Herrjeh.

19. Januar 2017

Schuhsohlen und Spikes knarzen heute früh bei jedem Schritt auf den vereisten Wegen, die Sonne blitzt durch kahle Bäume, kein Mensch weit und breit, nur die Vögel piepsen laut, als wollten sie sich durch ihr Geschrei aufwärmen. Nachvollziehbar wäre das, wenn ich ein Vöglein wäre, würde ich bei minus 8 Grad morgens im Wald auch rumbrüllen, um mich warm zu machen, anstatt nur stumm und bibbernd auf nackten Ästen herumzusitzen.

Im Tiefschnee die Spuren von Hase, Fuchs und Rehen, oben in den Wipfeln ab und zu eine Böe des eisigen Windes, der draußen auf den Feldern die Kälte vor sich hertreibt. Ansonsten tiefe Stille.

Heute früh.

Ich wurde dieser Tage nach meinem emotionalen Verhältnis zum Wald gefragt. (Ja, genau so habe ich auch erstmal geguckt.). Genau genommen war es eine Vorwarnung, man wird mich zu meinem emotionalen Verhältnis zum Wald befragen, mit Kamera und Mikrofon, herrjeh, demnächst, für ein (klick!) ganz spannendes Projekt.  Ich habe also zugesagt, und seitdem denke ich über mein emotionales Verhältnis zum Wald nach. Mit mal mehr, mal weniger Erfolg.

Letztes Jahr. Oder vorletztes. Weiß ich nicht mehr.

Jedenfalls ist das mit dem Wald wie mit meinem Leben allgemein, es gibt einen Wald früher und einen Wald heute, Berlin vs süddeutsche Provinz, naja, Sie wissen schon, das beides unterscheidet sich nicht unerheblich.

Wald früher, das war der Berliner Grunewald. Für mich damals der einzig bekannte Wald überhaupt. Bei gutem Wetter voll wie auf der Kirmes, man trat sich förmlich einander auf die Füße, ganz Berlin war unterwegs im Grunewald beim ersten Sonnenschein, die Städter brauchten frische Luft und Auslauf, und beides suchten sie im Grunewald. Fußgänger, Radfahrer, Mountainbiker, Kinderwägen, Roller, Reiter, Polizei auf Pferden und zu Fuß, rechts vor links und so. Überall hörte man immerzu die Autos von der Avus, die Müllkörbe quollen über, und manchmal traf man eine aufgescheuchte Wildsau. So habe ich das in Erinnerung.

Bei schlechtem Wetter traute ich mich nicht in diesen Wald, bei schlechtem Wetter war es allzu einsam dort, es trieb sich allerlei gefährliches Gesindel da herum, so hörte man, manchmal entdeckten sie da eine aufgeschlitzte Leiche oder irgendetwas anderes sehr Unerfreuliches. So fand ich den Wald eigentlich immer doof, bei gutem Wetter zu voll, bei schlechtem Wetter unheimlich und einsam. Außerdem musste man immer in stinkenden BVG-Bussen erstmal da hinfahren, nein, das war mir alles viel zu blöd.

Ja, Sie ahnen es, das alles sieht natürlich heute ganz ganz anders aus. Ich habe den Wald vor der Haustür, und ich habe ihn lieben gelernt. Wann immer es geht, streife ich durch den Wald, mitunter zweimal täglich, ich liebe die Stille und die Einsamkeit des Waldes. Fast nie trifft man hier jemanden, es scheint, als ginge der Landmensch per se nicht zum Spazieren, zur Erholung in den Wald, der Wald ist seit Jahrhunderten Arbeitsplatz und Rohstofflieferant, nicht Freizeitgelände.

Manchmal hört man die Kettensägen jaulen im Unterholz, dann das Ächzen und Krachen eines Baumes beim Umfallen, und ganz selten schleicht ein Auto über die Wege, der Jäger inspiziert sein Revier. Dass ich hier Wanderer treffe, oder Spaziergänger, das gibt es vielleicht alle zwei, drei Wochen einmal, und immer meine ich erst, meinen Augen nicht trauen zu können. Ein Mensch! Im Wald!

Einsamkeit und Stille haben hier nichts Bedrohliches, im Gegenteil. Ich mag diese tiefe Ruhe, die ja gar keine Ruhe ist, sondern bei genauem Hinhören ein Konzert unterschiedlichster Geräusche, eine Euphonie des Waldes. Vögel zwitschern, Äste knacken, Baumstämme quietschen und knurren im Wind, der Wind selber rauscht in den Kronen und raschelt durch die Blätter, hin und wieder bellen Reh oder Fuchs. Manchmal schimpft lauthals der Eichelhäher, oder keckert eine Amsel, und in den kleinen Gräben neben dem Weg gurgeln Wasser und Schlamm. Und wenn ich nicht gerade zornig mit den Hunden herumschreie, was ich aus pädagogischen Gründen hin und wieder tun muss, dann höre ich dazu nur meinen eigenen Atem und das Knarzen der Schritte auf dem Weg.

Das alles erdet ungemein, ich kann Ihnen das also nur empfehlen. Wenn Sie ein gestresster Manager sind, sollten Sie ja überhaupt hin und wieder in den Wald und Bäume umarmen, das liest man in den Zeitschriften, die beim Frisör ausliegen, habe ich mir sagen lassen. Bäume umarmen tue ich manchmal auch, wenn keiner guckt, und in der Regel ist ja ohnehin nie jemand da, der gucken könnte, wenn ich hier im Wald unterwegs bin. Ich habe zudem ein Buch geschenkt bekommen, da ist die Rede davon, dass Bäume sich sogar miteinander quasi heimlich unterhalten, ich bin dem noch nicht nachgegangen, soweit bin ich dann noch nicht.

Auf jeden Fall wäre ich in meinem nächsten Leben gerne Waldschrat. Waldschrätin. Ich würde in einer Hütte im Unterholz leben, den Vöglein und den Bäumen bei ihren Unterhaltungen zuhören und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Einen Internetanschluss bräuchte ich schon, und Strom sowieso, aber ich denke, das ließe sich wohl machen.

Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss noch ein bisschen über mein emotionales Verhältnis zum Wald nachdenken, bevor die mit Mikrofon und Kamera anrücken und ich etwas Schlaues dazu sagen soll, herrjeh.

 

 

 

  • 14 Kommentare
  • Matthias Eberling 19. Januar 2017

    Sehr schöner Text. So habe ich den Kontrast auch erlebt. Sonntags am Schlachtensee oder der Krummen Lanke. Da war die Spaziergängerdichte höher als auf dem Ku’damm. Teilweise zählflüssiger Verkehr auf dem Rundweg um einen See, v.a. wenn sich zwei Hunde wechselseitig prüfen mussten. Hier im Hunsrück nichts los, kein Mensch, “keine Sau” (wie es hier heißt) und die beschriebene Euphonie (Projekt Wortschatzerweiterung läuft) gibt es wirklich. Ich umarme allerdings keine Bäume, wenn mir keiner zuschaut, sondern antworte Vogelrufen und versuche, in Dialog zu treten. Manchmal funktioniert’s und man grinst in sich hinein. Ein ewiger Gymnasiast im Forst.

    • LandLebenBlog 19. Januar 2017

      Wunderbar! Und die Euphonie hab ich selber auch erst mühsam googeln müssen… Ich kannte nur die Kakophonie, aber immerhin.

  • Astridka 19. Januar 2017

    Kannste dir ja denken, wie mein Verhältnis zum Wald ist, so als geborene Hinterwäldlerin. Inzwischen weiß ich, was ich verloren habe, zumal mir nur der Grune- äh Stadtwald bleibt. Ach ja: Mit dieser Waldliebe finde ich mich gnadenlos deutsch.
    Da bin ich ja mal gespannt auf das Projekt….
    LG
    Astrid

    • LandLebenBlog 19. Januar 2017

      Stimmt ja, das gilt ja als sehr deutsch…woran liegt das nun wieder?? Romantik? Muss ich mal schnell nachforschen.

  • Rosi 19. Januar 2017

    wer hat dich du schöner Wald.. aufgebaut so hoch dort droben..
    nachdem ich als Kind (nach einem Umzug ) mit dem mir erst unheimlichen Wald
    doch so langsam vertraut wurde ..war er mir Spielzimmer..Abenteuerplatz und Rückzugsort
    wenn mich Andere mal wieder bedrängten ..
    heute würde man wohl kaum noch ein Kind alleine so durch den Wald strolchen lassen wie ich es tat ;)
    es sind wunderschöne Erinnerungen..
    auch heute wandere ich noch gerne im Wald herum..auch wenn es beschwerlicher geworden ist
    wunderschöne Bilder hast du mitgebracht ..
    dann viel Glück zu deinem Projekt..dass dir zur rechten Zeit auch das Richtige einfällt ;)
    liebe Grüße
    Rosi

  • Pong 20. Januar 2017

    Da gibt es dieses Gefühl. Das habe ich jedesmal, wenn ich wieder in den Odenwald komme aber auch neulich, im Elbsandsteingebirge (goo.gl/4iT9he).
    In Berlin und Umland sind die Wälder, bis auf einige wenige, nicht so tief und so alt und so dunkel, dass das Gefühl rauskommt. Und ja, Astridka, das ist ein deutsches Gefühl, irgendein Siegfried und eine Brunhilde wird da in mir geweckt und Drachen kommen vor, mit Blitzen, es riecht nach feuchtem Moos, sehr streng nach Harz, nach verschwitzten Pferden und nach verbranntem, noch kokelndem Holz. Alles in dem Gefühl.
    Der Wald für mich, das ist vielleicht wie für andere das Meer oder die Berge. Nicht falsch verstehen: Meer und Berge finde ich toll – irgendwie exotisch – aber Wald ist Zuhause und ein Stück von mir. Immer wenn ich dort bin sorgt er dafür, dass dieser ganze Stadt-Unsinn, also dieses überkomplizierte Zeug das man entwickelt, wenn man zuviel über’s Leben nachdenkt anstatt einfach zu leben, von mir abfällt. Wahrscheinlich einfach, weil er da schon seit hunderten von Jahren so steht.
    Es gibt neuerdings ein Buch, ich hab’s noch nicht gelesen, es heißt “Der Biophilia Effekt” wonach der Wald unser Immunsystem stärkt und positiv auf andere Krankheiten wirkt. Ich glaube das auch ohne Lesen.

    Tschüss denn, ich muss nochmal raus zum Bäumeumarmen.

  • Micha 20. Januar 2017

    Neben frischem Heu gehört der Waldgeruch zu einen meiner liebsten auf dem Land. Nach einem Sommerregen – HERRLICH! Und ja, Wald erdet. Wie Natur aber überhaupt. Ich füge noch an, dass ich aber auch durchaus das Hänsel-Gretel-Feeling des Waldes kenne. Beim Pilzesuchen weit ab vom Weg, vertieft mit der Nase auf dem Boden… und dann… mit klopfendem Herz: in welcher Richtung gings nochmals zurück auf den verlassenen Pfad… Kennst du das auch?
    Und dann fällt mir noch das Buch *Die Wand* dazu ein – Waldschrätin ganz unidyllisch.
    Ich freue mich auf das Interview – als Odenwälderlin zum Thema Wald befragt zu werden… sehr rund!

    • LandLebenBlog 20. Januar 2017

      Puh, “Die Wand”, habe ich gelesen…starker Tobak. Eure Antworten geben mir jedenfalls schon mal jede Menge neuen Input – danke dafür!!

  • Pong 20. Januar 2017

    Ach ja noch vergessen: Wenn ich in Berlin im Wald stehe, denke ich “Wald!” (mit Micky-Maus Stimme ausgesprochen) und wenn ich im Odenwald im Wald stehe, denke ich “Wald!” (mit Sauron-Stimme ausgesprochen).

  • Katja 20. Januar 2017

    Wenn ich Ihre Waldbilder sehe bin ich immer tief berührt. Erinnerungen der tiefen Erdung klopfen an, aus der Zeit, als ich noch regelmäßig mit meinem Pferd ausreiten war. Rehe, die mir als Fußgänger nur in weiter Entfernung begegnet wären, meines Pferdes wegen aber auf wenigen Metern nur den Kopf hoben und aufmerksam beobachteten. Vogellaute, Holzgeknarze, ansonsten nur atmen. Herrlich.

    Das alles in der Nähe Hamburgs bzw am Rand. Um diese Ruhe dort genießen zu können, bedurfte es weiter Strecken auf dem Pferd zurückzulegen.

    Vorher viele Ausflügler. Mit Fahrrad ohne Rücksicht wenige Zentimeter am Pferd, an Kinderwagen vorbei. Jogger, die sich durch blose Anwesenheit anderer gestört fühlten im Laufrausch, die gerne auch provozierend in Hundeleinen liefen. Müttergruppen mit teuren Kinderwagen, die ratschend nebeneinander herspazierten, ihre weiteren Kleinkinder augenscheinlich unbeobachtet duchrs Unterholz marodierend, die Häupter mit bunten Stoffmützen bekleidet, die man auf jedem muttibetriebenen DIY-Näh-Blog sehen kann.

    Und dann Hunde und ihre Besitzer. Von allen gehasst. Fahrradfahrer, Jogger, Mütter, ältere Herrschaften mit Wanderschuhen und -stock…. am Hund konnten sich alle aufreiben. Bzw an der Leinenlosigkeit. Denn tatsächlich ist es dem Gro der Hundehalter egal, ob sie gerade am großen Schild mit Seeadler drauf vorbei gehen oder an den extra aufgehängten Bildern vom gerissenen Reh, die ich einheitlich bei Hamburg genau wie in St. Peter Ording gesehen habe. Beim Passieren dieser Schilder und Bilder wird demonstrativ in die andere Richtung geguckt. Das bietet natürlich viel Angriffsfläche, die gerne genutzt wird. Unabhängig davon, ob der Hund sich überhaupt vom Weg weg bewegt, ob er auf Ansprache sofort reagiert, es wird gemeckert.

    Nun bin ich auch Hundebesitzerin. Wohne mittlerweile in einer Kleinstadt an Hamburg. Die Hunde mache ich nur in Freilaufflächen ab, bzw unsere Lütte ja, den großen nicht. Alt, schwerhörig und sehbeeinträchtigt – man muss es sich im Leben ja nicht unnötig schwer machen. Einige Reaktionen seinerseits zeigen an, dass er vergesslich wird. Das macht wohl auch vor Hunden nicht Halt.

    Laaange Rede, kurzer Sinn

    Ich vermisse die Ruhe, die Erdung, die Unbegrenztheit im Wald. Nur mit Hunden erreiche ich die nicht. Weil ich nicht ableinen kann und will und ich damit aber ziemlich alleine bin in einem Gebiet, das durch die direkte Nähe zu Hamburg noch stark frequentiert wird von vielen Erholungssuchenden, denen das leben-und-leben-lassen fehlt. Unabhängig davon, ob sie Räder, Stöcke oder Leinen bei sich haben.

    Ein Kreuz ist das. Ich beneide Sie.

    LG
    Katja aus Ahrensburg

  • Bernd 20. Januar 2017

    Ich liebe den Wald auch, mir ist aber auch schon aufgefallen, dass in ländlicheren Regionen generell weniger “Verkehr” im Wald ist, als in Stadtnähe (Vergleiche mit Berlin kann ich nicht ziehen, nur mit Darmstadt und Frankfurt).
    Meine Theorie dazu ist, dass sich das auf dem Land einfach verläuft. Dort gibt es so viel Wald und so viele Spazierwege, dass sich die Wanderer besser verteilen. In der Stadt gibt es wenig Wald für viele Menschen, dadurch wird es voller.
    Einer von vielen Gedanken, die mir im Wald gekommen sind.

    • LandLebenBlog 20. Januar 2017

      Ich denke eher, die LandMenschen gehen tatsächlich nicht so begeistert wandern wie ihre städtischen Kollegen. In den Wald geht man zum Arbeiten, nicht zum Vergnügen. So ist meine Erfahrung. Das ist wie mit den Fischern auf den griechischen Inseln – die kämen ja auch nicht auf die Idee, sich an den Strand zu legen oder schwimmen zu gehen. Oder? Aber dass es sich im Zweifelsfall auch mehr verläuft, klingt auch einleuchtend.

  • Pingback:Was schön war. – LandLebenBlog

  • LandEi 22. Januar 2017

    Neulich im Urlaub auf Madeira: nach langem Marsch in praller Sonne in den Lorbeer-Urwald eingetaucht und wie zuhause gefühlt.
    Ist alles noch etwas imposanter dort, aber das Heimatgefühl war der intensivste Eindruck.

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