Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals einen solchen Sommer hatten, hier oben in dieser Region, die im Untertitel Badisch-Sibirien heißt. Sie heißt so aus etlichen mehr oder weniger lustigen Gründen, die sich dem Zugereisten erst nach und nach erschließen, und einer der Gründe ist natürlich das Wetter. Immer kälter und nasser als anderswo.

In diesem Jahr ist alles anders, die Wiesen und Weiden verdorren, Weizen und Gerste leiden, was grün war, ist gelb, mit jedem Windstoß fegt wild der Staub über die Landschaft, und auf dem Schotter-Weg runter zum See fühle ich mich manchmal ein bisschen wie die verwegenen Automobilisten bei der Rallye Paris-Dakar, so groß sind die Staubwolken, die ich weithin sichtbar hinter mir herziehe.

Es hat seit Wochen nicht geregnet, ach, was sage ich, es ist vielleicht schon Monate her, dass mal irgendwas vom Himmel fiel, das man mit gutem Gewissen als Regen bezeichnen könnte. Fritzi und Luise, die beiden Ziegen, sind schon eine gefühlte Ewigkeit bei uns, und noch nie haben die beiden hier einen Guss erlebt.

Mein Geo, eigentlich bekennender Hitzefan, steht wimmernd vor all den vertrockneten Stauden und Blumen im Garten, er redet den darniederliegenden Kartoffelpflanzen gut zu, dass sie sich doch bitte vom staubigen Boden wieder erheben mögen, und er beobachtet allerlei anderes essbares Grünzeug beim Verschrumpeln und Vertrocknen.

Täglich entscheiden wir aufs Neue, wen oder was wir ethisch-moralisch und vorallem ökologisch vertretbar noch gießen sollen, die Tomaten kriegen ein bisschen Wasser, die Gewürze und die drei Geranien, ja, die auch. Geranien sind leider spießig und äußerst durstig, aber schön anzusehen. Ästhetik im Alltag, das muss schon sein, dem Petrus’ sein trockner Humor hin oder her.

Wasser sammeln wir in Bütten in Handwasch- und Spülbecken und schütten es dann abends auf die lechzenden Pflanzen, ein paar übriggebliebene Bröckchen vom Abendessen sind immer dabei, oder ein Rest Milch, aber das hat noch keinem geschadet. Schließlich müssen wir allesamt kämpfen, ums Überleben, ja, die Lage ist ernst.

Und wenn ich zwischendurch mal gar nicht mehr weiß, was ich tun soll, wenn Hunde und Katzen und Ziegen und Hühner versorgt, und die spießigen Geranien gegossen sind, dann setze ich mich unter den Apfelbaum hinten im Garten und philosophiere ein bisschen. Was soll man schon anderes tun, hier in der Provinz. Der Apfelbaum jedenfalls hängt voll mit Äpfeln – besser gesagt: er hing voll mit Äpfeln. Auch er hat derzeit Hitzestreß, wie vermutlich wir alle, und er löst das ganz clever. So zumindest habe ich das hier gelernt, von Haus aus habe ich ja keine Ahnung von derlei Dingen.

Also, wenn es dem Apfelbaum zu stressig wird, wenn die Äste voll hängen und schwer und immer schwerer werden, von unten aber kein Wasser, kein Lebenselixier zu erwarten ist, dann macht er sich einfach frei. Von allem überflüssigen Ballast. Er schmeißt die kleinen Äpfel von sich, alles, was nicht unbedingt nötig ist zum Leben, wird abgeworfen. Der Baum konzentriert sich dann quasi auf sich selber, er ent-lastet sich, um wieder neue Kräfte zur Verfügung zu haben. Er lässt los, was nur an ihm zehrt.

Mir kommt das ausgesprochen schlau vor, und manchmal denke ich, es gibt da die eine oder andere gestresste Freundin, den einen oder anderen Bekannten am Rande des Burn-outs, den würde ich gerne mal unter den Apfelbaum setzen. Siehste!, würde ich dann oberschlau sagen und ein wichtiges Gesicht dazu machen, Siehste, der Baum macht das richtig. Wenn alles zuviel ist: Last abwerfen, sich aufs Wesentliche konzentrieren. Sich freimachen, um wieder besser atmen zu können. Los-lassen. Ja, ja, Sie kennen das aus den Psychokolumnen der Frauenzeitschriften. Aber ich finde, das klingt durchaus schlüssig und geradezu philosophisch.

Natürlich tut es mir auch leid um die kleinen Schrumpeläpfel, die da abgeworfen werden. Aber bestimmt ist es so: Irgendwann kommt der Regen, und dann tritt irgendeine Wildsau auf den Schrumpelapfel drauf, der Kern wird in die feuchte Erde gedrückt – und siehe da: ein paar Jahre später steht da wieder ein wunderbares kleines Apfelbäumchen.

Hach.

Naja, Sie wissen schon.

 

 

 

 

4 Kommentare zu “Obstphilosophie”

  1. Hier wirft der Apfelbaum in Nachbars Garten auch schon den einen oder anderen Apfel ab. Wobei wir jetzt tatsächlich mal einen heftigen Regenguß hatten. Die Äpfel haben schon teils eine rote Bäckchenfarbe. (Es ist hoffentlich rot und nicht bräunlich-verbrannt, das sieht man auf die Entfernung nämlich nicht so gut.)
    Wie es Petrus macht, macht er es eben verkehrt. Vielleicht sollte man ihm mal einen Facebook-Account spendieren oder einen bei Twitter, und ihn schriftlich zumüllen, wenn er wieder an der Witterung rumschraubt. Shitstorm im Himmel. Wäre doch mal was, vielleicht gäbe das dann auch Regen?

  2. Jetzt musste ich doch lächeln, denn genau die gleichen Gedanken hatte ich vor einigen Tagen, beim Beobachten des hiesigen Apfelbaums, der massenhaft kleine Äpfelchen abwirft, um sich zu entlasten. :-)

  3. Oh, es ist schön verbracht mit dem Wetter! Ich Giessen auch nur sehr wenig und gezielt. In der Spühle steht auf einer Seite eine grosse Box zum Wasser auffangen, immer wenn ich etwas mit Spüli o.ä. nutze, geht das Wasser daneben. So bekommt mein frisch dieses Jahr gepflanster Quitten Baum regelmäßig Wassergaben. Und bis Wasser bei der Trockenheit tiefer ankommt…

    Drücke Euch und auch uns die Daumen für wenigstens Mal einen Schauer
    LG
    Nina

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