Der Tag der Arbeit heißt Tag der Arbeit, weil auf dem Lande alle Menschen viel Arbeit damit haben, ihr bewegliches Hab und Gut wieder einzusammeln, das jugendliche Walpurgis-Hexen und -Hexeriche nächtens im gesamten Dorf verteilt haben. Und? Alles verräumt und in Sicherheit gebracht?, fragt man sich am Abend davor im Bekanntenkreis, und wir antworten Logo, wir sind doch keine Anfänger.

Ein bißchen sind wir leider doch Anfänger, denn wir haben die zwei schweren Fußmatten vor der Tür liegen lassen. Die eine entdecken wir auf einem nahegelegenen Gebüsch, die andere bleibt zunächst verschwunden. Mucksmäuschenstill müssen die Jugendlichen gewesen sein heute Nacht, nichts habe ich gehört durch das geöffnete Fenster, auch die Hunde haben tief und fest geschlafen.

Ungebrochen solidarisch! lautet das 1.-Mai-Motto in diesem Jahr, das erfahre ich aus den Nachrichten im Radio, und weil wir natürlich auch ungebrochen solidarisch sind, schleppen wir den Blumenkübel der betagten Nachbarin von gegenüber wieder dahin, wo er hingehört. Er steht vor einem fremden Grundstück und wiegt gefühlt zwei Tonnen, mein Geo und ich zerren und wuchten und schnaufen, ungebrochen solidarisch eben, Bandscheiben und Wirbelsäulen schnaufen auch, sind am Ende aber glücklicherweise ebenfalls ungebrochen.

Der andere Nachbar hat sein Grundstück vorausschauend halbwegs hermetisch abgeriegelt, mitten drin aber liegt unsere zweite Fußmatte, ich betrete das Grundstück also vergleichsweise unbefugt, schwenke die Matte triumphierend wie eine Flagge und hoffe nur, dass der ansonsten freundliche Nachbar schon mit den Walpurgis-Bräuchen auf dem Lande vertraut ist.

Im Buswarte-Häuschen steht eine Gartenbank einträchtig neben einem Winter- oder Sommerreifen, Gartenbänke sind in diesem Jahr offenbar generell ein begehrtes und leichtsinnig-ungesichertes Gut gewesen. An mehreren Stellen im Dorf begegne ich schon am frühen Morgen Männern, die Gartenbänke über die Straße schleppen. Vor einem Garagentor stehen zwei hübsche Gartenstühle, die im Lauf des Vormittags an den Straßenrand wandern und darauf warten, von ihren Besitzern entdeckt zu werden. In der riesigen Wiese in der Ortsmitte steht einsam und allein eine Mülltonne.

Manches im Dorf verteilte Raubgut wird schon im Laufe des Tages wieder zusammengesammelt und heimgeholt, anderes aber bleibt stehen. Bei zwölf Grad und scharfem Wind vermisst niemand seine Hollywoodschaukel oder die Gartenstühle.

Viele Vorgärten sind verdächtig leer und aufgeräumt – entweder war da jemand übervorsichtig oder allzu leichtfertig, man weiß es nicht. In anderen Vorgärten wiederum stapelt sich Gartendeko, die man dem jeweils betreffenden Hausbesitzer nie und nimmer zugetraut hätte – oder vielleicht doch? Es bleibt unklar. Am Ortsausgang steht neben der Fahrbahn ein gigantisches Gartentrampolin. Vier, fünf Paar starke Arme wird es gebraucht haben, das hier herzuschleppen, – ebensoviele wird es brauchen, um das traurige Trampolin wieder nach Hause zu bringen.

Jedenfalls sind am 1. Mai immer aussergewöhnlich viele Menschen im Dorf auf den Beinen, sie suchen und sammeln ein, man plaudert und lacht hier und da, alle sind solidarisch vereint. Es hat nicht ganz die Ausmaße der Mai-Demos in Berlin oder Frankfurt, aber immerhin.

Solidarisches Walpurgis-Update 20.00 Uhr: Das kleine Fußballtor möchte bitte von der Wiese gegenüber abgeholt werden. Wobei: so klein ist das gar nicht, ein veritables Jugend-Fußballtor von erheblichen Ausmaßen. Irgendwer hat es offenbar erst am Nachmittag auf seinem Grundstück entdeckt und es nun auf die Wiese geschleppt, damit sich die rechtmäßigen Eigentümer nicht dumm und dusselig suchen.

7 Kommentare zu “Ungebrochen, solidarisch.”

  1. An sich also ein herrlicher Brauch. Bringt erst Jugendliche zusammen, danach die Altvorderen und alle denken dabei um Ecken und amüsieren sich.

  2. Das klingt ja alles sehr freundlich und “zivilisiert”. Kein Vandalismus und keine unerreichbar positionierten Gegensände wie zentnerschwere Mullsäcke (Humus) auf Schuppendächern … Und gemeinsames Trampolinhüpfen stelle ich mir potentiell sehr kommunikativ vor.

  3. Ja, verglichen mit dem, was so mancher Aufmarsch wiederum an Krawall mit sich gebracht hat, verlief es ja in und nach der Walpurgisnacht im Odenwald direkt sportlich und wahrhaft solidarisch. Da wurde gemeinschaftlich gestemmt und gewuchtet, ich stelle mir das mal bildlich vor – und auch die ganzen Such- und Aufräumaktionen. Ach was, noch immer vergleichsweise sehr charmant, wenn ich andernorts lese, dass sich Krawaller aus Anlass der Kundgebungen zum 1. Mai in Stuttgart mit der Polizei wüste Straßenszenen geliefert haben sollen. Auch der Frauenmarsch in Berlin dürfte nicht ganz friedlich geblieben sein, wenn man den Berichten Glauben schenken darf.

    Mit viel Freude und einem breiten Lächeln habe ich die aktuellen Beiträge hier gelesen – besser geht’s nicht!
    Liebe Grüße aus Nachbarlande,
    C Stern

  4. Vor vielen, vielen Jahren – an einem anderen Ort – kam ich gegen Mittag am 1. Mai um die Hausecke + dachte im ersten Moment: Häääää? Wie bin ich denn heute Nacht heimgekommen, das Auto ist gar nicht da…?
    Im 2. Moment dachte ich: HU? SO hab ich aber bestimmt nicht geparkt!!
    Irgendwelche Kerle haben sich nach 2 Uhr Nachts noch den Spaß erlaubt und meinen Kleinwagen um 90Grad gedreht auf den Parkplatz ganz dicht an die Hauswand gestellt, so daß ich ihn im ersten Moment nicht gesehen habe *g*

    Und leider habe ich es auch dieses Jahr wieder nicht geschafft, selbst einen Streich zu spielen – ich muss mir da mal eine Erinnerung machen – im uralt Heimatort hat jemand einen großen Findling an die Hofeinfahrt gestellt. Mein Vater witzelte immer, daß der wie ein Mini-Hinkelstein aussieht und jemand mal mit Kreide “Obelix was here” draufschreiben sollte ;-)

    Viele Grüße aus dem östlichen Süden,
    Zora

  5. Jaaaa! An meinem jetzigen Wohnort kennt niemand diesen Brauch. Gartenbänke auf Telefonzellen, Fahrräder über Laternenmasten fädeln, Brennholz vor die Haustür stapeln… Und natürlich das Auto des Lehrers komplett mit Klopapier einwickeln – leider hatte dessen Nachbar ein sehr ähnliches Auto und der Lehrer hatte seins in Sicherheit gebracht…

  6. Bei uns im unterfränkischen Dorf (gar nicht weit vom Odenwald) bei Wertheim nannte wir Kinder das ‘Anstellnacht’ :)

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