Geht doch.

20. November 2015

Die wollten wissen, was es mit dem Volkstrauertag auf sich hat. Da hat man denen das erklärt. Und dann sind die plötzlich alle bei der kleinen Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof aufgetaucht. Und hinterher im katholischen Gottesdienst. Alles Syrer und Afghanen, alles Moslems. Der Mann grinst breit, einige Zuhörer grinsen mit. Geht doch, hier im Odenwald, sagt er grinsend und lehnt sich zurück.

Dieser Tage im kleinen Städtchen hier um die Ecke. Die Kreisverwaltung informiert die Bürger. 200 Flüchtlinge sollen in riesigen Leichtbauhallen am Rande der Innenstadt untergebracht werden, woanders ist derzeit kein Platz. Zuwenig geeignete Immobilien, zuviele zugewiesene Menschen selbst hier, am vermeintlichen Ende der Welt. Schon Anfang Dezember sollen die Zelthallen in der 20.000-Seelen-Gemeinde aufgebaut werden, ab Januar werden die Flüchtlinge erwartet, Männer aus Syrien zum Großteil, die Verwaltung will den Bewohnern des Städchens ihre Pläne vorstellen.

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Um es gleich vorweg zu nehmen: es wird ein stinklangweiliger Abend. Erfrischend langweilig, entspannend langweilig. Die Halle ist nur dreiviertel gefüllt, die 80 oder 90 Besucher hören zu und fragen nach, äußern Sorgen und Bedenken, machen Vorschläge, einige tragen sich hinterher in die Listen des Helferkreises ein, der dringend Unterstützung braucht. Der Sportverein, direkt hinter den geplanten Hallen, hat schon angeboten, daß die Männer mittrainieren können auf dem Fußballplatz, heißt es. Und einer will wissen, ob man die Flüchtlinge schon beschäftigen dürfe, arbeitsrechtlich undsoweiter.

Ich hatte mich auf Gemaule, Gepöbel und Geschrei gefasst gemacht und werde wieder einmal wohltuend enttäuscht. Ganz zum Schluß fragt einer aber doch, eine knappe Woche nach dem Terror in Paris, in Richtung Bürgermeister Können Sie uns garantieren, daß da keine Terroristen mit dabei sind? Der Bürgermeister schüttelt den Kopf. Nein, das kann ich nicht, sagt er. Ich kann Ihnen ja auch nicht garantieren, daß nicht heute abend, unter uns, ein Terrorist ist. Beifall brandet auf.

Am Ende erzählt einer noch von den Erfahrungen aus den winzigen Dörfern, rund ums Städtchen. Überall sind hier schon Flüchtlinge untergebracht, überall kümmern sich Nachbarn und Dorfbewohner. Wir machen auf den kleinsten Dörfern die besten Erfahrungen, sagt der Mann von der Kreisverwaltung, der den undankbaren Job hat, die vielen Menschen unterzubringen, irgendwo, irgendwie. Die Anekdote mit dem Volkstrauertag und dem Gottesdienst kannte er noch nicht, passt aber, sagt er und grinst auch.

Ich sitze also dabei und langweile mich wohltuend und denke an den unsäglichen Artikel im Berliner Tagesspiegel, Monate ist das schon her. Schickt die Flüchtlinge nicht auf die Dörfer!, flehte die Autorin gleichsam die Politik an, Dörfer und Provinz, das sei hässlich, abweisend und feindselig, per se, überall in Deutschland. So richtig Fuß fassen könne ein traumatisierter Mensch aus einem Kriegsgebiet eben nur in Berlin-Mitte, zur Not auch noch in Hamburg oder München, sonst eigentlich fast nirgendwo. Ich musste das seinerzeit natürlich hier im Blog zum Thema machen, wenn Sie möchten, können Sie das hier nocheinmal nachlesen.

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Ich denke außerdem über einen Satz nach, den ich neulich aufschnappte: Die Toleranz steigt mit dem Abstand zum Problem. Soll heißen: je weiter die Flüchtlinge weg sind, desto toleranter sind wir, aber wehe, sie ziehen direkt in die Nachbarschaft. Bezogen auf den armen Odenwald ist dieser Satz ganz schlichtweg falsch, so scheint es mir. Je näher die Fremden kommen, desto größer werden Empathie und tatkräftige Unterstützung. Erst wird hier und da gemault über die Asyllande, und irgendwann wird nicht mehr groß gefragt, sondern geholfen, ganz pragmatisch. Und wenn der Abdul Fußball spielen kann: bitte sehr, wir suchen dringend einen Stürmer.

Ob das alles mit bis zu 200 Männern in zwei großen Zelten so gut funktioniert wie mit ein paar Dutzend pro Dorf drumherum, das muß sich zeigen. Wir haben keine andere Wahl, sagt der Mann vom Landratsamt. Es fehlen geeignete Gebäude, die neue große Gemeinschaftsunterkunft im Städtchen wird erst im kommenden Sommer fertig, so lange muß die Lösung mit den Zelthallen her. Niemand weiß, wie die Zahlen sich entwickeln, wieviele noch kommen, wieviele gehen. Wir waren ja als Verwaltung doch bisher immer stolz darauf, alles gut im Griff zu haben, sagt der Bürgermeister, im Moment haben wir in dieser Sache kaum noch was im Griff. Er verweist auf die Homepage der Stadt, auch da kann sich eintragen, wer helfen mag. Wir sind auf Ihre Unterstützung angewiesen. 

Tags drauf treffe ich einen Mann aus dem Dorf mit der Volkstrauer- und Gottesdienst-Anekdote. Eben hat er einen Flüchtling zum Zahnarzt gefahren. Läuft bei uns, ruft er aus dem Autofenster seines schicken Wagens. Die Menschen machen uns doch null Probleme. Wenn uns was Probleme macht, dann nur die große Politik.

 

 

Wenn Sie vom Thema immernoch nicht genug haben, lesen Sie mal das hier. 750 Flüchtlinge auf 102 Einwohner in einem Nest in Norddeutschland. Nicht das Ob steht im Vordergrund, sondern das Wie.

 

 

 

  • 6 Kommentare
  • Christjann 20. November 2015

    Ich glaube, dass man auf dem Land eben noch weiß, dass es auf jeden Einzelnen ankommt; jeder Einzelne ist wichtig, vor allem, wenn es darum geht, etwas zu stemmen, zu gestalten, was auch immer (ganz gleich ob Weihnachtsmarkt, Sommerfest oder Flüchtlingsbetreuung). In der Stadt kann man sich leichter wegducken und sich nicht angesprochen fühlen. Und dann auch leichter meckern, wenns schief läuft …

  • Micha 21. November 2015

    Eine Mutmachgeschichte, die gut tut! Aber so richtig!

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  • Hartmut Bock 1. Dezember 2015

    Ich stimme dem Verfasser zu. Dort wo die Rahmenbedingungen in den kleinen Orten und Städten passen, da funktionieren auch das Zusammenleben und die ersten Schritte der Integration. Allerdings gibt es auch eine starke Tendenz der überwiegend jungen Flüchtlinge zum Umzug und Wegzug in größere und große Städte. Dort leben die Landsleute, dort gibt es sehr leicht Kontakte untereinander, dort gibt es auch berufliche Chancen. Eine Bleibeperspektive auf dem Lande ist nur schwer zu vermitteln. Leider.

  • Amélie 9. Dezember 2015

    Ich gehöre auch zu den Leuten mit der Aufgabe, den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu organisieren. Ich würde sie nicht als undankbar bezeichnen – ich liebe meine Arbeit. In Bayern hat erfreulicherweise jeder und sofort den Anspruch auf einen Schlafplatz, kurative medizinische sowie sanitäre Versorgung, Lebensmittel und Kleidung, sobald er das Zauberwort “Asyl” äußert – und das funktioniert. Niemand muss hier auch nur eine Nacht im Freien verbringen. Ich bin geschockt über Bilder aus anderen Bundesländern, wo bei 30 Grad im Schatten nicht einmal Wasser verteilt wird.

    Ich selbst veranstalte viele Informationsabende, immer dann, wenn eine neue große Unterkunft eröffnet wird; und gerade im ländlichen Raum sind im Vorfeld und bei den Veranstaltungen die kritischsten Töne zu vernehmen. Bis die Flüchtlinge dann tatsächlich einziehen und die Anwohner merken: hoppla, auch nur Menschen.

    Insofern ist dies zu meinem Leitspruch bei allen Informationen geworden. Flüchtlinge sind auch nur Menschen wie Sie und ich.

    Ich danke Ihnen für diesen schönen Artikel.

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