Das macht man halt so.

9. September 2018

Da war vor vielen Jahren dieser nette Kollege mit dem wundervollen Namen Pius. Ich war neu hier auf dem Land und tat mich mit dem Eingewöhnen schwer, und er sagte Angekommen bist Du in der neuen Heimat, wenn Du das erste Mal auf eine Beerdigung gehst. 

Dass es dann ausgerechnet seine Beerdigung war, auf die ich ein paar Monate später ging, war wie eine bittere Ironie des Schicksals, aber jedenfalls denke ich seitdem bei jeder Beerdigung an Pius und seine Worte.

Ich bin wohl inzwischen angekommen, und ich war schon auf einigen Beerdigungen hier in der vermeintlichen Provinz. Vieles ist mir dabei immernoch fremd und neu. Die Tradition zum Beispiel, den Angehörigen ein bisschen Geld zu schenken. An der Kapelle ist unter dem Kondolenzbuch ein kleiner Briefkasten aufgehängt, dorthinein kommen die Umschläge mit Geldscheinen, und jeder bringt so einen Umschlag, wirklich jeder.

Das erste Mal wurde ich mit dieser Sitte konfrontiert, als im fernen Darmstadt meine Mutter gestorben war und ich die entsprechende Anzeige in die hiesige Zeitung gesetzt hatte. In den kommenden Tagen flatterten allerlei Odenwälder Beileidskarten ins Haus, und in vielen davon steckte ein großer oder kleinerer Geldschein.

Ich war befremdet, um es mal vorsichtig zu formulieren. Absolut befremdet. Meinten die Leute, ich könne alleine die Beerdigung nicht bezahlen? Kannten die meinen Kontostand? Sollte ich von dem Geld Blumen und Kränze mit den Namen der Spender bestellen? Sollte ich Tod und Trauer mit schnödem Mammon besiegen? Fragen über Fragen.

Es geht um ein Zeichen der Solidarität mit dem Trauerhaus, hat mir dieser Tage ein Odenwälder Freund gesagt, und er fügte dann die Sätze an, die ich doch eigentlich so grässlich finde. Das gehört sich halt so. Das haben wir schon immer so gemacht. 

Ein Symbolbild.

Also habe auch ich neulich zum ersten mal bei einer Beerdigung Geld in einen Umschlag – und den Umschlag in das kleine Briefkästchen unter dem Kondolenzbuch gesteckt. Das gehört sich halt so. 

Und so stand ich da auf dem Friedhof vor der Kapelle, und von allen Seiten strömten die Leute aus dem Dorf herbei, alte und junge, zu Fuß, mit dem Auto, dunkel gekleidet. Schweigend kamen immer mehr, der exakt geformte Halbkreis vor der vollbesetzten Kapelle wurde größer und größer, und fast sah es aus, als wollte er einen schützenden Bogen um die Trauerfamilie im Inneren der Kapelle bilden. Ich fand das ein sehr tröstliches Bild.

Wenn einer aus dem Ort gestorben ist, geht man zu der Beerdigung, das macht man halt so, das gehört sich halt so. Ob man ihn kannte, ob man ihn mochte, das scheint zweitrangig zu sein, es ist eine alte Tradition, und es hat etwas mit Respekt zu tun.

Manchmal höre ich Menschen über diese Tradition schimpfen – Menschen, die weggezogen sind aus ihrem Heimatdorf, raus in die Stadt. Wie verlogen das sei, sagen sie, wie aufgesetzt die Trauer. Dass manche aus reiner Neugierde kämen, die Tratsch- und Klatschtanten – und -onkel des Dorfes nur schauen wollten, wer da so kommt und wer nicht. Und wenn schon, denke ich mir. Die müssten dann selber damit klarkommen, wenn sie sich morgens im Spiegel angucken.

Und überhaupt dachte ich so vor mich hin bei dieser Beerdigung. Dass diese Sätze manchmal so verkehrt gar nicht sind: Das gehört sich einfach so. Das gehört sich nicht. Das macht man so. Das macht man nicht. Wenn es um Anstand, Respekt oder gute Erziehung geht. Oder um das, was zumindest ich darunter verstehe. Ich kann daran gar nichts Provinzielles finden. Im Gegenteil.

Aber vielleicht werde ich ja auch nur einfach alt.

 

 

 

 

  • 6 Kommentare
  • Mechthilde Vahsen 9. September 2018

    Ich bin in einem Dorf aufgewachsen im Rheinland. Dort ist es auch so. Man gibt Geld in einem Umschlag und geht zur Beerdigung. Aus Respekt und um die letzte Ehre zu erweisen. Als mein Bruder plötzlich starb und in einer entfernten Stadt beerdigt wurde, haben viele Menschen aus dem Dorf Briefe an meine Eltern geschrieben. Da steckt auch Solidarität mit drin. Ich wohne in einem Stadtviertel, wo es diese Gesten auch gibt, wenn jemand stirbt, den die meisten kannten. Ich mag diese Tradition sehr.

  • Schwarzes_Einhorn 9. September 2018

    Ich war immer sehr befremdet, wenn nach der Beerdigung zum Essen gegangen wurde und dann dort die Stimmung nach einiger Zeit etwas gelöster wurde – teilweise wurde dann auch gelacht. Ich war schockiert.
    Bis ich dann gemerkt habe, daß man sich Anekdoten über den/die Verstorbene/n erzählte, die ja auch lustig sein konnten. Schließlich hatte die Person ja auch ein Leben und das ließ man nochmals Revue passieren. Diese Geschichten nochmals oder auch zum ersten Mal zu hören hatte auch etwas Tröstliches.
    Das gilt natürlich nur, wenn die Person tatsächlich ein Leben hatte. Wie es bei einem verstorbenen Kind wäre, kann ich mir nicht mal vorstellen.
    (den besagten Umschlag gab es natürlich auch – Hintergedanke: Beerdigungen sind teuer und niemand weiß, was die Hinterbliebenen noch an Kosten an der Backe haben)

  • Sabine 10. September 2018

    Ich glaube auch, man muss halt „alt“ und vielleicht ein bissschen weiser werden, um einen Sinn hinter dem zu sehen, lwas man halt so macht“.

    • walli 10. September 2018

      in der dorfgemeinschaft wird vieles geteilt. die persönlichen ereignisse zu lebzeiten: taufe, konfirmation, hochzeit, die aussterbenden silber- und goldenen hochzeiten, runde geburtstage, usw. zu diesen anlässen gibt es hier auch oft umschläge. weil man sich kaufen kann was man will und/oder schon alles hat…
      auch das verabschieden am ende, die beerdigung, gehört dazu. anteilnahme- auch an den finanziellen belastungen.
      mir gibt dies geborgenheit und oft auch trost im hessischen ried. wo die dörfer immer größer werden. das rhein main gebiet lässt grüßen…
      aber das was sich gehört, viele sitten, gebräuche, usw., wird es hoffentlich weiter geben. werte könnte man es auch nennen.

  • Provinzei 11. September 2018

    Natürlich wird nach der Beerdigung gelacht !
    Und getrunken, manche saufen.
    Die Trauer, die Gefühle, Sie müssen ja raus.
    Und man kann ja nicht die ganze Zeit heulen.
    Also Alkohol und loslassen und lachen, ja lachen.
    Natürlich erst nach einer gewissen Zeit, nicht gleich am Friedhofstor.
    Und gerne auch was essen, weil Trauer kostet enorm Energie.
    Und dann abends wie erschlagen in die Falle.

  • Christina 15. September 2018

    Hier in Hessisch Sibirien ( Nordhessen) ist das auch so, wenn Beerdigungen sind, geht wenigstens einer aus jedem Haus hin. Das ist nicht mehr ganz so ausgeprägt, wie es früher mal war, aber hier gehen immer noch viele zu Beerdigungen.
    Vor Jahren war ich mal bei einem alten Pfarrer auf einer Beerdigung in Marburg, und da war ich total enttäuscht, das inklusive der Familie nur etwa 25 Trauergäste dort waren. Das fand ich richtig traurig, wo er doch sogar noch in seiner alten Gemeinde lebte. Damals hab ich schon gesagt, da wird man aber bei uns auf dem Land viel “schöner” unter die Erde gebracht.
    Leider stand ich auch schon oft auf der Seite der Trauernden und ich kann nur sagen, ich finde es unheimlich tröstlich, wenn da wie im letzten Jahr z.B. 200 Menschen mit mir um die beliebte Lebensgefährtin meines Vaters trauern. Dieses “die kommen nur aus Neugierde” finde ich total bescheuert. Ich kenne ehrlich gesagt niemanden, der freiwillig und gern aus Neugierde auf eine Beerdigung geht.
    Das gehört sich halt einfach so.
    Ich gehe auch nicht nur für den Verstorbenen hin, sondern besonders um seinen Angehörigen zu zeigen, das sie in ihrer Trauer nicht alleine sind.
    Wenn ältere Menschen gestorben sind, gibt es hier meist auch noch das “Gelage”, das Kaffeetrinken, wo sogar gelacht wird.
    Und auch das finde ich wichtig. So traurig es ist, aber in einer größeren Verwandtschaft sieht man manche ( gerade die Älteren) nur noch auf Beerdigungen. Und es ist schön, das man sich wenigstens dabei noch trifft.
    Das heute hier weit verbreitete ( in meinen Augen schreckliche) “nach der Beerdigung gehen wir in aller Stille auseinander” mag ich nicht. Man sieht die Leute dann in Grüppchen an den Straßenecken rund um den Friedhof stehen und sich unterhalten…es fehlt einfach irgendwas.
    Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so darüber denke, aber die Weisheit kommt wohl doch tatsächlich mit dem Alter.
    Übrigens wurde hier immer das Kaffeetrinken von den Beträgen aus den Umschlägen bezahlt, und eben als Unterstützung für die Beerdigung, da kommen schließlich (meist unerwartet), doch hohe Kosten auf einen zu. Viele schickten früher auch Kaffee, Mehl oder Zucker. Das brachte man dann zum Bäcker und der machte dann den Beerdigungskuchen damit.
    Als ich Konfirmandin war ( Anfang der 80er), waren wir auch “Kranzmädchen” das hieß man ging mit einem Kranz direkt hinter dem Sarg und dem Pfarrer vor der Trauergemeinde her, und musste anschließend auch noch die restlichen Kränze zum Grab bringen.
    Im Anschluss bekamen alle älteren Menschen über 70 im Ort, die nicht an der Beerdigung teilnehmen konnten und nicht mehr gut zu Fuß waren, ein Tütchen mit 3-4 Stückchen Kuchen, nach Hause gebracht von uns. Viele saßen schon mit Kaffee am Fenster und warteten auf uns, und manche meckerten auch, wenn wir zu spät kamen, weil wir mal die Runde anders herum gelaufen waren. Aber so kannte man auch alle älteren Leute im Ort ( wir haben ca. 2000 Einwohner). Für die 3 Stunden Arbeit gabs damals 10 DM für jeden.
    So, nun ist das ganz schön lang geworden, aber so ist das hier bei uns…
    LG und ein schönes Wochenende,
    Christina

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