Die ollen Bäume hacke ich Ihnen auch noch um!, verspricht der Alte und zwinkert meiner Freundin Jana verschwörerisch zu. Jana wohnt in einer Wohnung in der nächsten Kreisstadt und sucht nun mit meiner Hilfe ein Häuschen auf dem Lande, vorerst nur zur Miete.

Dieses hier hat es uns besonders angetan: ein kleines, verwinkeltes Hexenhäuschen mitten auf einer Wiese mit alten Birnbäumen, einem Nussbaum, einer Kastanie. Schattige Plätze, die nach einem Glas Rotwein in lauer Sommernacht geradezu schreien. Die ollen Bäume hacke ich Ihnen auch noch um, wiederholt der potentielle Vermieter hoffnungsfroh.

Obstbaumwiese

Foto: Klaus HilgerWenn Sie die ollen Bäume auch noch umhacken, können Sie sich Ihr ganzes kleines Häuschen gleich in die Haare schmieren, antwortet Jana in der ihr eigenen westfälisch-direkten Art. Verdutzt schaut der Mann sie an. Aber Bäume machen doch nur Dreck, gibt er zu bedenken. Die Bäume bleiben, oder wir gehen!, sagt Jana noch einmal bestimmt.  Am Ende bleiben die Bäume, und Jana unterschreibt ihren Mietvertrag.

Jeden Herbst, wenn sie ganze Nachmittage damit verbringt, kontemplativ Laub zu harken, eimerweise Nüsse für die Speisekammer und Kastanien fürs Feuer zu sammeln und sich bei alldem über ihr archaisches Leben auf dem Lande freut, kommt der Vermieter von gegenüber angeschlurft. Ich habe ihnen ja angeboten, die ollen Bäume auch noch umzuhacken! Aber Sie wollten ja nicht!

Ich liebe diese Bäume. Und ich liebe diese Arbeit, antwortet Jana dann, und der Vermieter schüttelt nur den Kopf. Städter.  Bekloppte. 

 

Der junge Häuslebauer im Neubaugebiet am Rande des Nachbardorfes hat gleich kurzen Prozess gemacht. Dort, wo der Garten hinsoll, stehen auf wilder Wiese ein paar alte Apfelbäume, knorzige Gewächse mit Flechten und Moosen, deren dicke Äste sich in alle Himmelsrichtungen strecken.

Die müssen mal als erstes weg. Schließlich braucht die Kleine Platz zum Spielen. Und was zum Klettern! Mit ein paar Freunden aus dem Dorf sägt und hackt er einen Tag lang, dann werden die Stümpfe und die Wurzeln mit dem Traktor aus der Erde gerissen, das ganze Grundstück umgebaggert.

Auf schütterem Rasen, Marke Gartenfachmarkt, stehen ein paar Wochen später eine pinkfarbene Plastik-Rutsche und eine hellblaue Kunststoffkinderkletterburg. An einem wackligen Metallgerüst baumelt eine Gummischaukel.

 

Die idyllische Struktur der alten Ortschaften, von meinen Großstädtern besuchsweise bewundert, ist mancherorts schon in Gefahr auf dem Land.  Die Obstbaumwiesen verschwinden, und Neubausiedlungen mit dem Charme von Fertighauscentern strecken von außen ihre Arme Richtung altes Dorf.

Hier bauen moderne Landmenschen pflegeleichte Bungalows oder wuchtige Einfamilienhäuser mit ausgestanzten Gucklöchern und Türen von der Stange,  Modell „Toskana“ oder „Allgäu“, die  sich an kein Verhältnis halten,  sich nicht an Wind, Wetter oder Traditionen orientieren.  So, wie der Oma ihr klein Häuschen das noch tat.

Statt hinter hölzernen Fensterläden verbarrikadieren sich die Bewohner hinter Plastikrollläden, die elektrisch heruntersummen, sobald es dämmert. Energetisch sinnvoll. Ums Haus herum ein bisschen Rasen aus der Tüte, ein paar Verbundsteine, ein Car-Port und Garagen, die so groß sind, dass sie früher einer ganzen Odenwald- Familie Platz geboten hätten.

Nichts hier soll nach Landleben aussehen, nichts nach deutscher Provinz riechen. Zur gleichen Zeit verfallen im Dorfkern die alten Bauernhäuser. Mit ein bisschen Glück bekommt man hier ein Haus für unter 100.000 Euro, aber mit ein bißchen Pech entpuppt die Immobilie sich als Büchse der Pandora. Als Fass ohne Boden. Im schlimmsten Fall kommt dann auch noch der Denkmalschutz.

Viel zu teuer, viel zu aufwändig ist oft genug die Sanierung, billig genug das Bauland. Junge Familien können oft nicht anders als neu bauen. Selbst, wenn sie es wollten.  Nur eines wollen sie eben gewiß nicht: Der Oma ihr klein Häuschen übernehmen. Dabei gibts inzwischen sogar Geld vom Staat und der EU, das man bekommt, wenn man alte Baustubstanz im Ortskern wiederbelebt. Schließlich geht es auch um Landverbrauch. Nur leider reicht das offensichtlich nicht als Anreiz.

Was kostet denn bei Ihnen der Quadratmeter?  habe ich in den ersten Odenwälder Wochen mal den Bürgermeister gefragt. Bauland, erschlossen? 49 Euro, hat er geantwortet. 49 Euro?? wiederholt Geo wie ein ungläubiges Echo. Finden Sie das zu teuer?, fragt der Bürgermeister, ehrlich besorgt. Finden wir nicht. Schließlich kosten Grundstücke, die nicht mal eine Fahrstunde entfernt liegen, mitunter schon das Zehnfache.

Wir entscheiden uns trotzdem gegen einen Neubau, für ein vergleichsweise altes Haus. Immerhin steht es schon eine Weile leer herum und verlottert zusehends. So hässlich, dass es keiner haben will. Das aller-hässlichste Haus im ganzen Odenwald, pflege ich zu sagen, aber Geo widerspricht dann immer. Es lebt eben von innen, sagt er etwas esoterisch. Wahrscheinlich sehen das die Bewohner der Neubauhäuser an den Dorfrändern genauso.

Ein ehemaliges Gasthaus aus den 60er Jahren haben wir gekauft und saniert, mitten im Dorf, trotzdem leider ohne EU-Zuschüsse, grottenhässlich von außen, auch jede Ordnung  sprengend, aber optimal von innen: wenige, aber riesige, helle Räume, viele Fenster , hohe Wände. Das Haus bietet alles, was ein freischaffender Künstler-Geo braucht.  XXL-Türen und ein großes Tor.  In seinem letzten Junggesellenatelier stellte mein Künstler erst bei einem Bildverkauf fest, dass das verkaufte Bild, oh schreck, ja leider gar nicht durch die Tür passt, und sowas soll ihm nicht nochmal passieren.

Dazu ein riesiger Garten mit Bäumen und Büschen, die Scheune, die Hühnerwiese. („Das ist doch kein Garten“, hat mal der Besuch eines Gartenordnungs-liebenden Nachbarn beim Blick über den Zaun gewispert,  – nicht ahnend, dass mein Geo direkt hinter dem Zaun auf allen Vieren durch den Rudi-Steiner-Kompost kroch, „das ist doch ein Dschungel!“)

Party1

Ich weiß auch nicht, wer diese Männer sind, die da in meinem Eßzimmer sitzen. Ist aber auch schon ein paar Jahre her.Hässlich, aber zumindest traditionsreich: Das ist mein Trost. In unserem Esszimmer haben bis in die 80er Jahre die Paare aus dem Dorf ihre Hochzeiten gefeiert, haben sich abends die Männer am Stammtisch getroffen. Jeder Dorfbewohner über 40 hat in den Pensionszimmern des Hauses, in denen wir heute leben und arbeiten,  irgendwann mal einen legendären Rausch ausgeschlafen.

Zum Einzug hat der Ortsvorsteher uns eine dicke Sammlung alter Fotos geschenkt: Das Gasthaus „Löwen“: Bilder vom winzigen Vorgängerbau um 1900, Bilder von der stolzen, ausladenden „Löwen“-Wirtin am Tresen ihres schicken neuen 60er-Jahre-Klotzbaus, Fotos von wilden Hochzeitspartys. Unsere Nachbarin haben wir auf einem der Fotos wiedererkannt, beim Hochzeits-Tanz in unserem Esszimmer.

Party2

Als kleine Reminiszenz an die Löwen-Vergangenheit des Hauses haben wir versucht, so wenig wie möglich zu verändern. Haben die honiggelben Glasscheiben in den Türen zwischen Gastraum und Küche belassen, die so scheußlich sind, dass es fast schon wieder schön ist, haben das knallrote Kunststoff-Metallgeländer an der 60er Jahre-Treppe, die Aufschrift „WC Damen“ am kleinen Bad erhalten.

Das Haus ist nicht hässlich, es ist authentisch, tröstet mich der beratende Architekt. 60er Jahre auf Odenwälderisch.

Na, immerhin. Dann hab ich ja gut reden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

16 Kommentare zu “Einfach umhacken.”

  1. hat Spaß gemacht!wiedermal eine so schöne Geschichte vom Odenwald zu lesen – DANKE! Euer Haus hat Atmosphäre! und ich glaub, ich weiß auch warum – in der Vergangenheit waren dort die Menschen fröhlich, haben gelacht und gefeiert und von diesem Glück haben die Mauern ganz viel aufgesaugt und geben es nun an Euch wieder retoure….ich weiß wovon ich schreibe – hab mal ein paar Jahre in einer Wohnung als Erstbezug gewohnt und fühlte mich total unwohl – so leer und unbewohnt und kalt….
    lg etheike

    1. Ich glaube aber tatsächlich, daß es eben auch eine Frage des Geldes ist. Vielleicht würden auch mehr junge Familien in alte Häuser mit Geschichte ziehen, wenn das finanziell einfacher wäre, keine Ahnung. Den Dörfern täte es gut. Aber so billig wie dagegen das Bauland ist, da is man ja schön blöd, wenn man nicht neu baut. Die schönsten restaurierten Bauernhäuser gehören ja nicht selten zugereisten Reichen.
      Und bei unserem Klotzhaus denke ich auch oft: ja, man spürt, daß hier Leute eine gute Zeit hatten.

    1. An Sie und Ihre Geschichte hab ich schon oft denken müssen, und daran, daß man leider nicht so deutlich werden kann, wenn man un-anonym unterwegs ist. Aber auch hier nochmal: vergleichen Sie mal in den entsprechenden Gegenden Immobilien- und Bauland-Preise, da erklärt sich mitunter einiges.

      1. Meinen Sie das Abreissen? Ja, das Trautheim war genau so eine Geschichte: Eine Erbengemeinschaft hat das alte große Grundstück verkauft, auf das dann zwei Mehrfamilienhäuser gebaut wurden. Vermutlich hatte keiner das Geld, die anderen auszubezahlen, falls es hätte einer behalten wollen. Und als Einfamilienhaus kaufen kann sich das hier kaum mehr einer.

        Gleich bleibt aber der Drang nach Hübsch- und Neumachung. Praktisch. Gepflastert. Plastikfenster. Eternit.

    1. Nie gehört!! Asche auf mein Haupt. Den Film sehe ich mir am Wochenende mal an, klingt spannend, danke!

  2. viel zuneigung zu eurem haus liest sich da.
    die neugebauten siedlungen sehen hier genauso aus – einheitshäuser, riesig und seit neuestem in meinen lieblingsfarben orange und ocker gestrichen. nur rollläden gibt es bei uns nicht. die die dörfer zu nächtlichen geistersiedlungen machen.
    liebgrüße aus dem waldviertel
    ingrid

  3. Wieder ein schön geschriebener und nachdenkenswerter Blog. Vielen Dank, Friederike. Was sowohl “Neubauer” als auch “Altsanierer” vereint, das kann man beim (leider nicht mehr lebenden) französischen Soziologen Pierre Bourdieu in seiner kleinen feinen und sehr lesenswerten Studie “Der Einzige und sein Eigenheim” reflektieren. Nämlich unser aller Motive, Eigentum – ob neu gebaut oder saniert – zu erwerben. Falls von Interesse, anbei ein link dazu: http://www.vsa-verlag.de/detail/artikel/der-einzige-und-sein-eigenheim/
    Übrigens, ich bin ein “Neubauer” ;-)

  4. …wenn FFM nicht soweit wär. Wenn ich nicht so eine Abneigung gegen Pendler hätt’ (Parkplatzräuber; PR-Verweigerer, Zonenrandbewohner) dann würd ich mir auch gern so ein Haus suchen: Ja im Ortskern und wenns denn ein Fass ohne Boden wär – seelenlose Wohnklos in “Von_der_Stange_Fertighaus_Quadratoptik” mag ich nicht.

    1. naja, für das Geld, das man spart, wenn man zum Beispiel hier im Odenwald ein Haus kauft/baut/saniert – statt in der Nähe von MA/H oder FFM – also von dem gesparten Geld kann man sich eigentlich einen Chauffeur leisten, der einen täglich zur Arbeit kutschiert.

  5. Also nä….so hässlich ist Euer Haus von aussen nicht. Das kann man wirklich nicht sagen. Unser Haus wurde ja auch 60-gern gebaut. Okay, wir haben “Plastik” Rolläden eingesetzt, aber nur darum, da die Vorbesitzer (nicht die Häuslebauer)die Gute der schönen Holzrolläden festgetackert hatten, und die Latten ausgehängt haben :-( Und ich wollte keine Fenster ohne Schutz. Klar, der Anbau ist schon moderner, aber man sollte ja auch sehen, dass es ein neuer Anbau ist ;-) Auch unser Nachbar meinte, als unser Anbau fertig war: Es wird zeit, dass hier mal wieder ein ordentlicher Rasen in den Boden kommt. Ich entggegenete: das würde nicht zu mir passen, auf keinen Fall kommt Rasen rein. Ich wollte ja wieder einen Gemüse- und Blumengarten, aber das ging ja keinen was an. Im letzten Jahr, als wir Tomaten, Paprika und co. anbauten hat er nur geschaut, aber, Gott sei Dank, nix gesagt. ach und einen alten Schweinestall und Hühnerstall hab ich auch noch zu bieten. Da sind wohl keine Schweine und Hühner drin…aber was nicht is, kann ja noch werden ;-) Heizung haben wir auch keine…im Haus stand ein so schöner alter Holzofen im Flur zur Zierde. Den stellten wir ins Wohnzimmer, gut, der Schornsteinfeger gab uns Zeit bis zum Anbau, dann musste ein neuer her, wegen der Abgasnorm. Ja und jetzt steht in der Küche ein schöner grosser Holzofen mit Backrohr und Warmhalteplatte, die man verändern kann und ein Wasserschiff ( haben wir) einsetzen kann, mit dem wir heizen und kochen. Im Wohnzimmer steht ein Dauerbrandofen. Natürlich heizen wir mit Holz. Wir wohnen ja sozusagen an der Quelle…im Odenwald :-)

    1. Oh, von einem Küchenofen mit Wasserschiff träume ich ja immer noch. Wir haben bei der Sanierung unseres Hauses genau einen solchen Ofen aus der Küche rausgeschmissen…. wie konnten wir sooo blöd sein… ;-(

  6. Hallo
    Wir haben hier tatsächlich auf dem Land ein altes Haus Baujahr 1920 gekauft. Weil uns die ganzen Neubaue gar nicht zusagen. Müssen zwar auch noch einiges machen doch das ist es uns wert. Haben sogar durchzufall die alten voll Holz Kassetten Türen entdeckt. Die waren unter häßlichen siebziger Jahre Türblättern versteckt und würden von uns liebevoll restauriert.
    Wir lieben unseren alten Kasten mit den krummen Wänden ?
    Lg Desiree

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