Wenn ich dieser Tage in den sonnigen Morgenstunden im Wald unterwegs bin, muß ich immer an Anton Tschechow und die Berliner Schaubühne denken. Das klingt nun geradezu bewundernswert intellektuell, hat aber gleich zwei un-intellektuelle Haken: Denn weder weiß ich, was mich seinerzeit (vor gefühlt 100 Jahren) in die Schaubühne verschlagen hatte, noch, worum es in dem Theaterstück von Anton Tschechow überhaupt ging. Die Geschichte kann mich also nicht wirklich beeindruckt haben.

Ich erinnere mich aber sehr lebhaft an das Bühnenbild. Dargestellt war über weite Strecken des Stückes: ein Wald. Eher ein WALD!!, in Großbuchstaben und mit hörbaren Ausrufezeichen, der Regisseur hatte dem Bühnenbildner aufgetragen, einen WALD darzustellen, und der Bühnenbildner hatte etwas übereifrig sehr tief in die Klischeekiste gegriffen, das schien mir damals so.

Alles war grün: hellgrün, dunkelgrün, mittelgrün, der moosige Waldboden, das zarte Laub, Kiefern- und Birkenstämme in hügeliger Landschaft, es funkelten die Sonnenstrahlen, irgendwo kleine gelbe Blüten hingetupft, es blitzten die Tautropfen, die ganze Szenerie war erfüllt mit lautem Vogelgezwitscher vom Band. Ich war fasziniert, aber es war reichlich dick aufgetragen, und meine Mutter hätte vermutlich gesagt Wer’s glaubt, wird selig, wer’s nich‘ glaubt, kommt ooch in‘ Himmel.

https://twitter.com/Odenwaelderin/status/1636281294647619584

Der Anton-Tschechow-Wald kam quasi mit dem Holzhammer daher. Und eigentlich ist das momentan jeden Morgen hier im Odenwald genauso. Grün in allen Tönen, hellgrün, dunkelgrün, mittelgrün, der moosige Waldboden, das zittrige Laub, Kiefern- und Buchenstämme, es funkeln die Sonnenstrahlen, irgendwo erste kleine gelbe Blüten hingetupft, Schneeglöckchen hier und da, es blitzen die Tautropfen, die ganze Szenerie ist erfüllt mit lautem Vogelgezwitscher. Nicht vom Band, sondern in echt. Die Spechte hämmern um die Wette, und vorne über der Wiese kreisen morgens die Milane. Oder die Falken, was weiß denn ich.

https://twitter.com/Odenwaelderin/status/1636630071183130628

Jedenfalls fühlt es sich völlig unwirklich an, viel zu dick aufgetragen, direkt aus der Klischeekiste. Aber schön, friedlich, verzaubernd. Wie in einem Theaterstück kann ich für eine oder anderthalb Stunden alles Drumherum vergessen, das tut ja auch mal gut. Ich muß nicht mal eine Eintrittskarte bezahlen für diese besondere Aufführung, für diese Auszeit von der Welt. Ich denke dann immer Wie in der Schaubühne!, knipse herum und stelle die Bilder bei Twitter ein, als Guten-Morgen-Lichtblick aus dem Odenwald. Die Sehnsucht nach Lichtblicken ist offenbar groß, denn für meine Verhältnisse bekommen die Bilder von den morgendlichen Hunderunden viel Zuspruch. Man wundert sich. Oder auch nicht.

https://twitter.com/Odenwaelderin/status/1632291528428204032

Die ganze Geschichte hat nun im Nachhinein allerdings leider noch einen weiteren Haken: Ich habe jetzt endlich nach all den Anton-Tschechow-Gedanken im Wald mal nachgelesen, was olle Anton überhaupt so geschrieben hat. Der Gute war immerhin ein großer Naturfreund, aber in etlichen seiner Stücke – zumindest in denen, deren Inhaltsangabe ich mir zu Gemüte geführt habe – sterben am Ende immerzu irgendwelche Leute, weil sie sich gegenseitig oder selber erschießen. Oder sie sind fürchtbar frustriert und gelangweilt und lassen den Theaterbesucher ratlos zurück. Tschechows späte Erzählungen seien ein tiefer, müder Seufzer, lese ich bei wikipedia, und tief und müde seufzen tun wir ja alle derzeit auch ohne Anton Tschechow schon genug, insofern sollte ich mir für die nächsten Waldspaziergänge vielleicht doch einen anderen Schriftsteller parat legen.

Der Gatte kocht und mal und prostet Ihnen zu.

3 Kommentare zu “Mit Tschechow im Wald.”

  1. Wald und überhaupt NATUR können gar nicht zu dick aufgetragen sein! Medizin für die Seele, Farben- und Formenfreuden den Augen – und alle übrigen Sinne sind auch bestens beschäftigt.
    Mehr Natur und Verbundenheit damit auch in unserer Lebensweise und wir sparen uns vermutlich den einen oder anderen Arztbesuch …
    Naturliebend verbleibe ich
    mit lieben Grüßen, C Stern

  2. Dieser Artikel hat mich mit seiner charmanten Art und der schönen Beschreibung des Waldes begeistert. Es ist eine wunderbare Erinnerung an die Schönheit der Natur und an die Bedeutung, die sie in unserem Leben hat. Die Autorin versteht es, den Leser mit auf ihre Spaziergänge durch den Wald zu nehmen und das Bild des Anton-Tschechow-Waldes mit der Realität zu vergleichen. Es ist eine wundervolle Erinnerung daran, dass es in diesen schwierigen Zeiten immer noch Schönheit und Freude gibt.

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