1. FC Huhn.

8. August 2018

Wir werden hier in diesen Tagen Zeugen eines dramatischen Prozesses, dessen Folgen bislang noch nicht absehbar sind. Er geht um das Thema Loslassen oder auch Loslösen, und diejenigen unter Ihnen, die Eltern haben, kennen das Thema ja vielleicht. Mütter wissen jedenfalls direkt bescheid. Es ist ein Thema, dass uns nahezu ein Leben lang begleitet und den therapeutischen Praxen landauf, landab immervolle Kassen beschert. Naja, Sie wissen schon. 

Also, wie dem auch sei: die mir doch eigentlich so unsympathische Glucke hat ja nun drei herzige Kinder ausgebrütet und dauer-gackernd behütet, sie ist rund um die Uhr und sieben Tage die Woche die perfekte Mutter, man kann das gar nicht anders sagen. Ich habe mich in dieser Henne schlichtweg getäuscht, sowas passiert auch der erfahrenen Tierhalterin hin und wieder noch.

Die Küken eilen jedenfalls inzwischen mit etwas staksigen, aber strammen Schritten Richtung Hühnerpubertät. Ja, auch bei Hühnern gibt es eine Pubertät, sie äußert sich vorallem in völlig unsäglichem Aussehen, alles ist schief und krumm, die Frisur sitzt nicht, die Füße sind zu groß, die Beine viel zu lang. Die Proportionen machen, was sie wollen, aber die halbwüchsigen Hühner fühlen sich dessen ungeachtet wie Graf Koks und machen dicke Arme.

Bis eben noch haben Mutti und die Kinder im separaten Gluckenstall übernachtet, aber damit ist nun Schluss. Das habe ich als Erste Erziehungsberechtigte im Hause so beschlossen. Die Verwaltungsexperten unter Ihnen kennen den Begriff des Ersten Landesbeamten, so in etwa muss man sich das vorstellen, nur eben auf Hühnerhalterebene.

Jedenfalls habe ich nun gestern nachmittag bereits den Gluckenstall versperrt, auf dass die Glucke mit den Kindern nun endlich wieder in den eigentlichen Hühnerstall zu all den anderen Hühnern umziehen möge.

Muttern tat das auch. Und wie. Noch ehe die Dämmerung hereinbrach, wetzte die Glucke in den echten Stall und hopste mit Anlauf und Begeisterung auf die Stange. Sie saß wie zur Salzsäule erstarrt und gab fortan keinen Mucks mehr von sich.

Draußen erhob sich Weinen, Wehklagen und Zähneklappern, die kleinen großen Küken rannten irrlichternd durchs Gehege und suchten ihre Mutti. Sie schrien und piepsten, sie näherten sich mal dem Stall und eilten dann verzweifelt wieder in die andere Richtung, sie jaulten, heulten, klagten. Und Muttern saß mucksmäuschenstill auf ihrer Stange und bewegte sich keinen Nanomillimeter, um bloß kein Geräusch von sich zu geben.

Küchenpsychologisch ist die Sache ja ganz klar. Die Alte hatte einfach mal die Schnauze voll. Eine Nacht, nur eine einzige Nacht wollte sie mal wieder unter Erwachsenen sein, ganz ohne piepsende Kinder. Wenn Sie Kinder ihr Eigen nennen, werden Sie sich da vielleicht wiedererkennen.

Leider ging der Plan der Glucke nur so semi auf: Irgendwann spülte eine Welle der Verzweiflung zwei der Kleinen in den Hühnerstall, sie erblickten die Mutter, kreischten wie am Spieß und hockten sich wild flatternd direkt press neben sie auf die Stange. (Hier müssen Sie sich jetzt ein Hühner-Augenrollgeräusch vorstellen. Wenn Sie ein Herz für Mütter haben, noch dazu eines für alleinerziehende Mütter, umso mehr.)

Eines der Küken allerdings weigerte sich, mit der Mutter im Hühnerstall zu übernachten, die kleine Henne rüttelte mit dem Schnabel und den Füßen so lange am Törchen des Gluckenstalls herum, bis ich ihn wieder öffnete. Dorthinein verschwand sie jammernd, eine wimmernde kleine Gestalt in der Dunkelheit. Wahrscheinlich ist sie die Jüngste der Drei und musste bislang schon allerlei böse Scherze der zwei älteren Geschwister über sich ergehen lassen, man kennt das ja, was sich da abspielt, wenn man die Kleinste ist. Sie können dazu gerne mal meine große Schwester und meinen noch größeren Bruder befragen.

Heute abend nun wieder das gleiche Schauspiel, nur mit anderem Ausgang. Die drei Halbstarken übernachten allesamt wieder im Kinderstall, sie wimmern da ein bisschen vor sich hin, dicht aneinandergedrängt trotzen sie der Finsternis und ihrer Angst vor bösen Geistern unterm Bett. Muttern sitzt im Stall gegenüber, offenbar hat sie ein ernstes Wörtchen gesprochen mit ihren Heranwachsenden, und endlich, endlich darf sie heute mal alleine unter Erwachsenen übernachten. Sie hört wohl das weinerliche Gepiepe ihrer Blagen Kleinen, aber es scheint ihr wurstegal zu sein. Einmal! Ohne! die Kinder!

Wir werden das weiter beobachten, seien Sie versichert. Nicht, dass es am Ende zu tiefgreifenden psychologischen Problemen kommt, die die kleinen Hühner ihr Leben lang belasten werden. Oder auch die Mutter. Gewissenskonflikte, Schuldgefühle, Mutterkomplexe, Trennungsangst, Bindungsprobleme, Beziehungsunfähigkeit, ach, die Liste ist lang. Und erinnert mich an die entfernte Bekannte, die mit der Geburt ihres Sohnes ein Sparkonto für eben diesen einrichtete, damit er eines Tages die Therapeutin bezahlen kann. Aber das ist jetzt wieder eine andere Geschichte.

 

 

 

  • 4 Kommentare
  • Juliane 9. August 2018

    Ja, das Leben ist hart! Ich fühle mit der Henne, aber natürlich auch mit den Kleinen. Zum Glück haben sie ja den ganzen Tag wieder die Gelegenheit bei Mama zu sein…
    Danke für diese Geschichte, ich könnte ein ganzes Buch davon lesen!

  • Kirsten Glatzer 9. August 2018

    Als ansonsten stille Leserin komme ich heute nicht umhin, meiner Begeisterung über Ihre Texte endlich mal Ausdruck zu verleihen. Einfach großartig!!!

    • LandLebenBlog 9. August 2018

      Danke, das freut mich!

  • Oona 18. August 2018

    Wunderbarer Post!

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