Man kommt zu nix, es ist wie verhext. Doch: Zum Arbeiten komme ich. Und dazu, innerhalb von acht Tagen gleich zweimal nach München zu fahren, rein beruflich, in die Weltstadt mit Herz. So nennen die sich ja da, mir ist das rätselhaft, seit jeher. Aber bitte.
In der Weltstadt mit Herz atme ich also endlich mal wieder Großstadtluft. Es duftet abwechselnd nach altem Frittenfett, Urin und Abgasen, Menschenmengen strömen ununterbrochen von hier nach da, ich habe keine Ahnung, wo die alle dauernd hinwollen. Die Radfahrer haben immer recht und benehmen sich dementsprechend, mehrfach entkomme ich nur um Haaresbreite dem Tod durch Überfahren.
Die U- und S-Bahnhöfe sind immervoll, in den Waggons kommt man sich nahe, Rücken an Rücken, Brust an Arm, Gesichter viel zu dicht. Irgendwer rotzt und schnieft und hustet immer, die Tröpfchen tanzen unter aufgeblähten, feuchten Masken. Wer nicht gerade hustet oder schnieft, telefoniert lautstark, mal auf breitem Bayerisch, mal in fremden Sprachen.
Ich setze mich zwischendurch in ein Straßencafe, 13 Grad sind es, mit Jacke lässt es sich gut aushalten. Die Münchnerinnen gehen geschäftig an mir vorüber, einige in Pelzmäntelchen und fellbesetzten Stiefelchen, viele mit Schal und Handschuhen, man muß ja zeigen, was man hat. Ich frage mich, was die Damen anziehen, wenn es wirklich kalt wird eines Tages.
Ich beobachte einen schicken Herrn mittleren Alters, guter Anzug, feine Schuhe, Gel im Haar. Mit seiner Laptop-Tasche und einer Zigarette hat er sich etwas abseits vom Getümmel hinter einen Baucontainer am U-Bahnhof gestellt, hier ist er im Windschatten und kann in Ruhe rauchen. Nach ein paar Zügen aber drückt er die Zigarette an einem überfülllten Müllleimer schon wieder aus, dann öffnet er die Laptop-Tasche, greift hinein, holt zwei leere Flaschen heraus, die durchaus hochprozentig aussehen, er stopft sie so unauffälllig und schnell wie möglich in den Mülleimer.
Oha!, denke ich bei mir, oha, das ist halt Großstadt. Kurz spüre ich den Drang, zu dem Mann hinzugehen und ihn zu fragen, ob er Hilfe braucht. Geht natürlich nicht, es geht mich auch nichts an. Nichts geht mich hier was an, ich muß das alles ignorieren, an mir abperlen lassen, die gefühlte Anonymität, die Menschenmassen, die vielen grauen Gesichter, das Elend der Penner in den zugigen Hauseingängen, den Dreck, den Lärm, den Gestank der Innenstadt, die drangvolle Enge überall, die Kotze das Erbrochene auf dem Fußweg, die Blutlache im Hauptbahnhof, die ein Mitarbeiter auf einem brummenden Reinigungsmobil erst großflächig verteilt, dann aufsaugt, während zwei Polizisten ihm zuschauen.
Ich habe 25 Jahre Großstadt auf dem Buckel, 25 Jahre Berlin, aber das Konzept Großstadt überzeugt mich nicht mehr. Oder ich bin nichts mehr gewöhnt, seit ich in einer anderen Welt lebe. Auf dem Lande, in der Provinz. Da, wo kein Großstädter wirklich hinwill, weil die Großstadt eben doch so viel zu bieten hat, und das Land so gar nichts. Sie ahnen: Es ist kompliziert.
Ich bin dann heute zur Feier der glücklichen Heimkehr endlich mal wieder in den Wald gegangen. (Das heißt, gestern war ich auch im Wald, beruflich, das ist jetzt aber eine andere, schreckliche Geschichte, die haben Sie vielleicht im Radio gehört oder in der Zeitung gelesen, die lassen wir hier mal außen vor.)
Und im Übrigen finde ich, dass Sie mal die (halbwegs) neue Website unseres kleinen Museums im Nachbardorf angucken sollten, aber hallo!, da haben wir uns nämlich in den vergangenen Wochen ganz schön ins Zeug gelegt. Und bei Facebook und Instagram ist das Museum auch, Sie können uns da folgen, wir waren schon schwer am Werkeln, – nicht, dass Sie am Ende noch meinen, wir langweilen uns hier in der vermeintlichen Provinz.
Und sofort will ich mit in den Wald. Hier im Viertel stehen auf den Fenstersimsen und an Straßenecken in einigermaßen regelmäßigen Abständen verteilt diese kleinen Pullen Jägermeister. Wenn ich die sehe, muss ich über Stunden nachdenken, ob es eine Art Jägermeister-Sekte im Viertel gibt oder ob es eine arme Seele ist, die nicht ohne über den Tag kommt. Weniger Jägermeister, mehr Wald. Für alle.
Immerhin erscheint wieder ein Beitrag von Ihnen, man macht sich ja schon Sorgen;-)
Solche nebulösen Aufnahmen sind mir jetzt auch wieder gelungen und der Herbst ist ohnehin eine der fotografisch reizendsten Zeiten. Selber hilft mir das Fotografieren sehr beim Herunterkommen, weil man nicht nur das Motiv fokussiert, sondern auch viel nach innen.
Die Großstadt kann mir gestohlen bleiben. Kennt man eine, kennt man alle bis auf Ausnahmen wie Hamburg und Berlin. Aber selbst bei denen ist es wie bei vielen anderen Dingen. Das Wissen macht es erträglich, nicht immer in so einem “Moloch” hausen zu müssen, sondern diese irgendwann auch wieder von hinten sehen zu können.
Bestimmt unbedingt ein Ausflugsziel für Odenwald-Fans wie ich es eine bin, das Museum in Wagenschwendt. Aber bitte den Bundsandstein in Buntsandstein verbessern.
Ich mag da doch mal eine Lanze für Berlin brechen. Wo immer hier ein Quadratmeter Platz ist, werden Bäume oder Blumen gepflanzt, längst nicht immer von städtischen Gärtnern. Die grünste Großstadt, die ich je sah, und ich kenne viele. Steht man frierend an einem kalten Wintertag in der Schlange vor der Postfiliale und murmelt ‘Ich hätte meinen Tabak mitbringen sollen!’ poppen fünf Zigarettenschachteln vor einem auf, ungefragt. Die Menschen, die hier im Umkreis Obdachlosenzeitungen verkaufen oder einfach nur um ein paar Cent bitten, kenne ich alle – man grüßt sich – manche auch mit Namen. Sie freuen sich über ein Stück vom Einkauf mitgebrachtes Gepäck, nehmen in heißen Sommern dankend die Flasche Wasser entgegen, und haben alle längst kapiert, daß ich es mir einfach nicht leisten kann immer Geld zu geben. Macht aber nix. Man begegnet sich mit Höflichkeit und Respekt.
Nur hier ist es mir passiert, daß ich am Alex mühsam ein Kleinmöbel die Treppe am hochschlörte, Stufe für Stufe, und plötzlich wurde mir das Ding entrissen und bewegte sich quasi selbstätig auf den Absatz am Treppenende. Fünf junge Männer, die miteinander arabisch sprachen. Ich hatte nicht um Hilfe gebeten, die hatten einfach gesehen, daß ich zu kämpfen hatte.
Nur in der ersten Zeit kam es vor, daß ich Pakete in der Postfiliale abholen mußte; inzwischen habe ich Nachbarn, nicht nur im eigenen Haus.
Ich bin geborener Westfale, nunmehr seit 15 Jahren in dieser Stadt, und sie und ihre Bewohner haben mein Herz gewonnen. Kommt mal einer grummelig rüber, hilft innerhalb von Sekunden Humor und/oder direkt Ansprache (‘Ich sehe dich’.). Ich kann wahrlich und wahrhaftig nicht eine dunkle Geschichte erzählen, nicht eine.
Wenn Sie wieder mal nach München kommen und einen Tag erübrigen können: Melden Sie sich. Wir haben Platz und ich zeige Ihnen das schöne München.
Habe Ihnen heute den ersten Beitrag “Schönes München” gewidmet.
Mein rechner verweigert den Besuch Ihrer Website. ;-( “keine sichere Verbindung”.
Ich komme gerne drauf zurück!
ja das Thema ist kompliziert. Ich liebe die Natur – aber die Provinz geht mir auf Dauer echt an die Substanz und ich flüchte immer sehr gerne in große Städte. München ist also immer eine Option für mich und ich liebe diese Stadt wirklich. Und Optisch ein Vergnügen und ich kann wirklich verstehen warum so viele Menschen hier leben wollen. Und die Mischung aus bayerischer Seele und Weltstadt gefällt mir einfach. Das spricht meine bayerische Seele einfach an – ist aber genetisch bedingt.
Mein Sohn studiert jetzt in Berlin – es gefällt ihm wirklich gut – aber er vermisst nur eines wirklich den schönen Allgäuer Wald ;-)
Jahaha….die Herren im feinen Zwirn und Drogen.
Gehen Sie mal davon aus, das in diesen Kreisen weit mehr als nur Alk konsumiert wird.
Aufputschmittel, gerne auch Koks, alles.
Klar, man muß ja fit sein, gut sein.
Irgendwie müssen ja 12-14 Stundenschichten im Borgwürfel auszuhalten sein.
Furchtbarer Affentanz, unmenschlich.
Und das nennt sich dann Eliten.