Vor einiger Zeit bin ich wieder einmal in diesem winzigen Dorf am Ende der Odenwälder Welt vorbeigekommen, an dem winzigen Friedhof, auf dem die Frau E. begraben liegt.
Die Frau E., deren Nachname grauenhafte Bekanntheit hat, weltweit. Für weltbekanntes Grauen steht. Die ihren Mädchennamen aufgab, als sie eines Tages, 1935, den Herrn E. geheiratet hat.
Die junge Frau hat einen gefunden, der nicht viel später in Berlin noch ganz groß rauskommen soll. Einen treuen Diener seines Herrn. Einen, der es alles ganz genau macht, der akribisch plant und rechnet und deportieren und vernichten läßt. Der letzten Endes zentral verantwortlich sein wird für den Mord an sechs Millionen Juden.
Man kommt herum auf der Welt, Österreich, Prag, Berlin, und das Leben wird feudal gewesen sein. Große Autos, schicke Uniformen, man träumt vom Sieg und arbeitet an der Endlösung. Als es kompliziert wird und der Traum vom Sieg schon ausgeträumt ist, trennen sich die Wege der Eheleute ein paar Jahre, er taucht erst in Europa unter, dann in Argentinien wieder auf, sie folgt ihm schließlich nach Südamerika. In ärmlichen Verhältnissen lebt die Familie hier, unbehelligt, unerkannt, bis er schließlich gestellt, verurteilt und gehängt wird. Spätestens als sein Prozeß beginnt, 1960, ist der grauen-volle Name wieder weltweit in aller Munde.
Sie zieht ins winzige Dorf am Ende der Welt, mit dem Namen und den Kindern. Vielleicht gibt es familiäre Verbindungen, vielleicht ist sie sogar von hier, ich weiß es nicht. Sie lebt noch viele Jahre im Kreis von Verwandten und Nachbarn, hier und vielleicht auch noch anderswo, auch das weiß ich nicht. Aber man erinnert sich hier an sie, vorallem an die Söhne, an den einen insbesondere, den mit dem so ganz und gar un-odenwälderischen Vornamen, der hier auch zur Schule ging.
Jetzt liegt sie hier auf dem kleinen Friedhof, am Ende der Welt, ihr Grab eines von vielen, mit Blick auf Kapelle und weite Felder. Fast in Sichtweite sind Stolpersteine in die Dorfstraße eingelassen, matt glänzend halten sie die Erinnerung an die Deportierten des Ortes wach.
Wann immer ich in dieser Gegend unterwegs bin, lasse ich auf einer Anhöhe die Hunde aus dem Auto und gehe ein paar Meter. Genieße den tiefen Frieden und die Stille der absoluten Abgeschiedenheit. Sehe hinter dem Hügel die Kirchturmspitze des Dorfes und denke über Frau E. nach.
Darüber, welche merkwürdigen Geschichten das Leben schreibt, selbst in den entlegensten Landstrichen. Und darüber, wie das ist, mit den Epizentren und den seismischen Strahlen, die manchmal noch bis ans Ende der Welt reichen.
Dieser Text ist im März schon einmal hier erschienen, und ich musste dieser Tage wieder an ihn denken. Heute, am 10. November, finden im Odenwald Gedenkveranstaltungen zur Pogromnacht statt.
so profan, so normal diese leben…. als hätten sie nichts schlimmes getan, als wären nur die umstände schlecht gewesen.
und wer weiß, wozu wir fähig wären, wenn wir wollten.
ich finde das …. schwer zu sagen…. wirklich interessant, wie wir so gestrickt sind. nicht nur die.
Dankeschön für diesen Text, ist ja spannend – gerade ein bisschen gesucht und einen Artikel in der ZEIT über den jüngsten Sohn gefunden, gezögert, ob ich ihn verlinken soll, mich dagegen entschieden, kann ja jede/r, die/der mehr wissen möchte auch selbst suchen. Ich komme auch aus einer Familie, in der viel geschwiegen wurde (und wird). Nicht einfach.
Bei mir ist der Name E. auch einer, der mich an unsere Freundin Else(1908 geboren) in Berlin erinnerte. Sie musste für ihren Mann, der Halbjude war, 1943 zu E. gehen, weil sie eine Dienstbefreiung erreichen wollte, um ihn zu schützen. Mit einer falschen Bescheinigung saß sie allein vor einem riesigen Schreibtisch und wartete auf E. Dabei starrte sie den Aschenbecher voller Kippen an und erzählte noch sechzig Jahre später, der musste aber Bezugsscheine gehabt haben. Sie hat übrigens ihrem Mann, ihrer Schwiegermutter und vielen anderen geholfen- eine sehr mutige Frau! Eine lange Geschichte…
Ein Hauch deutscher Geschichte … schwierig.
Uns haucht es immer an wenn wir das Grab des Schwiegervaters besuchen, ein paar Reihen weiter liegt Karl Eduard von Schnitzler …
Oh, wo ist das denn???
Karl-Eduard von Schnitzler starb im Alter von 83 Jahren in Zeuthen an den Folgen einer Lungenentzündung. Sein Urnengrab befindet sich auf dem Friedhof in Eichwalde bei Berlin.
*Formulierung bei Wiki… gemopst*
Ich finde diese Geschichten über Frauen des letzten Jahrhunderts dermaßen spannend in all ihren Verwicklungen & Verwickelheiten, dass ich gar nicht aufhören kann, über sie zu schreiben. Was mir auffällt, dass es da unheimliche viele Nuancen gibt, nicht einfach Schwarz-Weiß, wie man das gerne so hätte, um sich die Welt erklären zu können. Gerade letzte Woche hatte ich wieder so eine tolle Person vorgestellt.-
Neugierig bin ich ja schon, wo ihr genau in Nordholland steckt…;-)
Viel Spaß wünsche ich!
LG
Astrid
Callantsoog.