November.

30. November 2016

Irgendwie war dieses ganze Jahr ein bisschen wie November. Weltgeschehen und so weiter, naja, Sie wissen schon. Alles schrecklich, alles Grau in Grau. Viele Prominente verabschiedeten sich dazu noch von der Bühne, nein, der auch?, ach Du liebe Zeit, die war doch gar nicht alt!, vieles davon ließ mich eigentlich persönlich unberührt, aber es blieb doch das Gefühl, dass es an allen Ecken und Enden bröckelt in dieser Welt. Wie in einem ins unendliche ausgedehnten November.

Passend zum November als dem Sterbemonat las ich heute einen Text beim kiezneurotikerund wie ich da so nachdachte über Tod und Sterben, da fiel mir eine Beerdigung neulich ein, im Nachbardorf. Die Alte war gestorben, und natürlich bin ich in die Kirche und anschließend mit auf den Friedhof. Wenn Du in Deiner neuen Heimat auf Beerdigungen gehst, dann bist Du angekommen, hat mir mal ein sehr netter Kollege hier im Odenwald  gesagt, und ein paar Monate später war seine Beerdigung die erste, zu der ich ging. 

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Ein Symbolbild.

Wie dem auch sei: Ich bin da also neulich auf dieser Beerdigung, und ich hatte ein trauriges, mickriges Häuflein Gäste erwartet, eine Handvoll Leute vielleicht, stattdessen ist die Kirche rappelvoll. Nach einer Stunde geht es dann zum Friedhof, 70 oder 80 Menschen laufen still die paar Schritte zu Fuß durchs Dorf, hinterher kommen Pfarrer und Ministranten mit wehenden Gewändern, ein kleines Mädchen schleppt ein Megaphon, ein anderes einen Lautsprecher, damit am Grab auch alle etwas hören.

Die Menschen verteilen sich im großen Kreis um Sarg und Grab, schweigend im eisigen Wind, alles geht seinen Gang, irgendwann wird der Sarg ins Grab hinabgelassen und langsam zerstreut sich die Gesellschaft, nur ein paar enge Angehörige bleiben noch etwas stehen.

Wer sind all diese Leute?, frage ich einen, den ich kenne, waren die alle mit der Alten bekannt? Das wäre mir ganz neu. Nein, sagt der, ich habe sie auch nicht gekannt, aber sie hat doch bei uns im Dorf gewohnt, da geht man eben hin zu der Beerdigung. Das gehört sich doch wohl so. 

Das gehört sich doch wohl so. Abschied zu nehmen von einer Unbekannten, sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten, obwohl man sie nicht gekannt hat. Einfach, weil sie aus dem Dorf war, irgendwie dann doch dazugehörte. Der ebenfalls unbekannten Familie zu zeigen: Wir sind da, wir nehmen Anteil.

Keine Ahnung, warum, aber ich fand das irgendwie sehr rührend und sehr tröstlich.

 

 

 

  • 4 Kommentare
  • Astridka 30. November 2016

    Ist es auch: tröstlich. Und wichtig, einem Menschen die letzte Ehre zu erweisen.
    Das habe ich selbst hier in meinem Veedel (=Kiez) so gehalten, bis mein Dienstherr ( bzw. seine Vertreterin als Schulleiterin ) das nicht mehr genehmigt haben ( die neuen Technokratinnen ). Die älteren haben das auch zu ihrem Wirkungskreis im Veedel gezählt…
    Habe heute auch über das Thema simeliert, nachdem wir in der Pilger – Ausstellung hier in der Stadt waren. Es kam heraus, dass nicht die Teilhabe am Glanz des Verstorbenen entscheidend ist, sondern eingangs erwähnte Ehrerbietung.
    Und während ich mich hier in der Großstadt immer mehr von den Bräuchen der Altvorderen entferne, trittst du näher…
    Eine gute nacht!
    Astrid

  • AnGarasu 1. Dezember 2016

    Das gehört sich so? Das GEHÖRT sich so? Was nützt einem die letzte Ehre der Mitmenschen aus dem Dorf, wenn sich zu Lebzeiten niemand von denen um einen geschert hat?
    GEHÖRT ES SICH, dass eine alte, arme Frau von allen wie eine Aussätzige behandelt wird, weil sie durch das soziale Raster gefallen und einsam ist?
    GEHÖRT ES SICH, wenn niemand auf die Hilfeschreie aus dem Keller reagiert, wenn man als Kind von den Großeltern mal wieder eingesperrt worden war? Jahrelang.
    GEHÖRT ES SICH, dass die Dörfler nie die Polizei riefen, wenn aus dem geöffneten Kinderzimmerfenster laute Schmerzenschreie kamen, weil die Mutter wieder mit dem Gürtel zugeschlagen hat? Das ganze Dorf wusste Bescheid.
    Plötzlich liegt wochenlang ein junger Mann bis auf die Knochen abgemagert tot in der Wohnung. GEHÖRT ES SICH, dass er sich vorher unfreiwillig zu seiner Homosexualität hatte bekennen müssen? Dass er daraufhin den Job beim Dorffriseur verlor, weil ein angeekelter Kunde es im Dorf herum erzählt hatte und sich niemand mehr von ihm die Haare schneiden lassen wollte? Dass er danach jahrelang auch privat geächtet wurde?
    GEHÖRT ES SICH, dass ein Grundschullehrer jahrzehntelang seine Schüler prügeln konnte, ohne dass jemand dagegen vorgegangen wäre? Erst als er starb, war Ruhe.
    GEHÖRT ES SICH, dass eine Familie in einem fast verrottetem Haus mit vier Eseln, fünf Ziegen, drei Hunden und zwei kleinen Kindern wohnt, die im Winter wochenlang nur auf Socken oder Sandalen durch die Straßen gelaufen sind, weil niemand mal hingegangen, nachgesehen und bspw. dem Jugendamt Bescheid gesagt hat?
    GEHÖRT ES SICH, dass eine Mutter tagelang auf Drogentour gehen kann, ihre beiden kleinen Mädchen alleine in der Wohnung lässt und niemand die Polizeit ruft, als Nachbarn und Passanten diese durch das Wohnzimmerfenster nach Essen betteln hören? Nur weil sie dreckig sind und verfilzte Haare haben?

    Die Liste lässt sich von mir beliebig erweitern. Und das alles ist seit meiner Kindheit in meinem Heimatdorf passiert. Und es passiert noch. Da SCHEISSE ich doch drauf, wenn die Leute, die über all das Bescheid wissen und durch Schweigen mitmachen, mir das letzte Geleit geben würden! DAS gehört sich nämlich.

  • Katja 1. Dezember 2016

    @AnGarasu, auch wenn ich Ihren Text etwas einschüchternd finde, haben Sie recht.

    Als meine Kinder starben und beerdigt wurden, wollte ich auch niemand fremdes dabei haben. Dass Freundinnen meiner Schwiegermutter auftauchten, um _ihr_ ihren Respekt zu zeigen, empfand ich als blanke Frechheit. Es waren nicht ihre Kinder, sondern meine. Und da eine persönliche Party drauß zu machen, nehme ich ihr und ihren Freundinnen heute noch übel.
    Es ist nicht so, dass sie meine Kinder gekannt hätten, dafür lebten beide nicht lange genug.

    Menschen trauern unterschiedlichen, das ist klar. Trotzdem verstehe ich dieses Aufdrängen nicht. Wem hilft es? Mir käme es nie in den Sinn, einfach auf eine fremde Beerdigung zu gehen, nur weil…. irgendwas. Ich kann vieles tun, um meiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Eine Kerze im Fenster, eine Beileidskarte zB. Nur das Aufdrängen würde mir nicht einfallen. Es hat für mich etwas vom Gaffen.

    Man kann da also, so scheint es mir, unterschiedlicher Meinung sein.

    • LandLebenBlog 1. Dezember 2016

      Ich habe natürlich auch über diese “andere” Seite nachgedacht, die Du und AnGarasu ansprechen, dass es die sicher auch gibt, ebenso wie den Zorn, den AnGarasu formuliert. Für mich wirkte die beschriebene Situation tröstlich, und ich fände es tröstlich, wenn es bei meiner Beerdigung eines Tages auch so wäre. Aber ich bin nicht von hier, ich bin hier nicht aufgewachsen und ich blicke hier nicht sehr tief in die Häuser und die Familien und in die Köpfe hinein, vielleicht macht das einen Unterschied, keine Ahnung.

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