Dem kiezneurotiker graut vor der ersten Schneeflocke. Weil Berliner sich – wer hätte das geahnt – als Volltrottel präsentieren, wenns ums Autofahren im Winter geht.

Zeit, mal eine kleine Geschichte über Wetter und Verkehr auf dem Lande loszuwerden.

 

 

Wird langsam Zeit.
Wird langsam Zeit.

 

Das ist ja absolut irre!, schreit Freundin Stefanie begeistert aus dem Autofenster, bevor sie überhaupt vor unserem Haus angehalten hat. Das ist ja wie in Malawi!. Stefanie war jahrelang als Entwicklungshelferin im zentralafrikanischen Busch unterwegs, und jetzt steht sie mit ihrem lehmverschmierten Jeep mitten in Balsbach.

 

Per Landkarte hat sie sich aus Frankfurt quer durch den Odenwald bis zu uns durchgefummelt – Navi ist unter meiner Würde – über klitzekleine Straßen und Wirtschaftswege. Herrlich – diese Pisten, diese Schlaglöcher! Als ihr kurz vor Balsbach auf einem asphaltierten Trampelpfad ein dicker Linienbus entgegenkommt und ihren alten Jeep in den schlammigen Waldrand zwingt, singt ihr malawisches Herz vor Freude.

 

Stefanie ist außer sich.  Haben die Autofahrer hier auch immer eine Säge dabei?, fragt sie. Klar: Wer bei Sturm oder Schnee unterwegs ist, braucht die Kettensäge immer mal wieder, um sich den Weg freizusägen. Wenn aber gar nichts mehr hilft, wenn der Sturm tobt und die Bäume rechts und links der Fahrbahn umknicken wie die Streichhölzer, hilft nur noch eines: unters Auto legen und warten.

 

So hat es die Feuerwehr gemacht, beim letzten gigantischen Sturm im Odenwald. Die Geschichte wird immer wieder gern erzählt, wenn es draußen windet und die Feuerwehrmänner sich am Stammtisch treffen.
Beim nächtlichen Einsatz ging plötzlich gar nichts mehr, vorne eine riesige Tanne quer über die Straße, hinten eine meterhohe Buche, und immer schlimmer wurden Sturm und Regen, über die Straße schoss in Flutwellen das Wasser, immer wieder krachte es bedrohlich im Wald.

 

So legte sich die ganze Mannschaft auf Befehl des Kommandanten mitten in der Nacht unter den großen Mannschaftswagen und harrte bäuchlings aus, bis der Sturm abflaute und das erste Morgenrot die Finsternis durchbrach. Durchgefroren und klatschnass bis auf die Unterhose waren die Männer. Aber: Alle am Leben!, sagt der alte Kommandant bis heute stolz.

 

Herrlich!, schwärmt die zentralafrikanische Stefanie wehmütig. Habt Ihr denn auch Stromausfall?. Und wie. Bei starken Gewittern, bei jedem heftigen Sturm fällt gerne mal ein Baum auf eine Stromleitung, knickt irgendwo im Wald ein Mast um. Am liebsten nachts. Mit einem Schlag liegt Balsbach dann im Finstern, verabschieden sich mit einem Seufzen Herd und Kühlschrank, Heizung und Computer, Telefon und Handy.

 

Nach dem ersten nächtlichen Stromausfall hatte Geo eine dicke Beule am Kopf und ich einen blauen Fleck am Knie, irgendwie waren uns die inneren Koordinaten, die Längen- und die Breitengrade unserer eben erworbenen Immobilie im Blindflug noch nicht ausreichend vertraut. Inzwischen liegen an zwei strategisch klugen und unfallfrei zu erreichenden Stellen im Haus Taschenlampe, Kerzen, Streichhölzer.

 

Vor ein par Jahren hat der Sturm Teile unseres Daches abgedeckt, lege ich angeberisch noch eins drauf. Und vorletzten Winter waren wir zwei Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten! So einen Winter hatten selbst die Odenwälder lange nicht erlebt: Alles schien stillzustehen, alles erstarrt.  Eine ganze Region ging angesichts der Übermacht der Elemente in die Knie. Selbst wir Balsbacher.

 

Das war ja noch gar nichts.
Das war ja noch gar nichts.

 

Wo sonst die Straße ist, ein schmaler Trampelpfad, an den Ortseingängen meterhohe Schneewehen, durch die kein noch so schwerer Traktor mehr hindurchkam.  Verlassene Autos in den Straßengräben, steckengeblieben in der weißen Pracht.

 

winter5

 

In einem normalen Winter drehen die Odenwälder erst so richtig auf, ab Schneehöhe 1 Meter 50 macht das Fahren schließlich doppelt Spaß. Wie auf Schienen rauscht man auf der Bundesstraße mit 100 Sachen immer in den Schneespurrillen, wer langsamer fährt, kriegt schon mal den Stinkefinger.

 

Solange kein Städter auf Odenwälder Straßen unterwegs ist, geht das alles prima. Abbiegen geht allerdings  nur, wenn schon einer vorher abgebogen ist, sonst fährt man halt drei Ortschaften weiter und versucht es von Norden statt von Süden, nach Hause zu kommen. Und haut es einen trotzdem in den Straßengraben, weil man bei 1 Meter 50 Schnee halt Feld von Straße nicht mehr unterschieden kann, kommt von irgendwo ein Traktor und zieht Dich raus. Ohne groß zu fragen. Macht man hier einfach so. Und glattgefrorene Eis-Steigungen? Null Problem. Mit Schwung und Schmackes kommt man überall rauf.  Nur zögern darf man nicht. (Habt Ihr das verstanden, Ihr Sonntagsfahrer mit HD, MA, HP???)

 

Die Odenwälder können es so gesehen gar nicht erwarten, daß es endlich schneit. Und drehen dann im Auto den Verkehrsfunk extra laut: 274 Auffahrunfälle in Mannheim. 25 steckengebliebene Straßenbahnen in Heidelberg, SchneeChaos in Frankfurt. Yes, let it snow!

 

Frühsport. Soll gesund sein.
Frühsport. Soll gesund sein.

 

Aber dieser Winter damals hatte es nun wirklich in sich: Alles dicht, nix ging mehr. Schneewehen, so hoch wie Einfamilienhäuser.  Auf Feuerwehrleitern und mit kleinen Holzschippen schoben freiwillige Helfer noch am Heiligabend von einsturzgefährdeten Flachdächern die Schneemassen herunter, im Akkord schaufelten die Balsbacher schwitzend und schwätzend 48 Stunden lang non-stop Haus-Eingänge und Fußwege frei, um sich wenigstens zum Bäcker durchschlagen zu können.

 

Nicht wirklich elegant.  Aber praktisch.
Nicht wirklich elegant.
Aber praktisch.

 

Unser hilfsbereiter Nachbar kämpfte sich am zweiten Vormittag ungefragt mit einem Bagger durch die Massen, Ihre Frau muss doch ins Radio!, schrie er aus dem vereisten Führerhaus vermummt zu uns hinunter. Eine Stunde lang räumte er die  Garageneinfahrt und den Gehweg davor. Mit brüllendem 300-PS-Motor schob er den ganzen weißen Schnee vor dem angrenzenden Scheunentor zu einem drei Meter hohen betonharten Eisberg zusammen.

Wo ist eigentlich mein Auto? brüllte Geo durch Baggerlärm und Schneegestöber.

In der Scheune?, fragte ich mit stoischer Ruhe zurück.

 

Der Bagger-Nachbar feixte fröhlich.

In vier, sechs Wochen ist der Berg zusammengeschmolzen, dann kommen Sie auch an die Scheune und das Auto wieder ran.

 

Die afrikanische Stefanie ist beeindruckt.

Toll! So was hatten wir in Malawi nie.

 

 

 

 

 

5 Kommentare zu “Let it snow!”

  1. ja, kenne ich alles. im richtigen winter bin ich nicht ohne decken und schlafsack und schneeschaufel im auto unterwegs. trotzdem hält sich meine begeisterung für diese abenteuer in grenzen. schon zu viele erlebt. ich kann mich über jeden schneearmen winter freuen.
    der schnee für weiße weihnachten liegt, mehr bräuchte es für mich nicht werden.
    liebe grüße aus dem wald
    ingrid

  2. Dieses Jahr wird’s nix mehr mit Schnee….der letzte Winter hat alles aufgebraucht ;-)….aber spätestens Oktober 2014 gehts wieder los….dann haben wir wieder Ruhe von den HD’lern, Mannemern und Heppremern ;-) Okay, vielleicht kommt über die „Faschenacht“ noch Schnee…meist bei den Umzügen ;-) Aber mehr kommt, glaub ich, nimmer in dem Winter…leider :-(

  3. *herzhaft lach
    ich seh schon manche im Raum Stuttgart erwartungsvoll in Richtung Odenwald blicken und wenn die ersten Schneeflocken fallen jauchzend vor Freude schreien: „ab in den Odenwald, jetzt wird unser SUV getestet“.
    Ich hoffe für euch, dass nicht zu viele auf diese Idee kommen.

    1. Wenn die nicht fahren wie die Anfänger, solls uns recht sein. Dann können sie gerne kommen und hier Essen und trinken und übernachten und hinterher allen anderen erzählen, wie schöns hier ist. ;-)

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