Erfolgsstory.

20. Oktober 2013

Lieber, sehr geehrter Herr Bonde,

 

weil ich ja auch fürs Zeitungslesen bezahlt werde, las ich dieser Tage einen Bericht über Ihren Besuch im ländlichen Raum. Nachdem Sie ja nun grüner baden-württembergischer Minister für den ländlichen Raum sind, ist es löblich, daß Sie sich da hin und wieder blicken lassen. Und vor Ort dann Begriffe fallen lassen  wie „Motor der Entwicklung“ und „Erfolgsstory“ und so.

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Foto: Uli Regenscheit. Der junge Herr mit dem bayerischen Lodenjanker ist der baden-württembergische Minister.

 

Die „Erfolgsstory“ hat es mir besonders angetan. Von der werden Sie wahrscheinlich auch erzählen, wenn Sie irgendwann mal ausführlich hier in den Neckar-Odenwald-Kreis kommen.

Damit Sie – wenn es soweit ist – nicht von irgendwelchen Nörglern kalt erwischt werden, gebe ich Ihnen ein paar Gegen-Argumente zur Vorbereitung. Nur so als Anregung. Kleiner Service meinerseits. Wir haben hier nämlich einerseits bedauerlicherweise eine Menge Nörgler – andererseits aber in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Reformen erlebt, die den wirklich ländlichen ländlichen Raum zu dem gemacht haben, was er heute ist. Da hat die Politik sich mal so richtig reingehängt.

Nur ein paar Beispiele:

Die Bahnreform: hiesige Bahnhöfe geschlossen.(Macht nix. Fakt ist doch: Fahrkarten gibt’s am Automaten, und Mairegen macht schön, was manchem Odenwälder ja nur recht sein dürfte.)

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Die Postreform: hiesige Postfilialen geschlossen (Man wird ja wohl morgens zwischen 8 Uhr 30 und 10 Uhr Zeit finden, seine Briefmarken im Sportgeschäft zu kaufen)

 Die Polizeireform: hiesige Direktionen werden abgezogen (na und? Alles bleibt im Prinzip beim Alten, und der Verantwortliche Ober-Polizist, der zukünftig 80 Kilometer vom Geschehen entfernt sitzt, wird schon wissen, was zu tun ist, wenn zwischen Bofsheim und dem Dörrhof ein Mörder eingefangen werden muß. Wozu gibt es Navis?)

Schulamtsreform: Das hiesige Schulamt verschwunden.(Lehrer schaffen doch eh nix, da werden die ja wohl für ein Dienstgespräch mal 80 Kilometer fahren können, one way).

Die Bundeswehrreform: hiesige Kasernen schließen. (Bundeswehr ist eh Mist. Und daß einer Gemeinde plötzlich Hunderte von Bewohner flöten gehen? Da kann man auf den freien Grundstücken ja schöne Energieparks bauen, oder so.Und finanziell wird sich das alles irgendwie schon regeln.)

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Die Justizreform: Die kleinen Landgerichte wackeln. (naja, noch ist ja nichts beschlossen).

Die Hochschulreform: Der Dualen Hochschule in Mosbach gehen mal rasch knapp tausend Studenten verloren. Nach Heilbronn. In den reichsten Landkreis Baden-Württembergs (Tja, die Musik spielt eben anderswo. Ist doch alles halb so wild.)

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Die Reformen im Gesundheitswesen allgemein: die Bereitschaftsdienste abgeschafft,  jede Menge Arztpraxen machen dicht, und die Krankenhäuser pfeifen auf dem letzten Loch. (aber es gibt doch jede Menge Spezialisten nur eine Tagesreise entfernt, und privatisierte Krankenhäuser sind ja nicht das schlechteste, so lange die nicht gleich geschlossen werden. Wir müssen unser Anspruchsdenken überprüfen!)

 

3000 Arbeitsplätze sind in den vergangenen zehn Jahren hier im ärmsten Landkreis Baden-Württembergs auf diese (und andere) Weise verschwunden, behaupten die Ober-Nörgler. Na und? Sollen die Leute doch woanders hingehen. Mobilität ist das Gebot der Stunde, und neue Erfahrung bereichern jeden! Oder sich um einen Job bei den Regenerativen bemühen. Da ist Potential drin! Windradwarte werden immer gesucht. Eben.

drei Windräder schöner

Die Hauptsache ist doch, „daß wir es mit einer konzertierten Aktion von Land, Kreisen und Kommunen schaffen, für die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sorgen, damit man die Abwanderung junger Familien in die Ballungsräume verhindert“.

Recht haben Sie! Und wie Sie recht haben. Also, lassen Sie sich nicht beirren, falls es Sie jemals in den wirklich ländlichen Neckar-Odenwald-Kreis verschlagen sollte und irgendjemand Ihnen blöde kommt. Meine Unterstützung haben Sie, siehe oben. Als Bewohner des reichsten Bundeslandes auf der Welt müssen wir zusammenhalten!

 

Nur eines möchte ich dann doch noch kritisch anmerken (wenn Sie mir das hier gestatten): Ich finde es prima, daß Sie auf den meisten Bildern in der Zeitung keine Krawatte tragen. Das hat so was herrlich Anarchisches. Fast wie bei den Grünen früher.

Was allerdings ewig dieser dämlich-bayerische Pseudo-TrachtenLodenJanker soll, bleibt mir ein Rätsel.

 

Mit herzlichen Grüßen

usw

usw

 

P.S. Die Liste oben ist natürlich unvollständig. Fragen Sie mal die Experten in Ihrem Ländlicher-Raum-Ministerium, denen fällt sicher noch das eine oder andere ein.

  • 9 Kommentare
  • Manuela 21. Oktober 2013

    Ach du sch…, ich würde nach dem Bericht nirgends mehr auftauchen..da wird ja jeder fähig einen Mord auszuüben…dann ist der Lodenjanker hin..aber nützen wird es im Endeffekt auch nichts, oder?
    Der bringt uns Bahnhof und Post auch nicht wieder…

  • roswitha 21. Oktober 2013

    DANKE- musste ja mal gesagt werden! Ich sende den Link gleich an einen Abgeordneten weiter…
    Aber ich weiß auch nicht! Wenn ich die Politik-Magazine und Reportagen in TV anschaue, denke ich auch immer mal, schauen das keine Politikerinnen und Politiker, da ist doch sofortiges Handeln not-wendig!
    Wie bringen wir sie dazu? Indem wir hellwach sind und was sagen, wie Sie eben!
    Nochmal DANKE!

    • Friederike 21. Oktober 2013

      Das Handeln besteht ja offenbar in all den Reformen, die hier vor Ort dann diese oder andere Auswirkungen haben. Und die Reformen brauchts – zumindest hier im reichsten Bundesland um zu sparen. Möchte nicht wissen, wie es da in armen Bundesländern zugeht….

      • roswitha 22. Oktober 2013

        Wir waren letzte Woche in Dessau: tolles Pflaster in Fußgängerzone und auf dem Marktplatz, leider weniger Menschen unterwegs als z.B. in Mosbach! Die Stadtbevölkerung hat sich mehr als halbiert
        (100 000 auf 45 000), von den Rändern her werden nun Wohnhäuser abgebrochen. Es gibt keine Arbeit,keine Perspektiven für viele Dagebliebenen, ein Umweltbundesamt vom Feinsten…
        Trotz wunderbarer Parks und Bauhaus deprimierend!

        • Friederike 23. Oktober 2013

          Das ist natürlich auch bitter. Aber ich nehme an, die nennen das Kind wengistens beim Namen. Was mich hier ja so ärgert: Da wird uns sonstwas erzählt, wie toll das alles ist im erfolgreichen ländlichen Raum in BaWü – und wenn man genauer hinsieht? Essig.

  • Nici 22. Oktober 2013

    Mir fehlen die Worte – aber, Du hast ja “genug” gesagt bzw. geschrieben.

    Kein Wunder, dachte ich mir…
    …dass Du “einen dicken Hals” bekommen hast. ;)

    In diesem Sinne: Gute Besserung!!! – nicht nur Dir! ;) –

    • Friederike 22. Oktober 2013

      Ja, das mit dem dicken Hals kam mir auch so in den Sinn. Da ist insgesamt was dran.

  • Manuela 23. Oktober 2013

    Dazu ein Filmtipp: Am Ende der Milchstraße
    Dokufilm, von meckvorpom und ein Einblick in sterbende Dörfer, läuft bei uns ab morgen im Kino

    • Friederike 23. Oktober 2013

      Oha – wenns bei uns ein Kino gäbe, liefe der da wahrscheinlich nicht. Aber ich schau mal, ob er irgendwo in der Großregion angeboten wird. Danke für den Tip!

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