Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?, kurz WMDEDGT, das will immer am Fünften eines Monats die freundliche Nachbarbloggerin wissen, und ich mache gerne mit. Tagebuchbloggen nennt sich das. Also: ohne größeren Anlass, ohne wohlausgefeilte Ideen und Geschichten. Einfach der stinknormale Alltag aus dem Leben einer ebensolchen Regionalreporterin und selbsternannten Landpomeranze. Sie müssen das ja nicht lesen.
Jedenfalls war ich heute früh, wie eigentlich jeden Morgen, erstmal mit Frau Lieselotte im Wald unterwegs. Normalerweise pflege ich da gar nichts zu denken, das soll ja gesund sein, heute aber dachte ich an Beirut und den Libanon. Und an meine Grundschulzeit.
Es ist nämlich ein bisschen, als hätte mich die Druckwelle der Explosion zurück in die Kindheit geschleudert. Wir saßen frisch gebadet und gekämmt vor der Glotze und guckten die Tagesschau, bevor dann Dalli-Dalli oder Rudi Carells Am Laufenden Band losging. Und immer wieder war in den Nachrichten von Beirut die Rede, jahrelang, so schien es mir. Und es klang alles furchtbar, Krieg und Tod, schreckliche Bilder flimmerten da über den Bildschirm, und der Name Beirut bekam für uns einen grässlichen Geschmack.
Gleichzeitig aber kannte ich aus dem Kinder-Gottesdienst und aus den Psalmen den Libanon. Seine wunderschönen Zedern. Auch im Hohelied Salomos werden sie erwähnt, das hatte ich – vorpubertär – schon ein paarmal verstohlen gelesen, weil die Worte wie Musik in den Ohren waren und nach ewiger Liebe klangen. Ich stellte mir den Libanon wie ein wahres Paradies vor, mit duftenden Zedern und Zypressen und Traumprinzen, aber irgendwie passte das alles nicht mit den Nachrichten zusammen in meinem kindlichen Kopf.
Und dann kam F. zu uns in die Berliner Grundschulklasse, sie tauchte einfach auf und war da. Ein Kriegsflüchtlingskind aus Beirut, der erste Kriegsflüchtling, mit dem ich überhaupt bewusst zu tun hatte in meinem Leben. Sie kam aus Beirut, vier Kinder und die Eltern, ich nahm sie irgendwie unter meine Fittiche, aber über den Krieg sprachen wir nie. Offenbar interessierte das niemanden, so zumindest erinnere ich mich. Sie war da und blieb. Ich erinnere mich an ihre eigenwilligen kräuseligen Haare und ihr Lächeln, daran, wie schüchtern sie am Anfang war und wie sie immer mehr auftaute. In meiner Erinnerung war sie im Schulgebäude und auf dem Pausenhof immer da, wo ich war, und umgekehrt. Nach der Grundschule verloren wir uns völlig aus den Augen.
Ich habe sie vor einiger Zeit wieder aufgetan, durch einen idiotischen Zufall: Ich stieß bei einer Recherche zu einer völlig anderen Frage auf einem gestandenen Mann, der hier, in der Nähe von Mannheim, ein Restaurant betreibt und den gleichen Nachnamen trägt. Die Bildersuche bei google präsentierte mir quasi die männliche Version von F., der Bruder ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, und so nahm ich Kontakt zu ihm auf. Er erinnerte sich an mich, obwohl 40 Jahre vergangen waren, und ich schrieb ihr. Sie lebt noch in Deutschland, und vielleicht sollte ich nun einfach mal wieder den Faden zu ihr aufnehmen.
Aber ich schweife ab. Vormittags einen Beitrag gebastelt, nachdem ich gestern zwei junge Mädchen interviewt habe, die Regionalgeschichte in eine App bringen, Generation smartphone meets Odenwälder Heimatforschung, sowas gefällt mir ja sehr.
Mittags ein Termin in einem Dorf, das ich bisher tatsächlich nur selten auf dem Schirm hatte, schlimm genug. Sensationell schön ist es da, so schön, dass ich Mittagspause und Hunderunde gleich angehängt habe.
Ein verwunschenes Haus im Unterholz entdeckt und inspiziert, dann aber doch wieder Richtung Büro gefahren, die Mittagskonferenz ruft, und aus allen Teilen der Region winken Kollegen per Video-Zuschaltung von zuhause aus in die Kamera. Sendungskritik, Themenlage. Und für eine Woche mein letzter Gruß in die Runde, weil jetzt erstmal: Urlaub.
Vorher aber noch ein paar Themen anrecherchieren, ein paar Sachen erledigen, das Büro urlaubsreif machen. Mit dem Regierungspräsidium telefonieren, Thema Straßenbau. Mit einem Bio-Imker. Mit dem Büro-Vermieter plaudern, über Immobilienfragen und Hühnerhaltung. Hinweis auf ein Open-Air-Konzert am 15. August in Buchen produzieren. Dem Lehrer eines Mosbacher Gymnasiums zusagen, dass ich gerne als Gast-Referentin in seine Journalismus-AG komme. –Was es nicht alles gibt. Die inhaltliche Bandbreite ist heute mal wieder groß. Die Motivation hingegen eher klein, und umso kleiner, je näher Feierabend und de-facto-Urlaubsbeginn rücken.
Deswegen: zeitig das Büro verlassen, aber mobil erreichbar und geografisch noch ein bißchen in der Nähe bleiben. Ich gehe einfach Kaffee trinken mit mir selber, am Rande der großen Kreisstadt. Es gibt schlechtere Gesellschaft, sag ich ja immer. Aber ich rede ja auch mit mir selber. Insofern – .
Ich kann Ihnen die location im Übrigen sehr empfehlen: Abenteuer-Golfanlage Inputt in Mosbach. Ein inklusiver Betrieb für Menschen, die es auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt mehr als schwer haben. Ich habe das vor gefühlt hundert Jahren in meiner Zeit als (Achtung) Bezirkskirchenrätin mal gedanklich mit aus der Taufe gehoben, d.h. tatsächlich war ich vom Konzept nicht wirklich überzeugt, aber ich habe mich gefügt. Und mich, Bäääm! – eines Besseren belehren lassen: Abenteuer-Golf ist echt der Knaller und die Anlage bei gutem Wetter ständig gut gefüllt.
Wie dem auch sei. Ich muß jetzt noch Hunde füttern, Hühner versorgen, Blümchen und die Kräuterbeete gießen. Dann kollektive Abendessens-Vorbereitung. Salat, Eier und Kartoffeln aus eigener Aufzucht. Gibt nichts besseres, wenn Sie mich fragen. Aber mich fragt ja wieder keiner.
P.S. Ich habe übrigens nicht nur über Beirut nachgedacht, sondern (Klick!) hier auch eine winzige Kleinigkeit gespendet. Vielleicht möchten Sie ja auch. Oder anderswo, es gibt da inzwischen zahlreiche Spendenkonten.
Ich lese Dich jetzt schon so lange und finde immer wieder toll zu sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln… Und danke für den Spendenlink!
ICH habe zu danken!
Also liebe Frau landlebenblog, mindestens indirekt frage ich (und sehr viele andere auch) ja schon. Wir lesen so gerne die Blogbeiträge! Danke und erholsame Urlaubstage, Marion
:-)
Bleib dran bei Deiner libanesischen Schulfreundin! Jetzt hast Du ja wirklich ein großes Puzzlestück gefunden. Man sollte der Erinnerung eine Chance geben. Meistens ist es das wert.