Ich bin da dieser Tage am Rande einer Dienstfahrt in so einen lost place hineingestolpert, mehr oder weniger unvermittelt und vermutlich verbotenerweise, die Abendsonne leuchtet golden durch die nicht mehr vorhandenen Fenster, über Schutt und Müll, und ich stakse also in feinem Büro-outfit und mit dementsprechenden Schühchen durch diese Ruine und knipse mit dem Handy und denke ein bisschen nach.

Ich denke darüber nach, dass an Orten wie diesem über Jahrzehnte hinweg der Kalte Krieg allgegenwärtig war, er war quasi das täglich Brot derjenigen, die hier arbeiteten. Die Soldaten schauten gebannt Richtung Osten, Richtung Eiserner Vorhang, sie beobachteten und planten und organisierten, sie hielten Maschinen und Munition in Schuss, sie reparierten und warteten Panzer und Raketen, sie robbten durch den Schlamm und durchs Unterholz zu Übungszwecken, für den Fall der Fälle.

Sie machten das rund um die Uhr, sie sorgten für unsere Sicherheit oder den Weltfrieden oder wasweißdennich, jedenfalls waren sie 365 Tage im Jahr gefasst auf das, was da kommen möge aus dem bösen Osten. Ausgerechnet der beschauliche Odenwald mit seinen grünen Hügeln war voll von amerikanischen Raketenstellungen mit atomaren Sprengköpfen, von großen Bundeswehrkasernen, von Panzern und Munition, eine zeitweise bis an die Zähne bewaffnete Region.

Irgendwann war der Osten aber gar nicht mehr böse, der Kalte Krieg war vorbei, der Eiserne Vorhang löste sich in eine Art Wohlgefallen auf, alle freuten sich, und die Soldaten gingen nach Hause oder in andere Kasernen, die Amerikaner zogen ab, die Bundeswehr-Truppen wurden verkleinert, es fühlte sich alles ziemlich friedlich an, im Odenwald und überall, und Gebäude wie diese wurden schlussendlich überflüssig.

Und so ging die Zeit hinweg über Baracken wie diese, Moose und Flechten breiten sich aus, wo früher Schreibtische und Büroschränke standen; an den Eingangstüren übernehmen Brombeergestrüpp und Farne das Regiment, der Wind pfeift durch die Löcher in den Wänden und treibt den muffigen Geruch der Vergänglichkeit vor sich her, und eines nicht mehr allzu fernen Tages wird mit einem dumpfen Rumpeln und Donnern das Dach einstürzen und die letzten Zeugen einer schwierigen, vielleicht sogar explosiven Zeit unter sich begraben. Einer Zeit, der vermutlich niemand hinterhertrauert.

Ich stelle mir vor, wie das Dach vielleicht sogar wohlig seufzt beim Einsturz, wie es den ganzen Klump und die ganze Geschichte unter sich zudeckt und denkt Aus!, Ende!, Vorbei mit diesem Blödsinn, diesem Wahnsinn, dieser Scheiße! 

Vor ziemlich genau drei Jahren bin ich schon mal durch einen lost place dieser Art gestolpert, gefühlt war das quasi gestern, ganz bei mir um die Ecke, eine ehemalige amerikanische Raketenstellung, das alles beeindruckte mich ähnlich, Sie können das (klick!) hier nochmal nachlesen, und am meisten berührte mich der Stoßseufzer meines Begleiters seinerzeit: Diese merkwürdigen Zeiten, diese scheinbar ständige Kriegsgefahr in Europa seinerzeit , das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Und was für ein Segen, dass es sowas nicht mehr gibt!

Und jetzt weiß ich auch nicht.

 

 

 

Ein Kommentar zu “The Times they are a changin’.”

  1. Ja stimmt! Als ich zehn war, habe die Atmosphäre auch mitbekommen, diese unterschwellige Dauerangst, dass eine Katastrophe passieren könnte, über die die Erwachsenen aber niemals redeten. “Die Russen kommen”, das Schreckensszenario überhaupt. In den Spielfilmen damals waren die Amerikaner immer die Guten, smart und gutaussehend, und die russischen Gegenspieler immer die bösen, unberechenbaren Hässlichen.
    Ich wusste aber, dass mein Vater im Krieg in Russland gewesen war, er hatte mir erzählt, dass alte russische Mütterchen den deutschen Gefangenen beim Transport Brotstücke zugeworfen hatten, weil sie mit Tränen in den Augen an ihre eigenen Söhne dachten. Für mich waren “die Russen” nicht nur böse.

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