Ich war dieser Tage mal wieder in einem Schloss. Hier wimmelt es ja nur so von kleinen Schlössern und Burgen und von Adligen, das hat irgendwas mit der Geschichte zu tun, bitte fragen Sie mich jetzt nichts Genaueres. Seit ich da einen kleinen Einblick bekommen habe, wie es sich in so einem Schloss oder auf einer Burg lebt, habe ich meine Klein-Mädchen-Träume vom Leben als Prinzessin endgültig begraben, aber sowas von. Für geschenkt wollte ich da nicht wohnen, in so einem alten Kasten, das kostet doch nur Geld und jede Menge Nerven. Und frieren tut man auch fast immer. Aber mal so auf Besuch: immer gerne. Hübsch anzusehen ist das ja.

Hübsch anzusehen immer auch: die Biedermeier-Möbel in Schlössern und Burgen, Erbstücke und romantisierende Überbleibsel aus lang vergangenen Zeiten. Biedermeier, Sie erinnern sich vielleicht, das ist diese Kulturepoche im 19. Jahrhundert, als die Damen alberne gedrehte Löckchen unter noch viel alberneren Hütchen trugen, und Herren in Wespentaillen-Gehröcken und mit merkwürdigen Absatz-Schuhen neben ihnen herschritten. Man sieht das manchmal auf so ollen Ölschinken im Museum. Herren halten da auch gerne mal den Rüschen-Sonnenschirm über ihre lieblichen Gattinnen, damit um Himmelswillen kein Licht auf das Puppen-Gesicht falle.

Man lustwandelte im Park oder im eigenen riesigen Garten, die Damen stickten Bordüren für das Puffärmel-Kleid, Töchter saßen am Klavier, die Herren lasen ein Buch oder schauten unter ihrem Zylinder heraus angestrengt in irgendeine Ferne. Sie alle zelebrierten das behagliche, kleine Glück im Privaten, das Zurückgezogen-Sein von der lärmenden Welt. Familie Biedermeier ignorierte die Realität und machte es sich zuhause gemütlich. Komme, was da wolle.

Da konnte der Rest des Planeten in Scherben liegen, die Biedermeiers kümmerte es nicht. Null komma null kümmerte die das, es hatte ja nichts mit ihnen zu tun. Die diskutierten nicht das Weltgeschehen, die gingen nicht mal auf eine Demo, geschweige denn, sie hätten Petitionen ins Internet gestellt. Wahrscheinlich haben die nicht mal Zeitung gelesen oder Radio gehört. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Menschen dieser Epoche einen Twitter – oder Facebook-Account hatten, es hätte ja doch den allgemein gefühlten Liebreiz gehörig vermasselt.

Eine schlimme, weil ganz und gar ignorante Zeit und Haltung war das. Oder doch nicht? Vielleicht nachvollziehbar? Ach, herrjeh, es ist kompliziert. Ich ertappe mich in jüngster Zeit immer mal wieder dabei, wie ich Biedermeiermänner und – frauen beneide. Vorhänge zu, Rollläden runter, Radio aus, Internet zu. Zeitung gleich ins Altpapier. Nix sehen, nix hören, nix wissen. Das Geschrei und das Getümmel auf der Welt ausblenden. Ganz einfach.

Ist ja alles eh so weit weg. Geografisch und gefühlt. Das Dorf liegt still und friedlich am vermeintlichen Ende der tosenden Welt, und es wäre so leicht, sich dauerhaft gedanklich auszuklinken. Leichter allemal als in einer Etagenwohnung in den Mannheimer S-Quadraten oder in Berlin-Neukölln. Am Haus die Hühner und der Hahn, auf der Couch die Katze, und unterm Tisch die Hunde. Seliges Schnarchen um mich herum, knisterndes Feuer im Kamin, eine Landidylle wie aus einem Hochglanzmagazin. Dazu die Schafe hinten auf den Wiesen Richtung Katzenbuckel, das bunte Herbstlaub, die klare, frische Luft, ein romantischer Sonnenuntergang, ein Kuckuck im Wald, irgendwo muht eine Kuh – naja, das ganze Programm halt, kurzum: es könnte nicht einfacher sein, sich auszuklinken, abzutauchen, sich abzuwenden.

Schau, dort spaziert Herr Biedermeier, und seine Frau, den Sohn am Arm; sein Tritt ist sachte wie auf Eier, sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm.

Ludwig Pfau (1847)

Ja, Sie staunen, was der Anblick von Biedermeier-Möblemang in einem Odenwälder Schlösschen an einem schönen Herbsttag für gedankliche Folgen haben kann. Von Biedermeier-Stühlen zu –Gefühlen. Ich staune auch. Beschließe aber: Idyllisches Landleben hin oder her: Lauwarmer Biedermeier kommt mir dann doch nicht ins Haus, allenfalls stunden-, maximal tageweise. Für die Psychohygiene. Für die innere Ruhe. Und gegen Bluthochdruck und Magengeschwüre. Körper, Geist und Hausarzt werden es zu schätzen wissen.

Und an den restlichen Tagen? Jahahahaaaa, da habe ich jetzt das ultimative Rezept gefunden. Googeln Sie mal nach Biedermeier, dann stoßen Sie früher oder später auf den Herrn Vasek. Der ist Philosoph und findet dauerhafte Biedermeier-Lebensart auch doof. Vasek empfiehlt (Achtung!) den pragmatischen Stoizismus. Ich musste auch erstmal rausfinden, wie man das ausspricht, Sto-i-zis-mus.

Klingt bedeutsam, hat ursprünglich irgendwas mit den ollen Griechen und Römern zu tun, zumindest die Theorie, Epiktet, Seneca und Marc Aurel, solche Typen halt, und kann aber im aktuellen Welten-Kuddelmuddel helfen, klaren Kopf zu bewahren. Pragmatisch deshalb, weil es (gottlob) nicht primär ums Denken, sondern ums Handeln geht: richtig zu handeln und vor allem etwas für die Menschen zu tun, die in uns am Nächsten stehen. Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen. Sich also nicht in die ignorant-innere Biedermeier-Festung zurückziehen. Sondern die Freiheit erkennen, im Hier und im Jetzt tatsächlich beeinflussen zu können, was in der eigenen Macht liegt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich werde mir also jetzt meinen persönlich-pragmatischen Odenwälder Landleben-Stoizismus zusammenbasteln, man wird ja sonst bekloppt in dieser Welt.

So. Aber wie bin ich da jetzt eigentlich drauf gekommen? Ach ja, durch das idyllische Schlösschen in der Nachbarschaft. Von den Biedermeier-Stühlchen über die alten Griechen zum pragmatischen Stoizismus. Na, also bitte, da sieht man mal wieder, wozu so ein Ausflug aufs Land gut sein kann. Man kommt direkt ins Philosophieren. Naja, Sie wissen schon.

3 Kommentare zu “Seneca im Odenwald.”

  1. Stoiker wird man in Badisch Sibirien, mir ist es gelungen und es bewährt sich derzeit und fassungslos betrachte ich das Treiben der Leute weiter südlich im Ländle ( was sie ja jetzt allerorten weiter verbreiten ). Ja, und es impliziert politisches Handeln, gerade auch wegen dieser.
    GLG
    Astrid

  2. Ich würde Ihnen gerne folgende Petition ans Herz legen- es geht darum das Landleben zu bewahren und vor Klagen gegen eigentlich natürliche Geräusche wie den Hahnenruf, das Gänseschnattern, Kuhglocken aber auch landwirtschaftliche Geräusche und Gerüche zu schützen.
    Landleben muss Landleben bleiben dürfen auch im Wandel der Zeit und fortschreitenden Urbanisierung.
    Über Ihre Unterstützung und Verbreitung würde ich mich sehr freuen. Der Gesetzentwurf in Frankreich zum Schutz der typisch ländlichen Geräusche und Gerüche zeigt, dass es geht- wenn man nur will.
    https://openpetition.de/!hahn

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