinnsprüchen, ein Industriegebiet, eine merk-würdige, spannende Zusammenstellung. Dazu ein paar Schnappschüsse vom Leben in der Unterkunft, davon, wie sie versuchen, das Beste draus zu machen.

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Der Saal ist vorübergehend rappelvoll, eine deutsche Organisatorin hält etwas unbeholfen eine kleine Einführung und stellt die Fotografen und die Asyllannde vor, die Leute kommen ins Gespräch, untereinander, mit den Flüchtlingen, einige Fotos werden verkauft. Draußen spielt auf dem Weihnachtsmarkt die Stadtkapelle Ihr Kinderlein kommet, es riecht nach Glühwein und verkohlter Bratwurst, man hört Arabisch, Englisch, Odenwälderisch. Und vorübergehend wird mir im ProvinzGedrängel dann doch ganz weihnachtlich ums Herz.

 

 

 

 

 

9 Kommentare zu “Weihnachtlich.”

  1. Ach wir vier haben auch etwas Schönes erlebt.
    Bei uns gibt es keine Flüchtlinge. Aber wir waren auf einem Weihnachtsmarkt in einer grösseren Stadt und dort gab es welche. Dort haben wir auch Bilder bestaunt die aus den jeweiligen Ländern gemacht wurden und auch welche erstanden. Eigentlich nur wegen der finanziellen Hilfe.
    Auf Walters Nachfrage was am meisten benötigt würde kam die erstaunliche Nachricht, Stiefel, Winterstiefel. Sie würden in Latschen in der Kälte rumlaufen.
    DAS GEHT DOCH NICHT!
    Also wir haben schon Weihnachten gemacht. 24 Paar Stiefel von Grösse 26 bis 44.

    Diese Menschen sind wenn sie ein bisschen Frieden ins Herz bekommen so entspannt und locker. Wundervoll.
    Aber Glühwein ist nix mehr für uns.

  2. Wir hatten ein schönes Erlebnis auf dem niederstettener Weihnachtsmarkt dieses Jahr. Zwei junge Männer – offensichtlich Flüchtlinge, standen seelig lächelnd vor der mit lebensgrossen Figuren bestückten Krippe und fotografierten sich gegenseitig. Sie strahlten Zufriedenheit und Ergriffenheit aus – wir waren ganz still und staunten – da War der wohl weihnachtlichste Moment in diesem Advent.

  3. Bei uns am Weihnachtsmarkt hat der Chor auch englische und Lieder anderer Sprachen
    gesungen, wo unsere neuen Bürger mitgesungen haben, sichtlich ergriffen waren da beiden
    Seiten…..auch hatte unser proasyl Verein einen Stand der sehr gut angenommen
    wurde.

  4. Ich lese Ihr blog ungeheuer gerne und finde Ihre posts zu Flüchtlingen, und wie das auf ‘dem Land’ passiert, sehr interessant. Ich bin (wie Sie) aus Berlin – und immer noch dort – wenn ich nicht dahin gehe, wo Flüchtlinge sind (um zu helfen), fallen sie nicht auf. Das ist gut und schlecht. Kollegen und Freunde aus anderen Ländern fragen mich – “Wie ist das mit den Flüchtlingen, sind das so viele?” – und ich sage, dass ich das nicht weiß, weil es ja nicht irgendwo draufgeschrieben ist; weil ich Flüchtlinge in der U-Bahn, in der Stadt, in meiner Straße, nicht unbedingt als solche erkenne. Hier sprechen viele Leute andere Sprachen als ich. Ich weiß also nicht, ob mich ein Flüchtling oder ein Tourist um Hilfe bittet. Es verläuft sich. Ich versuche, einfach nett zu sein. Tschulljung, kein zielführender Beitrag, aber so sieht’s halt aus. Ich glaube, Berlin kann das alles aushalten:)

    1. Danke für die Blumen! ;-) Ich glaube, alle können das überall aushalten, nur sind die Herausforderungen halt von Ort zu Ort verschieden. Und daß sie plötzlich in der Provinz (wo die Flüchtlinge mitunter viel präsenter erscheinen) größer sein könnten (und bislang, hier zumindest, bestens gemeistert werden), ist ja doch bemerkenswert, im wahren Wortsinn.

      1. Ach, ich wünschte, jede/r würde so denken! Ja, wirklich bemerkenswert und ganz großen Respekt für die ‘Provinz’ – die sich vermutlich weltoffener zeigt als alle (mich nicht ausgenommen). Das macht Mut!

  5. Na ja, in Frankfurt – einer Stadt in der 170 Nationen leben und der Ausländeranteil bei 26,8 Prozent liegt – einen Flüchtling zu erkennen, dürfte auch etwas schwierig sein. In schicken Innenstadtvierteln stehen keine Wohnungen leer, in der man welche unterbringen könnte, es gibt dort auch nicht unbedingt Brachen, auf denen die Stadt Container aufstellen könnte. Insofern wundert es mich nicht, wenn Ihr Freund glaubt, noch keinen Flüchtling gesehen zu haben. Er ist bestimmt schon welchen auf der Straße begegnet, ohne es zu wissen.

    1. Eben, ich denke auch, in Frankfurt-Innenstadt finden die quasi nicht statt. Das ist nicht gut oder schlecht, es ist halt einfach so. Schwierig wird es ja nur, wenn Bewohner solcher Stadtteile dann – aus der Entfernung sozusagen – anderen erklären wollen, wie das alles zu funktionieren habe mit Unterbringung und Integration.

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