Die nächtliche Ausgangssperre im Landkreis ist aufgehoben, und alle freuen sich, hurra, und jetzt muß mir aber nur noch jemand erklären, wo ich denn des Nachts überhaupt hin sollte. Freunde besuchen? Is nich. Theater, Oper und Konzert? Hahahaha. Disco? Auch noch zu. Ja, nee, is klar.

Bleiben wir also weiterhin brav zuhause. Nachts, und tagsüber meistens auch. Heute nur nochmal schnell ins Städtchen, bevor demnächst vielleicht die Läden wieder aufmachen. Pandemie dokumentieren. Können wir dann eines Tages unseren nicht vorhandenen Enkeln zeigen, die Bilder. Jaja, so war das damals in der Stadt und auf dem Land.

Und wenn die Läden erstmal wieder auf sind, und alles beim alten ist, dann lassen wir es aber krachen. Ich empfehle Ihnen dazu dringend diesen rasanten, atemlosen, großartigen Text vom hochverehrten Herrn Buddenbohm, damit Sie schon mal wissen, was da auf uns zukommt. Bis dahin bestaunen wir in einer Mischung aus Verwirrung und Entsetzen die Fußgängerzone im Städtchen. Die sieht in diesen Tagen auch nicht aus als andere Fußgängerzonen in dieser Welt, aber, naja, Sie wissen schon. Wenn das hier ein Dokumentarfilm wäre, würden wir eine Musik drunterlegen, adagio con dolore, langsames Tempo mit ordentlich Schmerz drin.

Die Kassiererin im Supermarkt schwätzt mit der Kundin vor mir, sie habe derzeit kein Internet zuhause, irgendeine Störung gibt es da, und sie guckt doch aber übers Internet auch Fernsehen. Oh! mein! Gott!, sagt die Kundin nach ein, zwei Sekunden der Sprachlosigkeit, ernsthaft ergriffen, kein Fernsehen??, und das in diesen Zeiten!? Hoscht kee Fernseh’, hoscht ja ganix! , ruft sie laut durch die Plastikscheibe, die Kassiererin und Kundschaft trennt. Jaja, die Kassiererin wiegt mit trauriger Miene den Kopf.

Ich denke dabei an das uralte Tantchen in Berlin, die normalerweise von Ausstellung zu Ausstellung tippelt, von Kultur-Abenteuer zu Kultur-Abenteuer, und die nun mitten in der riesigen, trostlosen, menschenleeren Betonwüste hockt, zum Nichtstun gezwungen. Die Highlights des Tages: Edeka und abends Glotze, sagt sie ins Telefon, is das nicht schlimm? Ja, isses. Habt Ihrs da auf dem Land vielleicht doch besser im Moment, sagt sie dann noch, wahrscheinlich wundert sie sich selber über diesen Satz, der da aus ihrem großstädtischen Berliner Hirn krabbelt, und ich werde mir diesen Tag wohl rot im Kalender anstreichen müssen.

2 Kommentare zu “Adagio con dolore”

  1. H. hat die Aufregung über die Ausgangssperre auch nie verstanden. Die Clubs der Jungen sind doch ohnehin geschlossen und wir Alten bleiben eh daheim. Aber die Alten haben sich aufgeregt.

  2. Ich kenne diese Eindrücke zu gut. Ich laufe jeden Tag zwei Mal hier durch zur Zeit. Auf dem Weg zur Arbeit und wieder zurück…

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