Grenzerfahrung.

9. Juli 2016

Eigentlich ist das hier ja ein Landlebenblog aus dem Odenwald, aber umständehalber müssen wir uns nun also für eine kurze Zeit anderen ländlichen Regionen zuwenden. Das kann ja nicht schaden, und so gesehen ist Provinz ja immer gleich Provinz, ob nun im Odenwald oder in der tiefen Pfalz. (hier müssen Sie sich nun einen kollektiven Aufschrei der Pfälzer vorstellen, einen akustischen Tornado sozusagen, die Gegend hier sei doch tausendmal schöner als der finstre Odenwald, werden sie schreien, und überhaupt, der Wein, der Saumagen, und wasweißich, wir ignorieren das jetzt einfach.)

Wie dem auch sei: Gefühlt bin ich auch hier am Ende der Welt gelandet, und tatsächlich ist es das Ende der deutschen Welt, zumindest ein Ende der Bundesrepublik. Und man wandert durch diese liebliche Landschaft, durch Wälder voller blühender Esskastanien, durch Weinberge und romantische Dörfer, den Blick immer Richtung Horizont, Richtung Elsass, Richtung Frankreich.

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Aber was da so lieblich aussieht, die Weinberge, die Wälder, die Dörfer, all das war über Jahrhunderte heiß umkämpft, ein wahres Schlachtfeld, man kann es gar nicht anders nennen. Wer sich ein bißchen in die Geschichte einfummelt (und ich habe hier ja in der freien Zeit nicht viel anderes zu tun), wer sich also da ein bißchen in die Historie der Region einfummelt, der liest von ständigen Kriegen, von dauernden Grenzverschiebungen, von Hass und Blut, von Bomben und Granaten, vom Westwall und schlußendlich von hunderten von Bunkern und von Tausenden von Toten im zweiten Weltkrieg. Unzählige Bunkeranlagen im lieblichen Wald bezeugen das, inzwischen umrankt von wilden Brombeeren und Brennesseln, der Beton und die verrosteten Stahlträger wehren sich gegen die Zeit und das Vergessenwerden. Auf einer Lichtung erzählt ein Holzschild von einer dramatischen Schlacht 1945, überall hier oben hätten die Leichen im Wald gelegen, alles voll mit zerfetzten Leibern gleich mehrerer Nationalitäten, und es würde einen nicht wundern, wenn man auch heute noch auf menschliche Überreste zwischen blühenden Kastanien und Steinpilzen stieße.

Und während man beim Wandern und Spazierengehen noch darüber nachdenkt, stolpert man unversehens über einen klitzekleinen alten Grenzstein, der rechte Fuß ist schon in Frankreich, der linke noch in Deutschland. Oder der Wanderer merkt überhaupt erst bei der Ankunft im nächsten Dorf, dass er nun offensichtlich gar nicht mehr in seiner Heimat ist, sondern schon im Nachbarland. Abends in den Weinstuben sitzen hüben wie drüben Deutsche und Franzosen und gönnen sich ein Viertele, und in den Geschäften können Sie die Verkäuferin auf Deutsch oder auf Französisch anquatschen, das ist tatsächlich völlig wurst, hier spricht offensichtlich jeder alles.

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Das war schon eine ziemlich unglaubliche Idee, die der alte Adenauer und de Gaulle da hatten, seinerzeit, als sie die deutsch-französische Freundschaft proklamierten. Nach all den Kriegen, nach all den Kämpfen, nach all dem Hass, dem Blut und all den vielen Toten. Aber die verwegenen Ideen großer Staatsmänner sind ja das Eine, und die Menschen, die die Idee mit Leben füllen sollen, sind das Andere. Und eine von oben verordnete Freundschaft ist ja auch so eine Sache.

Ich habe keine Ahnung, wie – aber irgendwie hat es eben doch geklappt mit dieser Völkerfreundschaft. Völkerfreundschaft ist ein ziemlich gräßliches Wort, ja, es ist mir fast ein bißchen peinlich, aber es drängt sich einem geradezu auf, wenn man hier unten unterwegs ist, und mir fällt beim besten Willen auch kein besserer Begriff ein für das, was die Menschen hier geschaffen und geschafft haben. Es ist im wahren Wortsinn fast unglaublich.

Und während ich mit einem stinknormalen Linienbus zwischen Deutschland und Frankreich unterwegs bin, und wir mit 50 Sachen die verlassenen Grenzhäuschen passieren, mit ihren heruntergelassenen Rolläden und dem Unkraut, das ungestört zwischen den Stufen und der Tür wächst, währenddessen also frage ich mich, wie dumm man eigentlich sein muß, um wieder nach geschlossenen Grenzen zu rufen.

 

 

 

 

  • 9 Kommentare
  • Astridka 9. Juli 2016

    Du hast mir mal wieder die Augen feucht werden lassen, liebe Friederike! Ich versuche nun seit einiger Zeit ( manchmal auch echt verzweifelt über die Dickköpfigkeit von bloggenden Zeitgenossen in einem östlichen Bundesland ) in meinem Blog all diese Erinnerungen wachzurufen und DEN Grund, den ich für den wesentlichsten Pluspunkt von Europa halte, immer wieder ins Gedächtnis zu rücken. Wer das nicht sehen kann, diesen über siebzigjährigen Frieden ( der unserem Land NIE über einen so langen Zeitraum gegönnt war ), der ist einfach hartleibig, oder?
    Auf die Frage: Wer ist für mich ein großer Europäer? würde ich antworten: Mein Großvater, ein armer Odenwälder Bauer, der, 44jährig, Vater von sechs Kindern, Verdun überlebt hat und ab da in seiner Familie ( nicht immer mit Erfolg ), seinem Dorf für die Verständigung & den Frieden unter den europäischen Völkern geworben hat. Sein Vermächtnis trage ich in mir, meine Familie ihr ganz kleines deutsch-französisches Projekt.
    Alles Liebe!

  • Matthias Eberling 9. Juli 2016

    Schön, dass du wieder da bist. Und schon breitest du die Schmucksteine deiner Erzählungen und Beobachtungen vor uns aus. Vielen Dank!

    • LandLebenBlog 9. Juli 2016

      Naja, so wirklich da bin ich noch nicht, aber so richtig weg ja auch nicht. Hach, das Leben ist vielschichtig… Danke für die nette Rückmeldung!

  • mikelbower 9. Juli 2016

    Ja. Schöner Text. Und erstaunlich: Sowohl eure Blogheimat hier, wie auch die Südpfalz drüben sind Teil der Metropolregion Rhein-Neckar und des VRN, dem Verkehrsverbund. Kann man mit dem Jobticket, dem MAXX-Ticket oder meiner Karte ab 60 bereisen, per Flat, oder den Tagestickets. Das mit dem Odenwald muss ich noch besser lernen. Ist eines meiner Projekte. ;) Wissembourg gehört jedenfalls mehrmals jährlich zum Programm. Das war ein Hallo, als es auch zum VRN kam und genau die Gedanken, die du oben schilderst hatte damals fast jeder, der die Tour machte.

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  • Perry 21. Juli 2016

    Ich habe den Beginn der deutsch-französischen Freundschaft aktiv miterlebt! Wir waren mit der Kirchengemeinde in Nancy der Partnerstadt von Karlsruhe und es hat uns sehr gut gefallen und auch später waren wir oft in Frankreich. Heute im vereinten Europa ist dies immer wieder eine beglückende Erfahrung, wenn ich von Spanien, wo ich jetzt wohne nach Deutschland fahre. Keine wirkliche Grenze passieren muss und auch kein Geld wechseln. Und ich habe eine tiefe Freude und Rührung in mir, wenn ich die europäischen Nationalhymnen beim Fussball höre, tolle Profis sehe, die sich gut kennen und nach einem grandiosen Spiel auch die Gegner in den Arm nehmen! Danke Adenauer, merci Charles de Gaulle!

  • Südpfalz 24. Juli 2016

    Ist nicht so, dass ich häufig kommentiere – für diese Worte aber möchte ich mich schon bedanken, denn ich lebe hier in einer ehemaligen Grenzzone, in der die Zollhäuser nun dazu dienen, älteren Herrschaften eine schöne Wohnung zu verschaffen oder die kaum noch erkennbaren Verteidigungswälle an der Lauter nur noch schöne Bestandteile von Wanderwegen sind.

    Und ja, es ist wirklich so – die Südpfalz ist ein wunderschöner Flecken zum Leben und das schon seit vielen Tausend Jahren und wenn ich an Herxheim denke, dann hat das wohl viel zu lange viel zu oft viel zuviel Streit erzeugt. Für amerikanische Hugenotten habe ich einmal versucht, Familienstammbäume zu ermitteln und für unsere Gegend zwischen ca. 1600 und 1650 nur knappe 30 Dokumente gefunden – nicht weil kein Mensch hier lebte oder niemand des Schreibens kundig war, sondern weil diese ewigen Kriege schlicht nicht “Väter” von irgendwas sind, sondern nur alles zerschlagen.

    Am Lauterbogen bei der Bienwaldmühle, wo man die elsässische Straße nach Wissembourg hören kann, fällt mir, immer ein Anstellungsvertrag für einen Folterknecht ein, in einer Behördensprache formuliert, die so hundsnormal klang wie jeder Schreibtischjob heute. Menschenwürde oder Menschenleben war damals wohl einfach kein Thema, höchstens vielleicht bei den Einflussreichen, doch Leute wie du und ich, die wir so jetzt die Burgen, Schlösser oder Domkirchen erobern, die niemals für unseresgleichen gebaut waren, sollten vielleicht viel häufiger auf die alten Fingerzeige achten, dass das, was wir heute haben, nicht so selbstverständlich ist, wie viele das zu glauben scheinen.

    Damals am Lauterbogen hat mich genau dieses Gefühl von Freude und Zufriedenheit erfüllt, nicht mehr in solchen Zeiten leben zu müssen, wo Menschenleben nichts wert waren – dieses Gefühl, das mir der obige Text ebenfalls vermittelt hat, zu dem auch der letzte Satz prächtig dazu passt.

    Viele scheinen überhaupt keinen Respekt mehr davor zu haben, dass wir in einem friedlichen Land leben können, bei dem man mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen kann, den nächsten Tag zu erleben, so als würden uns nicht die Nachrichten ständig von kommunikationsunfähigen Menschen berichten, die zu nicht mehr taugen als sich gegenseitig zu foltern und zu töten. Nur offene Grenzen können so etwas vermeiden, falls, ja falls sie eben auch mit offenen Köpfen einhergehen.

    “währenddessen also frage ich mich, wie dumm man eigentlich sein muß, um wieder nach geschlossenen Grenzen zu rufen.”

    vielleicht ist das wirklich etwas, was man am besten versteht, wenn man durch solche alten Kampfgebieten zieht, wo jeder halbwegs regelmäßige Hügel im freundlichen Wald ein Zeuge von endlosem Blutvergießen war.

    • LandLebenBlog 29. Juli 2016

      Danke für Deinen Kommentar! Mich hat das jedenfalls auch noch mal deutlich nachhaltiger beeindruckt als jeder Geschichtsunterricht.

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