Wir alle stammen ja mehr oder weniger direkt vom Neandertaler ab. Die Älteren unter Ihnen werden sich vielleicht an die seligen Zeiten erinnern, als Vati bis an die Zähne bewaffnet loszog, um eigenhändig Bären oder Elche zu meucheln, während Mutti in der Höhle blieb und wartete, was er denn wohl mit heimbrächte. Naja, Sie wissen schon. 

Aber ich schweife ab.

Jedenfalls war ich neulich dienstlich unterwegs, ich bin derzeit eigentlich ununterbrochen dienstlich unterwegs, und es verschlug mich in einen sogenannten sicherheitsrelevanten Bereich. Das sind diese Orte, wo man selbst als Journalist nicht so ohne Weiteres reinkommt, man muss sich akkreditieren, eine Woche vorher Personalausweisnummer angeben, Augenfarbe, Schuhgröße, Geburtsort, kulinarische und anderweitige Vorlieben, das ganze Programm.

Und dann steht man immer noch vor verschlossenen Türen, es geht durch elektronische Schleusen, man wird in einem kleinen Kämmerchen abgescannt und abgetastet und muss das Handy abgeben, oh mein Gott, ja, man stelle sich das vor. Und wenn es ganz schlimm kommt, muss man sich vor Eintritt auch noch einen viel zu großen, extrem peinlichen und quietschgelben Helm auf die sorgsam gestylte Frisur klemmen, der leider nur entfernt an Bob, den Baumeister, erinnert, viel eher aber an eine missglückte Fasenachtsverkleidung.

Jedenfalls fummele ich vor der ganzen Sicherheitsprozedur an einer renitenten Heftklammer herum, die sich in meinem Schreibblock verhakelt hat, und sogleich springt mir der freundliche Odenwälder Kollege mit seinem Taschenmesser zur Hilfe, um die blöde Klammer aufzubiegen.  Keine Waffen! schreit es leicht erregt und mit zweiunddreißig hörbaren Ausrufezeichen aus einer Ecke des Raumes, und wir beide schauen verdutzt in das halbwegs verzerrte Gesicht irgendeines hochbezahlten Vorstandsmitglieds im schicken dunklen Anzug.

Was?, fragt der Kollege reichlich begriffsstutzig, das gezückte Taschenmesser mit kombiniertem Sägeblatt, Feile, Seilwinde, Notstromaggregat, Wagenheber und Zahnstocher in der Hand. Keine! Waffen!, sagt der feine Herr nochmal sehr deutlich, Sie dürfen hier keine Waffen mitbringen! Der Kollege begreift immer noch nicht. Was für Waffen?, fragt er, aber ich bin ja blitzschnell im Denken und kläre ihn auf. Du darfst das Taschenmesser hier nicht mit reinnehmen, sage ich und deeskaliere die Situation damit zunächst ganz professionell.

Taschenmesser abgeben ist um ein Vielfaches schlimmer als Händi abgeben, jedenfalls reißt der liebe Odenwälder mit einer Mischung aus Verzweiflung und Verwunderung die Augen auf. Ich gehe nie ohne mein Taschenmesser. Es vergeht kein Tag, an dem ich es nicht benutze. Das wiederum löst eine gewisse Verwirrung beim dem großstädtischen Head of Management officer Facility-CEO- Gedöns-Herren aus. Wofür brauchen Sie täglich ein Taschenmesser? Gibts hier im Odenwald noch Bären oder was?

Man(n) hat einfach ein Taschenmesser dabei. Immer. Fertig. Aus. Keine Pointe. Wer weiß, welche Widrigkeiten einem begegnen, so den lieben langen und ländlichen Tag. Das Taschenmesser scheint manchem hier wie angewachsen, ein unverzichtbares Accessoire, ein Körperteil, ohne das man sich nackt, ja gleichsam amputiert fühlt.

Auch die Sicherheitsmänner im Berliner Bundestag können ein Lied davon singen, hört man aus gut unterrichteten Kreisen, und allein der Hinweis Odenwälder auf den Bundestags-Besucher-Listen lasse sie erschaudern. Immer wieder besuchen Odenwälder Gruppen den Bundestag, immerhin sitzt da einer von uns und macht Politik und lädt immer wieder ein, zu politischer Bildung und Kreuzberger Nächten. Und immer wieder erweisen sich die Odenwälder als wahre Messermänner.

Keine Besuchergruppe, in der nicht fünf, sieben oder gar zehn Taschenmesser gefunden und zunächst eingezogen werden, bevor es in die Heiligen Hallen der Bundesregierung geht. Verstehen tut das hier niemand, dass ein praktisches kleines, aber eben doch überlebens-wichtiges und ganz und gar nicht lebens-gefährliches Messer in der Hosentasche für gewisse Aufregung an der Sicherheitsschleuse sorgt, immer hin sind das doch auch alles CDU-Mitglieder seit Jahrhunderten, also bitte. Aber seis drum.

Um es gleich mal klarzustellen: Ich verstehe das mit dem Taschenmesser nur allzu gut. Ich selber trage inzwischen stets und ständig ein Schweizer Messer bei mir, zumindest außerdienstlich. Blümchen schnippeln, Steinpilze absäbeln, im Wald ramponierte Nistkästen richten, Wanderstock schnitzen, Wildsauen erlegen. Sie wissen schon. Ich trage auch eine Stirnlampe immer bei mir, mal auf der Stirn, mal in der Tasche, und überhaupt würde ich die Liste der unentbehrlichen Odenwälder Alltags-Accessoires also noch erweitern wollen, um Stirnlampe und Motorsäge. Das mit der Motorsäge erzähle ich Ihnen ein andermal.

Ich werde jedenfalls bei meinem nächsten Berlin-Besuch mal den Bundestag besichtigen. Das habe ich jetzt hiermit spontan beschlossen. Ich war da noch nie, Sie vielleicht? Ich werde das mal probieren, mit Stirnlampe, Motorsäge und Taschenmesser da reinzukommen. Als Odenwälderin. Und als Frau. Ich werde endlich mal Aufklärungsarbeit an der Sicherheitsschleuse leisten, sozialhistorisch und geopolitisch, die werden schön dumm aus der Wäsche gucken. Und es kann ja nicht schaden, wenn die da im Berliner Bundestag ein bisschen Respekt vor uns Odenwäldern bekommen.

 

 

 

 

9 Kommentare zu “Messermänner.”

  1. Jo. Messer. Habe meins abgelegt (aus den bereits sedimentierten Regionen meines Rucksacks entfernt), als ich anfing, öfter zu fliegen. Sonst wäre es ein Dauerbegleiter. Aber.

  2. Guten Morgen. Seid ewigen Zeiten habe ich ein Taschenmesser dabei! Brauch frau/man! Auch ohne Schraubenzieher, Büchern öffnet, Miniklinge, …
    Hatte mein Mann auch Mal vorm Fliegen dabei, könnte GsD gegen Entgelt dann zugeschickt werden. Sohn haben wir gerade bei der Abschlussfahrt dran erinnert, sei Messer da zu lassen.
    Hm. Wir wohnen zu nah am Neandertal?
    Liebe Grüße
    Nina

  3. Seit ich 15 bin, gehört ein Taschenmesser dazu. Erst eines mit feststehender Klinge. Seit Dezember 2002 Geo-Studium ein Schweizer. Dieses kleine Ding ist auch heute noch Bestandteil meiner Hosen. (Neben Schlüssel, Feuerzeug, Taschentuch und Bonbons.) Ohne fühle ich mich tatsächlich nackt. Was die Berliner Kuppel angeht, haben Sie übrigens wenig verpaßt. Viel Trara um Nichts. Wir waren von MUN aus dort (Model United Nations), bis auf ein wenig body visitation, passierte nichts. Das war so 2000 herum. Vielleicht ist es heute auch anders? Zu wünschen wäre es. Denn wo, wenn nicht vor Ort, lernt man, wie Politik gemacht wird?

    Willkommen zurück und kommen Sie gut durch den Herbst!
    Franziska

  4. Öhm, ich bin auch weiblich und eins meiner Taschenmesser war mit mir schon im Flugzeug nach Rumänien. Im Handgepäck! Ich hatte das da allerdings in einem RV-Fach mit dem Schlüsselbund und ich vermute drum haben die das auf dem Durchleuchtdingens nicht gscheit gesehen. Heimzu hab ich beide in den Koffer gelegt – need dass mich da behalten wollen. Die Oberbayern sind also auch so ein Menschenschlag.
    Die Motorsägengeschichte, da freu ich mich drauf!
    LG
    Martina

  5. Hmm … irgendwas ist bei mir falsch gelaufen. Ich habe ein Taschenmesser, seit kurzem sogar zwei, vermisse es oft, aber den Weg in meine Tasche hat es noch nicht gefunden. Handtasche? Hosentasche? Immer diese Entscheidungen.

    Auf die Argumentationshilfe pro Motorsäge freue ich mich. Die fehlt mir nämlich (noch).

  6. Ich trage seit ca. 30 Jahren ein Mini-Schweizer-Messer an meinem Schlüsselbund mit mir rum, mittlerweile die 2. Generation. Kleines Messerchen zum Zweige abschnippeln, Minischere für lästige juckende Etiketten im Nacken, Nagelfeile (gut um spontan Dreck unter den Fingernägeln zu entfernen), gleichzeitig noch als Schraubendreher zu gebrauchen und eine Minipinzette, die schon so manchen Splitter oder gar Zecke entfernt hat. 5 cm lang ist das Zauberding. Damit gab es auch noch nie Probleme. Als ich mit meiner damals 12jährigen Tochter im Reichstaggebäude war, hatte sich in ihrer bunt bestickten Kinderumhängetasche doch tatsächlich eine stumpfe Bastelschere im Futter versteckt. DAS gab Mecker! Wurde prompt eingezogen. Mein Schweizer Messer am Schlüsselbund nicht :-)

  7. Sie kennen sicher die Szene aus Krokodile Dundee,
    ( ich weiß, 80er-Stoff ),
    in der der Held, bedroht von einer Jugendgang, ein Messer rauszieht,
    mit den Worten, “das ist ein Messer”.
    Genau solche Leute mit solchen Messern gibt es auch auf der Alp.
    Die Messer stecken dann immer in der überaus praktischen Meterstabtasche am Bein.
    Ich habe nie ein Messer dabei, außer im Büro.

  8. Vor über 25 Jahren flog ich mit einer Freundin und ihrer fünfjährigen Tochter nach Spanien. Das kleine Mädchen war zu der Zeit als Cowgirl unterwegs. Also immer und überall. Mit Hut, dickem Gürtel, Stiefeln, Weste etc.
    Die Mutter bat sie alle Spielsachen für Spanien in ihren Kinderrucksack zu packen. Das natürlich auch der Spielzeug-Revolver (mit Metallbeschlag) mit muss, das ist meiner Freundin bei der Hetze zum Flughafen entfallen. Selten in meinem Leben hatte ich in der Sicherheitsschleuse so viele PolizistInnen mit gezogener (!) Waffe um mich herumstehen. Bis wir das überhaupt begriffen haben, dass die uns meinen…
    Das “Gewähr” blieb für zwei Wochen in Bremen eingeschlossen und bis Andalusien hatten wir ein heulendes, motzendes und schniefendes Kind an der Seite.

    Ahoi Oona
    die noch nie ein Klapp-Messer bei sich getragen hat. Weit und breit kein (richtiger) Wald, keine Wildsauen und auch kein Garten.

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