Ich wollte hier schon lange mal ein Loblied anstimmen, auf den Lokal- und Regionaljournalismus, also auf das, womit ich hier im Wald so gänzlich unspektakulär mein Geld verdiene. Keine Ahnung, ob das irgendwen interessiert, aber es muss halt mal raus aus mir, Sie kennen das.
Passend dazu las ich vor ein paar Tagen zufällig diesen Text einer Kollegin, den ich Eins zu Eins übernehmen und unterschreiben könnte. Eine Liebeserklärung ans Lokale. Geschrieben von einer Redakteurin, die sich offenbar auch immer mal wieder dafür rechtfertigen muss, dass sie sich nun ausgerechnet für die angeblich langweiligste, angeblich schrumpeligste und spießigste Form im Journalismus entschieden hat.
Willste denn nicht endlich ma wat Richtjes machen?, fragt meine fast 90jährige Tante in ihrer unnachahmlichen Berliner Art in schöner Regelmäßigkeit am Telefon. Die Tante sieht mich eigentlich im Feuilleton des Berliner Tagesspiegel, das läge zugegebenermaßen in der Familie. Ich habe zwar keine Ahnung von dem, was Tantchen unter Kunst versteht, aber ich habe als Kind dortselbst und unter Anleitung meines feuilletonistischen Onkels immerhin gelernt, alle Berliner Zeitungen am (Achtung!) Geruch der Druckerschwärze zu unterscheiden, na, wenn das nichts ist. Zumindest sieht die Tante mich bei irgendeiner wichtigen Kulturzeitschrift, bei irgendwat Richtjem eben.
Ich werde auch die Gesichtsausdrücke der Kollegen in den angeschlossenen Funkhäusern nicht vergessen, als ich verkündete, den Job als landesweite superduper-Moderatorin an den Nagel zu hängen, um in die Niederungen des Lokaljournalismus herabzusteigen, in den Orkus des Odenwaldes, den nordbadischen Hades. Die Gesichter der aufstrebenden oder langgedienten Journalisten um mich herum verwandelten sich in signalrote Fragezeichen, in eine Mischung aus höchster Alarmbereitschaft und absoluter, kompletter Verständnislosigkeit.
Da hatte eine die beste Ausbildung genossen, die man in Deutschland als angehende Redakteurin so kriegen kann (ich darf das hier ganz unbescheiden sagen), und dann das. Nee, also ehrlich. Perlen vor die Säue, naja, Sie wissen schon.
Langer Rede kurzer Sinn: Ich habe schon während meiner Ausbildung Blut geleckt fürs Regionale, fürs Lokale. Es mag cool klingen, als Korrespondent in Paris oder in Johannesburg, aber wenn Sie von da aus über ganz Frankreich oder halb Afrika berichten sollen, ist das dann schon weniger cool. Genauer gesagt: etwas unbefriedigend. Fand ich jedenfalls.
Außerdem stellte ich schon damals die steile These auf: Menschen interessieren sich zuallererst für das, was in ihrem direkten Umfeld passiert. In ihrem Lebensraum, ihrer lebensräumlichen Wirklichkeit. Trump, Putin, Syrien, China: ja, alles berichtenswert und wichtig. Aber aktuell noch viel wichtiger ist doch, ob die neue Umgehungsstraße durch meinen Vorgarten gebaut wird oder nicht. Der tödliche Unfall in der Nachbarschaft bewegt mehr als die 170 Toten beim Zugunglück in Indien. Das Berliner Tantchen liest ja auch zuerst den Lokalteil ihrer Zeitung, sogar die grässlich spießigen Bezirksseiten, und alles mit Begeisterung, sie gibt es nur nicht zu. Naja, Sie wissen schon.
Wie dem auch sei: nun sitze ich im Odenwald und mache ebenso wie die Zeitungskollegen Journalismus, lokal, regional, bescheiden, unspektakulär und klein. Wir sind dran an den Menschen, dran an dem, was man so landläufig das echte Leben nennt, anders gehts hier gar nicht. Wir interviewen Landwirte und Professoren, kleine und größere Bürgermeister, Hausfrauen, Verwaltungsfritzen, Busfahrer und Müllmänner. Selten mal einen Minister, eine Staatssekretärin, das sind die wenigen Interviews, bei denen mitunter nur die üblichen Polit-Sprechblasen herauskommen, und wer will soetwas schon hören?
Anders als die großen, richtigen Redaktionen haben wir hier keine dicken Mappen mit offiziellen Terminen, die es nur abzuhaken gilt; hingehen, Block zücken, Mikro aufstellen, Pressemappe lesen, Beitrag basteln. Wir müssen uns unsere Themen meistens selber suchen. Müssen herausfinden, was die Leute in der Region bewegt, müssen gucken, horchen, mimen, mit offenen Augen und Ohren am besten überall gleichzeitig sein. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.
Wir berichten über Kläranlagen und Kindertagesstätten, Mord und Totschlag, über den kommunalen Finanzausgleich und den Kreisumlagehebesatz. Über Straßenbau, Nahverkehr und Milchpreise, über Anbindehaltung, High-Tech-Weltmarktführer, über Bürgerinitiativen, Wirtschaftspolitik, Sport, Kunst und Kultur. (Tantchen, hast Du das gelesen?, da ist Deine blöde Kultur, verdammt nochmal.) Über die ganze große Welt im Kleinen, also. Darüber, wie sich Entscheidungen aus dem Berliner Bundestag vor Ort konkret umsetzen lassen. Oder auch nicht.
Ich habe Informanden Ansprech- und Gesprächspartner in den 27 Städten und Gemeinden hier im Landkreis, genauer gesagt in einem Großteil der rund 120 Teilorte, von denen ich die allermeisten inzwischen fast kenne wie meine Westentasche.
Womit wir zu dem wichtigsten Teil meines Lobliedes kommen: Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL schlägt sich grade mit dem vielleicht größten Skandal seiner Verlagsgeschichte herum: Da fährt ein mehrfach preisgekrönter Reporter kreuz und quer durch die Welt und lügt bei etlichen seiner Reportagen das Blaue vom Himmel herunter, oh Schreck.
So etwas ist im Lokalen, im Regionalen, schlichtweg gar nicht möglich. Hier muss nicht erst die Chefredaktion den Reporter überprüfen, hier tun das die Leser und die Hörer, täglich, stündlich, minütlich. Einmal einen Ortsnamen falsch ausgesprochen? Einmal einen Vornamen verwechselt? Zack, – empörte Anrufe am Telefon, energisches Klopfen an der Bürotür.
Wenn es schon im Kleinen nicht stimmt, wie soll dann erst im Großen sein? haben wir auf der Journalistenschule gelernt. So müssen wir uns hier jeden Tag unter Beweis stellen als Lokal- und Regionalreporter. Nichts da, von wegen Ach, die kleine Ungenauigkeit versendet sich oder Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, nein, nein, das funktioniert hier nicht.
Gespräche faken? Interviewpartner erfinden? Großzügig dazudichten oder mal Fünfe grade sein lassen? Was im gesamten Journalismus absolut tabu sein sollte muss, ist hier nochmal doppelt undenkbar. In einer Region, in der nahezu jeder jeden kennt. Oder zumindest jeder jemanden kennt, der wiederum jemanden kennt. In einer flächenmäßig riesigen Region, in der die Wege dann doch aber verdammt kurz sind, wenn es um Geschichten und Gerüchte, und um deren Überprüfung geht.
Nirgendwo sind sich Redaktionen und Leser und Hörer so nah wie im Lokaljournalismus. Nicht immer unbedingt inhaltlich, aber räumlich. Und nirgendwo müssen Reporter im aktuellen Tagesgeschäft so sorgfältig recherchieren und berichten wie hier. Noch sone steile These, aber ich lasse sie hier einfach mal stehen.
Also, to cut a long story short, wie der Deutsche sagt, ich liebe meinen Job in der vermeintlichen Provinz. Ich würde nicht tauschen wollen. Ich wünschte mir und meinen Kollegen manchmal ein bisschen mehr Selbstbewusstsein gegenüber den tollen, großen Journalisten da draußen in der Welt. Aus Gründen.
Und hier können Sie nochmal Lügenpresse, die Erste nachlesen. Wenn Sie sonst nix zu tun haben in diesen Tagen.
Gelesen. Ich hatte ja schließlich nichts Besseres vor. Und für gut befunden.
Grüße aus dem Fränkischen, wo deine Blogartikel jeden verdammten Bit meines Datenvolumens wert sind!
Hab es schön zu Weihnachten. Mach weiter so. Und bleib so, wie du bist!
Steffi
Hhm. Manchmal sollte man das aus Sicht des Sehers/Hörers/Lesers betrachten. Ich z.B. würde gerne deine Art Radio-Journalismus öfter hören. Aber, das ist versteckt in SWR4. Zwischen Andrea Dings und Helene. Geht bei mir gar nicht. Da könnt ihr so gut sein, wie ihr wollt. Schade eigentlich.
Was einem sonst in den Niederungen des Stadtteil-Journalismus, Ortsteile, Dorfkram inklusive, eingeschlossen, begegnet ist zumeist sehr amateurhaft. Auch in den großen Monopolzeitungen vor Ort. Das leibliche Wohl lässt grüßen. Es ist schwierig. Wie erklärt man dem Lok*aler, der schlecht bezahlt, wird und mit seiner DigiCam fuchtelt Twitterlyrik? Trete ich lieber nicht auf. So das Lokale aus Sicht einer GFZ-Größe beurteilen, wie hier, hhm? Würde ich gerne diskutieren :)
Ich kann das halt zunächst nur aus meiner eigenen Sicht betrachten. Aber was den angeblich zwingenden Zusammenhang zwischen regionaler Radio-Berichterstattung und der speziellen Musikfarbe angeht, da weiss ich auch nicht weiter. Tatsache ist, dass die gesamte ARD es so macht. Und der Erfolg dieser Wellen ihr Recht gibt, zunächst mal.
Grossartig! Ich finde JEDER Journalist müsste im Lokalen anfangen, sich mit Menschen auseinandersetzen, zum Bauern rausgehen etc. Sorgfalt lernst du von ganz alleine – einmal ein falscher Vorname und du fragst künftig 3x nach!!! Die Arbeit von Lokaljournalisten ist wichtiger denn je
stimmt !!
Frohe Weihnachten
liebe Grüße
Rosi
Hm, wenn sich das nur alle Lokaljournalisten so auf den Leib schreiben würden.
Normalerweise hatte ich immer Achtung vor dem Lokaljournalismus, bis der erste Artikel über mein Orchester erschien. Der war schlimm, wurde mir auch von (unbeteiligter) Seite berichtet (erst letztens). Die beiden Leserinnen von “erst letztens” wollten nun von mir wissen, wie es tatsächlich war, und haben mir zugehört. Was nicht üblich ist. Üblich ist die Haltung “was in der Zeitung steht ist wahr”.
Mittlerweile ist meine Haltung zum hiesigen Blatt distanzierter. Wenn wieder ein Aufregerartikel kommt, dann lese ich ihn nicht mehr richtig. Dann denke ich mir: “Wer weiss, wie es wirklich war.”
Tja, unsere ach so große Welt ist eben doch sehr klein.
Wünsche ein frohes Fest und einen guten Rutsch,
Auf viele weitere lokale Berichte!
Liebe Grüße
Nina
Was für ein Wort: Kreisumlagehebesatz.
Was, zum Teufel, ist das?
Fragt mal das Küken in die Runde. (Ich könnte auch die Suchmaschine bemühen. Aber dann kann ich auch mit mir alleine reden. Ahem.)
Frau Landleben, dieser Artikel ist Ihnen wunderbar gelungen! Ich habe ihn mit viel Amusement gelesen. Gerade über die kurzen Wege in einem großen Landkreis. Göppingen ist so ein riesiger Landkreis, der zieht sich hoch bis auf die Alb. Wir haben uns manchesmal gewundert, wie jemand aus hinter Geislingen/ Steige diverse News aus Bad Boll oder Donzdorf mitbekommen konnte. Es hat funktioniert! Und, wie Sie auch zu recht schreiben, einer kennt jemand anderen, der wiederum…usw. Wir hatten teils sehr vergnügliche Stunden mit unseren Kunden. (Diese Zeit vermisse ich im Übrigen. Denn, so klein Bonn auch sein mag, grassiert hier doch eine ziemliche Anonymität.)
Einen schönen vierten Advent aus der Papageienstadt wünscht Ihnen
Franziska
Alles, wirklich alles beginnt im Kleinen und dieses Kleine (in diesem Fall heraus gepickt das Ländliche) aus dem Auge zu verlieren, ist einfach nur ein Kardinalfehler. Es kann mich in die tollste Stadt der Welt spülen, letztendlich ist auch die nur ein – Achtung: Knaller – Dorf in dem ich mich positionieren muss, kann, darf, will.
Arroganz und Respektlosigkeit sind die schlechtesten aller Antriebsfedern. Zwischen Helene und Dings fühle auch ich mich alles andere als daheim, das aber auch wieder auf das Regionale umzudenken, deucht mir wiederum als der falsche Gedankengang; nur von dort her lässt sich der oben erwähnte Erfolg dieser Wellen definitiv nicht erklären.
Meine herzlichsten für Deine für mich zum Glück immer wieder so andere Sicht- und Schreibweise. Das zählt für mich. Alles andere ist nur Dekoration.
Frohe Festtage,
Ev
*erneut sehr gerne gelesen
In Unkenntnis wie Chefredakteure oder andere Kontrollfunktionen beim Journalismus tatsächlich funktionieren, wundert mich schon sehr das weitläufig erfundene Teile von Reportagen nicht zumindest kleine Warnlampen bei den Kontroll-Instanzen entzündet haben. Lügengeschichten entpuppen sich doch letztlich immer anhand von nicht stimmigen Kleinigkeiten. Das erst ein co-Autor laut werden muss, bis der Spiegel sich bewegt … Ich halte das Statement vom Spiegel (aka. wir wussten/ahnten von all dem nichts…) in großen Teilen für unglaubwürdig. Letztlich hat der Spiegel auch davon profitiert, so ähnlich wie seinerzit die falschen Tagebücher beim Stern.
Ja, so stelle ich mir Journalismus vor. Informieren, einordnen, Leser bei der eigenen Meinungsbildung unvoreingenommen unterstützen. Das geht nur, wenn man alle zu Wort kommen lässt, die eigene Meinung hinten an stellt und nicht kommentiert. Der Leser braucht keine Bevormundung, der Leser ist i.d.R. auch nicht doof, wie es ihm jüngst von einem Spiegel-Online-Journalisten unterstellt wurde (und auf Twitter ganz schnell wieder gelöscht wurde). Schlimmer noch: er merkt, wenn er für doof verkauft wird. Die Folgen sind fatal: Zeitungen lassen sich nicht mehr verkaufen oder wenn, dann angeblich nur als Zeitgeist-Einheitsbreite mit literarischem Ansprüch? Für eine (politische) Elite? Wenn ich Literatur lesen will, hole ich meinen Kleist aus dem Schrank oder gehe in die Bibliothek. Wenn ich Kommentare lesen oder hören will, schaue ich eine Tankrunde oder ergötze mich am Feuilleton. Nein, Zeitung ist für mich reine Informationsvermittlung: “Sagen, was ist”.
„Wir müssen uns unsere Themen meistens selber suchen.“
Wie wahr, und das sind (in meiner Erinnerung) oft dicke Bretter, die da gebohrt werden müssen. Das verlangt mir eine Menge Respekt ab.
Aber, auch das habe ich aus eigener Anschauung erlebt: „Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.“
Die Arroganz und Unkenntnis der Chefs aus der Stadt gegenüber der „Landbevölkerung“ – dieses Gefälle habe ich genau so auch in Dorfredationen erlebt, wenn der Journalist sich für cleverer, weltgewandter, etc hält als der Leser oder die Hörerin. Und ich lese und höre es zuweilen beim Heimatbesuch. Dann rollen sich mir die schön beschriebenen Fußnägel…..
Es scheint mir also kein „Stadt-Land-Problem“ zu sein – eher eine Frage der handelnden Personen. Und arrogante Besserwisser gibt es überall. In der Stadt, wie auf dem Land.
Du zitierst den Bewohner von Fergus Falls: Es gehe (sinngemäß) darum zu kitten und nicht weiter Vorurteile zu zementieren und zu spalten.
Vieles was Du in Deinem Blog beobachtest und schreibst kann ich nachvollziehen und unterschreiben – aber leider habe ich auch den Eindruck, Du bedienst Dich manchmal der gleichen Mittel, um sie zu illustrieren…..
Ich muß mich da durchaus selbstkritisch befragen, ob ich nicht auch immer wieder manch ein Klischee bediene, bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt. Andererseits ist das ja hier kein journalistisches Produkt, sondern etwas rein subjektives. Trotzdem… hach, es ist kompliziert.