Ich werde manchmal gefragt, warum ich nicht studiert habe. Besser gesagt: warum ich nicht zuende studiert habe. Ich murmele dann in der Regel was von Job gefunden, viel verdient mit Anfang 20, super Ausbildung an der Journalistenschule, was will man mehr?, aber die Wahrheit ist natürlich eine andere.
Wenn ich ehrlich sein soll, war einzig und allein der Grünkernbratling schuld: Ich quälte mich durch Seminare und Kolloquien, lernte Altrussisch und Mittelhochpolnisch (oder sowas in der Art), kämpfte mich durch die politische Theorie des 17. Jahrhunderts, zankte mich mit Professoren, schrieb Hausarbeiten auf der Reiseschreibmaschine, ich bewältigte das alles irgendwie. Aber mittags ging ich in die Mensa. Und da gab es Grünkernbratlinge. Ein Albtraum in Boulettenform. Die angeblich eßbare Schwester eines ausgelutschten Jutebeutels. Formlos, salzlos, unerotisch.
Es war Ende der 80er Jahre, und Grünkernbratlinge waren offenbar schwer in, eine Entwicklung, die bis dato an mir vorbeigegangen war. Politologen, Soziologen, Juristen, Theologen, alle – so kam es mir vor – mümmelten ununterbrochen begeistert unerotische Grünkernbratlinge, die an aufgeweichte Wellpappe erinnerten, und die Mensa der altehrwürdigen Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität schien nichts anderes zu kennen als ewig Grünkernbratlinge. Die Mitstudenten tauschten Grünkernbratlingrezepte aus, und ich fand keine Freunde. Ich weinte einsam aber hungrig in die Kissen und träumte nachts schon von den fahlen Teiglingen, die eher grau als grün waren und die Brat-Pfanne auch nur im Vorbeihuschen gesehen hatten.
So konnte mein Leben nicht weitergehen. Ich wollte den Bratling-Terror beenden. Also schmiß ich das Studium hin.
Tja, aber was soll ich sagen: Die Wege des Herrn sind manchmal unergründlich. Und die Sache mit dem Grünkern musste ich seitdem schon mehrfach überdenken.
Immerhin lebe ich inzwischen in einer Region, die sich hochoffiziell als Heimat des Fränkischen Grünkerns bezeichnen darf, und das seit Jahren sogar per EU-Verordnung streng geregelt. Wir waren schon sehr stolz auf die entsprechenden Grünkernheimat-Hinweisschilder auf der Autobahn, aber die EU-Verordnung setzt dem ganzen die Kulinarikkrone auf. Der Fränkische Grünkern steht damit in einer Reihe mit Allgäuer Emmentaler und Schwäbischen Maultaschen. Na, also, geht doch.
Die armen Bauern haben hierzulande ja seinerzeit aus der Hungersnot eine Tugend gemacht: weil Böden und Witterung in Badisch-Sibirien nicht mal gut genug waren, um den Dinkel reif zu machen, ernteten sie ihn irgendwann kurzerhand un-reif und holten über dem Buchenfeuer nach, was die liebe Sonne nicht geschafft hatte. Das geröstete Korn nannten sie Grünkern, ganz einfach. Der Fachmann betont den Grünkern übrigens dabei auf der zweiten Silbe, warum auch immer.
Aus dem Arme-Leute-Fraß wurde irgendwann der fade Öko-Bratling, siehe oben, dann zog der grüne Kern auch in die Schicki-Micki-Restaurants und in die edel-Gastro-Szene ein, und der Grünkern wurde quasi weltberühmt. Und weil irgendwer herausgefunden hatte, daß man Grünkern sogar würzen darf, wurde er tatsächlich schmackhaft.
Seit ich weiß, daß wir ihn hier erfunden haben, hat sich mein Verhältnis zum Grünkern natürlich verändert, Sie werden das verstehen. Es hat ein bißchen gedauert, aber ich liebe Grünkern. Und das nicht nur, weil ich es für meine lokalpatriotische Pflicht halte. Ich halluziniere nur noch selten von den Heidelberger Jutebeutel-Bratlingen, träume dafür aber immer mal wieder von (klick!) Grünkern-Pfifferling-Risotto, von Steinpilznudeln mit Grünkern oder den Grünkernknödeln auf Champignonrahm. Und wenn Sie mal das Rezept für die weltallerbeste Grünkernsuppe haben wollen, bitte sehr, fragen Sie einfach mich, vielleicht verrate ich Ihnen das. Hier finden Sie auch allerlei Rezepte, und die schlichte Suppe aus Grünkernschrot ist auch ein ziemlicher Kracher.
Aber kommen Sie mir nicht mit Grünkernbratling. Ich leide an einer Grünkernbratlingunverträglichkeit. Allein das Wort verursacht mir bis heute böseste Beschwerden. Nennen Sie es, wie Sie wollen, nur nicht Bratling.
Dieser Beitrag ist hier vor Jahren schon mal veröffentlicht worden, ich habe ihn jetzt wieder herausgekruschtelt, weil mich a) eine liebe Freundin darauf aufmerksam gemacht hat, dass er mit all den Rezepten doch durchaus den Bildungsanspruch dieses Blogs erfüllt und weil b) manch einer bald nicht mehr weiß, was er vor lauter Feiertagen kochen soll. Versuchen Sies dochmal mit Grünkern, lohnt sich, echt jetze.
Ich habe 89/90 auch zwo Semester in Heidelberg studiert. Aber ich habe es ohne GKB-Traumatisierung geschafft, weil ich alle Veranstaltungen auf zwei Tage gelegt habe (morgens hin, nachmittags zurück) und das Institut für Politikwissenschaft direkt in der Altstadt war – da gibt es ja genügend Alternativen zum Kasernenfraß der Mensa. Aber man muss ja auch nicht studiert haben, um eine gute Journalistin zu sein. Publizistik ist keine Wissenschaft ;o)
Hihi,
Dein heutiger Post gefällt mir … vielleicht auch weil er mir ein bisschen aus der Seele spricht. Denn ich konnte noch NIE Grünkernküchle leiden und das, wo ich doch selbst aus einer Grünkernfamilie stamme. Wir haben sehr lange selbst welchen angebaut.
Aber die Küchle mochte ich nie. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich niemals nie zur Vegetarierin werden könnte. Denn egal wo Du hinkommst, als Alternative reicht man stets die allseitsbeliebten Ersatzbuletten. Bäh!
Dafür mag ich umso mehr Grünkernsuppe (mit Markklößle versteht sich) und Grünkernsalat…. das schmeckt wirklich fein.
Liebe Grüße
Pamy
Also: Auf die Suppe wäre ich schon scharf. :D
Auf Grünkern generell – auch die Bratlinge. Zu meinem unverschämten Glück habe ich bisher immer nur sehr schmackhafte Grünkernbratlinge gegessen. Das habe ich meinen Eltern zu verdanken, die vor über 40 Jahren mit der Suche nach dem besten Rezept begonnen haben. Eventuell waren sie als Öko-Hippies sogar Schuld daran, dass die Unis mit dem Zeug geflutet wurden. Und ich wette sie sind sich ihrer Schuld nicht einmal bewusst. ;)
Aha, also da haben wir die Schuldigen!
Darauf einen Hauch Kräutersalz aus dem Hause Heuschrecke.
Wenn man im Hinteren Odenwald aufgewachsen ist, war Grünkern bis in die Siebziger eher anders assoziiert: Das Arme-Leute-Essen der Aaldemer, Rinschemer und Kerschtedemer, also der Bewohner der Bauland- und typischen Grünkerndörfer Altheim, Rinschheim und Gerichtstetten. Das Grünkernrevival mit dem beginnenden Ökoboom ab etwa Anfang der Achtziger hat einen da eher erstaunt.
Heute freuen wir uns beim Blick aus dem Küchenfenster über die alte Grünkerndarre unseres 100-Seelen-Dorfes. In der Zeit des Nationalsozialismus, in der Grünkern ja als die deutsche Suppenfrucht propagiert wurde, und in den Notjahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dort in der Erntesaison im Dreischichtbetrieb produziert.
Oha, wo ist das denn?
Brunntal, Gemeinde Werbach, Main-Tauber-Kreis.
Ganz toll schmecken auch Grünkernkekse.
Rezept?? ;-)
…gerne, wohin soll ich es schicken?
Via Kontaktformular?
Harry Rowohlt würde vermutlich sagen, bei Grünkernbrätlingen zieht sich mir das Skrotum zusammen. Mir auch.
Aber alles andere grünkernige geht?
Politologen, Soziologen, Juristen, Theologen, alle – so kam es mir vor – mümmelten ununterbrochen begeistert unerotische Grünkernbratlinge, (…)
Also ich habe die NIE gegessen,und ich habe Soziologie studiert. Sogar zu Ende – was vielleicht daran lag, dass ich die Mensa generell gemieden habe.
Der Grünkernbratling schmeckt am besten wenn man ihn kurz vor dem servieren durch ein Schnitzel ersetzt.
Tipp vom Profi.
Ach was bin ich froh, dass ich nicht die Einzige bin, die dem Brätling nichts abgewinnen kann.