Das schlechte Wetter bleibt uns erhalten. Heute wieder Matsch und Modder und ein bitterer Wind. Ey, Alter, soll das ne Prüfung sein, oder was? würde meine stramm evangelische Freundin jetzt rufen und Augen und Hände gen Himmel richten, der so Angesprochene wäre in unserem Fall allerdings der liebe Petrus, nicht der liebe Gott.

Man könnte das ja überhaupt eigentlich viel öfter rufen Ey, Alter, soll das ne Prüfung sein oder was?, seit Monaten schon, mit Äuglein und Armen gen Himmel. Ob ich allerdings überhaupt noch die Arme gen Himmel recken könnte, da bin ich nicht sicher, bleischwer hängen Arme und Beine irgendwo herum und sind allenfalls für ausgedehnte Hunderunden zu gebrauchen, ansonsten zu nicht viel mehr. So müde.

Dabei haben wir hier wirklich alles, was wir brauchen, ein großes Haus, einen noch größeren Garten, eine wunderschöne Landschaft direkt vor der Tür, wir müssen uns nicht über Talkshows ärgern, weil wir gar keinen Fernseher haben, wir können die Weltnachrichten im Radio auch mal ausschalten, wir leben doch im Paradies, so pandemietechnisch, und trotzdem alle so müde. Ich male mir aus, wie es wäre in einer Etagenwohnung mit zwei schulpflichtigen Kindern, mitten in einer Innenstadt. Jeden Morgen, den Gott werden ließe, würde ich rufen Ey Alter, soll das ne Prüfung sein, oder was?, naja, Sie wissen schon. Würde aber vermutlich auch nichts helfen.

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In Matsch und Modder also war ich mit dem Hund heute früh bei Mudau-Steinbach unterwegs, und weil ich die Ecke nicht kenne, verlor ich natürlich mal wieder die Orientierung im Wald. Was mich rettete, waren ausgerechnet die drei Steinbacher Windräder, sie brummten und zischten weithin hörbar im scharfen Wind, und an ihnen konnte ich mich akustisch orientieren. Ich watete also durch schlammige, schmatzende Pfützen in den tiefen Furchen, die Traktoren und Vollernter im Wald hinterlassen haben, ich watete und stoppte und lauschte und watete und stoppte und lauschte, wer mich da beobachtet hat, hielt mich vermutlich für etwas plemplem. Jedenfalls habe ich unterwegs eine vergleichsweise neu aussehende Hundeleine gefunden, falls Sie (oder Ihr Hund) die vermissen, verrate ich Ihnen, wo ich sie zur Abholung deponiert habe.

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Der Sturm hat dieser Tage ja den Efeu von der Hauswand gerissen, genau über dem Küchenfenster. Irgendwie mussten wir da Hand anlegen, das kann ja nicht so bleiben, was sollen denn die Leute denken. Also gehen wir heute mittag in den Garten und schneiden und ruckeln an den meterlangen Efeuranken herum, die nun etwas willenlos in die Gegend ragen und sämtliches Licht vom Küchenfenster fernhalten.

Wie ich noch heftig am Ruckeln und Schneiden und Ächzen bin, entdecke ich direkt unter dem Küchenfestern ein tiefes Loch in der Erde, also ein richtig tiefes Loch, ursprünglich mal mit Holzbrettern ausgekleidet und später offenbar zugeschüttet. Das Loch führt direkt in den Kellerraum unter unserer Küche, der Zugang wurde wohl zugemauert, bevor wir die ehemalige Gastwirtschaft vor Jahren gekauft haben.

Wir haben also die Stelle gefunden, an der rumpelnd die Bierfässer in der Bierkeller vom Gasthaus Löwen hinuntergerollt wurden, viele Jahrzehnte lang. Vielleicht kamen die Fässer in den ersten Jahren noch mit dem Bierkutscher und zwei kräftigen Pferden, später dann mit einem knatternden Lastwagen. Im Berliner Haus, in dem ich aufgewachsen bin, war im Erdgeschoß eine Pinte, ich erinnere mich tatsächlich noch daran, dass die Bierfässer mit Pferdewagen gebracht wurden, Berliner Kindl, Anfang oder Mitte der Siebziger Jahre muß das gewesen sein, an das Geräusch, wenn die Fässer über die schräge Ebene hinunter ins Dunkle polterten. Das dumpfe Rumpeln war im ganzen großen Mietshaus zu hören und zu spüren.

So wird das hier im Haus auch gewesen sein, wenn das Bier geliefert wurde. Wir haben nach unserem Fund heute mittag nochmal die alten Fotos aus der Wirtschaft angeschaut, die wir geschenkt bekommen habe, damals zum Einzug. Bier musste vermutlich dauernd geliefert werden, das Gasthaus Löwe ist auf all den Fotos immer rappelvoll, und vor jedem der Gäste stehen mehrere Gläser.

Die alte Wirtin mit ihrer weißen Schürze, Ottilie, ist immer nur von hinten zu sehen auf den Bildern, vermutlich war sie ständig am Laufen und Zapfen und Bringen und Holen, und für lustige Fotos hatte sie keine Zeit. Geh fort!, wird sie geschimpft haben, wenn einer gerufen hat Ottilie, huhu, dreh Dich doch mal um, guck mal in die Kamera! Laut muß es immer gewesen sein im Gastraum, da, wo wir heute essen oder vor dem Kamin sitzen. Laut und voll und fröhlich. Und getanzt wurde auch, dort, wo heute der Mann das Atelier hat. Und einmal ist sogar ein Bursche mit dem Motorrad durch Gastraum und Tanzsaal gefahren, das hat uns jemand aus dem Dorf erzählt.

Ich sage Ihnen was: wenn diese dämliche Pandemie endlich zuende ist und ich bis dahin nicht komplett menschenfeindlich oder menschenscheu geworden bin, dann feiern wir hier ein Fest in der Traditon des Löwen. Rappelvoll soll es dann wieder sein hier im Erdgeschoß, und das Bier soll von mir aus in Strömen fließen, oder der Wein, oder die sauer Schorle, was weiß denn ich. Und dann wird getanzt und gesungen, hoch die Tassen, was kostet die Welt. Und vielleicht engagiere ich noch von irgendwoher einen Motorradfahrer mit seiner alten Horex oder Zündapp.

5 Kommentare zu “Matsch und Gerumpel.”

  1. … ja, bitte: EIN FEST!!! und bitte auch mit Zündapp o.ä. — ick freu’ mir jetzt schon wie Bolle!

  2. Jaaa….das mit dem Motorrad,
    das hatten wir auch schon.
    Wer saß nur da drauf??
    Betrunken.
    Jung.
    Blöd.
    Hm……

  3. Tolle Idee, das mit dem Fest. Wir kommen auch. Wenn ich meine alte Adler noch hätte, wäre ich mit dem Motorrad gekommen nach dem Motto: Unsre Oma fährt im Hühnerstall Motorrad…
    PS. Das Highlight auf meinem Schulweg war die Brauerei Pferde mit Zuckerstückchen zu füttern.

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