Der Wald tut, als wäre nichts passiert, die Vögel zwitschern, irgendwo Richtung Dorf schreit eine Kuh, und im Unterholz, tief drinnen, herrscht völlige Stille, nur unterbrochen vom Klopfen der Spechte. Wenn ich hier unterwegs bin, und alles ist ruhig und nur ab und zu ist das energische Trommeln dieser merkwürdigen Vögel zu hören, das laut die Stille unterbricht, dann fällt mir manchmal das Wort vom Tiefen Frieden ein, das die Großmutter immer wieder verwendete.

Ach Ihr, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, was wißt Ihr schon? Ihr habt doch immer nur im tiefen Frieden gelebt. Fast fuchste es mich als Jugendliche, wenn sie das in den Raum warf und damit jede Diskussion zum Ende brachte. Aber sie hatte ja recht, seinerzeit. Zumindest aus unserer Westberliner Sicht.

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Also streife ich durch den Wald und denke über den Tiefen Frieden nach, der hier fast zum Greifen scheint und höre den Spechten zu. Wenn ich das Handy so eingestellt hätte, daß jede Neuigkeit und jede Nachricht, jede news mit einem Ping! oder einem Ploppp! angekündigt würde, dann klänge es in diesen Tagen wie eine wildgewordene Popcornmaschine, Neueste Informationen aus Brüssel! würde es ploppen und schreien, hier klicken zum live-Blog unserer Reporter vor Ort!, Krieg in Europa, Chaos am Tatort!, Erste Augenzeugenberichte!, und Dieses Video zeigt die Attentäter!, Atomkraftwerk wird evakuiert!, Atomkraftwerk wird doch nicht evakuiert!, Die Terroristen sind unter uns!, aber ich habe das Handy ausgeschaltet, ich gucke nur morgens und abends ganz kurz auf die Nachrichtenseiten und denke dann darüber nach, ob live-Blogs und Twitter-Berichte vom Tatort wohl soetwas sind wie die (Daten-)Autobahn für Gaffer. Und welchen Sinn es macht, sein Profilbild oder auch gleich das ganze Brandenburger Tor in die belgischen Nationalfarben zu hüllen, als hilflose Geste der Betroffenheit.

Und ich denke darüber nach, warum ich nicht so erschüttert bin, wie ich wohl sein sollte, warum ich denke: Das war doch klar, daß soetwas bald wieder passiert, und es war klar, daß Empörung und Erschütterung für einen Moment nach oben schnellen, daß sich die User in den sozialen Netzwerken gegenseitig überbieten in unflätiger Form und häufig sinnbefreitem Inhalt, daß sie gegeneinander anbrüllen quer durch den virtuellen Raum und daß auch das übliche Polit-Geschrei nach allen Richtungen dann wieder losgeht. Der Hass hört nicht auf, er wird nur immer größer.

Der Wald tut derweil also, als sei nichts passiert, die Vögel zwitschern, irgendwo Richtung Dorf schreit eine Kuh, und im Unterholz herrscht völlige Stille, nur unterbrochen vom Trommeln der Spechte, ich denke an die Großmutter und ihr Wort vom Tiefen Frieden und darüber, daß ich zu ihr sagen würde Deinen Tiefen Frieden kannst Du Dir sonstwohin stecken, das hier ist das genaue Gegenteil, und nebenbei frage ich mich, ob ich es eigentlich bin, die in einer verkehrten Welt lebt, oder alle anderen.

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10 Kommentare zu “Tiefer Frieden.”

  1. Liebe Friederike,

    hm….. ja, das stimmt schon. Im Odenwald oder auch sonst in der Natur mag man von alle dem Elend, dem Hass und Terror nicht viel mitbekommen, dennoch ist man nicht frei davon, dennoch geht es auch uns etwas an und wir dürfen uns davor auch nicht verschließen. Mich selbst beschäftigt dieses Thema z.B. sehr.

    Ich weiß natürlich, was Du mit Deinem Post sagen willst, aber dennoch kommt mir da wieder eine Diskussion in den Sinn, die ich diese Tage (vor Brüssel) auf Facebook geführt habe und ich habe Angst, dass vielleicht ein falscher Eindruck von uns und unserer Gegend entstehen könnte.

    Im Normalfall diskutiere ich Dinge nicht öffentlichen bzw. schon gar nicht in den sozialen Netzwerken aus. Dieses „Meinung rausschreien in die Welt“ und es Hinz- und Kunz mitzuteilen, muss ich nicht haben. Allerdings ist es schon relativ schwierig, wenn man ständig versuchen muss, „wegzulesen“, wenn einer immer wieder und seit Monaten seine AfD-Parolen schwingt und glaubt, er sei im Recht (ich respektiere natürlich schon die Meinungsfreiheit). Dennoch wars populistisch bis zum Gehtnichtmehr, hat mich unglaublich provoziert und dann ging halt irgendwann der Kommentiergaul mit mir durch und ich habe irgendwie versucht, dagegen zu halten. Tja und dann kams, wie es kommen musste, das Totschlagargument schlechthin: „Bei Dir im Odenwald ist halt die Welt noch in Ordnung. Ich dagegen reise ständig durch die Welt und bekomme so einiges mit“…. bumm zack – Badisch Sibieren halt wieder oder noch beliebter: Ihr alten Hinterwäldler habt vom echten Leben halt keine Ahnung – schöne heile Welt und so.

    Das hat mich sehr geärgert, denn ich glaube schon, dass wir sehr wohl wissen, was abgeht, dafür muss ich weder in Paris, Brüssel, Paris oder sonst wo in einer Metropole diese Welt leben. Auch brauch ich sicher kein Jetset-Life oder sonst was, um irgendwie mitreden zu können und auch zu dürfen. Auch hier ist es das beherrschende Thema, die Leute sind schockiert, fühlen sich ohnmächtig und haben eine Meinung. Den tiefen Frieden gibt es ganz sicher im Wald, aber vermutlich auch nur ganz weit drinne. Sobald man dann zur Dorfschänke geht, ist es mit dem Frieden auch schon wieder vorbei – auch wenn ein Anschlag sicher nicht ganz so präsent ist und wir eher nicht unbedingt so das große Ziel (zum Glück!) sein werden.

    Ich weiß natürlich, was Du mit Deinem Post ausdrücken wolltest, auch dass Du eher froh bist, dass man hier mal abschalten kann und wenn man Ruhe sucht, diese auch findet. Es ist ja auch durchaus beruhigend zu wissen, dass man wohl eher nicht im Fokus steht und in ständiger Angst leben muss. Zumindest wenn es um die Angst geht, selbst betroffen zu sein.

    Dennoch sollten wir uns nicht raushalten, denn irgendwie geht es uns ja alles etwas an. Auch wenn man die Probleme natürlich nicht mit Belgienflaggenschwenken löst – keine Frage.

    Liebe Grüße,
    Pamela

    1. Das bekomme selbst ich zu hören, dass ich hier im Hinterland ja gar nicht wirklich weiss, was abgeht in der Welt. Das ist natürlich völliger Blödsinn, und es geht auch nicht darum, sich raushalten zu wollen. Ganz im Gegenteil. Aber es ist diese verrückte Ambivalenz, an der ich auch manchmal schier verzweifle: da draussen im Wald ist es so friedlich, und für einen Moment denkst Du, vielleicht ist ja doch die ganze Welt friedlich, aber sie ist in Wirklichkeit das genaue Gegenteil. Ich kriege das manchmal gar nicht zusammen.

      1. Und ich habe gerade frisch zurück aus Madagaskar verstanden, dass es meine Verantwortung ist, dafür zu sorgen, dass mein Friede gewahrt wird. *Abgrenzung* ist für mich das Zauberwort – und ich habe vor, das nun deutlich vehementer zu machen. Nichts geht mir über meinen tiefen Frieden. Wirklich nichts. Und was andere denken/ machen/ tun ist deren Sache. Ich habe mich um mich zu kümmern – und das meine ich nicht egoistisch, das meine ich aus Gründen des Selbstschutzes.

        1. Wenn das mit der Abgrenzung nur so leicht wäre…. Ich übe seit Jahren mit mäßigem Erfolg.

  2. Alles gut, ich weiß ja auch wie Du es meinst. Es ging mir (auch vermutlich nur wegen dieser/meiner blöden Diskussion da neulich bei fb) vielmehr darum, dass es nicht genau in die Argumentation derer spielt, die genau das eben immer unterstellen. Nur deshalb ;)

  3. Würden mehr Menschen die Ruhe im Wald suchen, innehalten, zur Besinnung kommen und endlich mal nachdenken. Dann gäbe es idealerweise keinen Fanatismus, keinen Frust, keinen Hass, auch keine Attentate. Und wenn der Frust schon da ist, kann man sich da, im Wald, auch ordentlich austoben ;-)

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