Dienstag war es mal wieder so weit: Termin im Funkhaus. Ich musste in die Landeshauptstadt. Schnell noch die Morgenrunde drehen….

Himmel

…dann geht’s los. Kleine Landpomeranze auf großer Fahrt. Vom Odenwald in die große, weite Welt.

„Willst Du etwa mit dem Auto fahren?“, fragt mein Geo besorgt. Ich habe im Berliner Großstadtdschungel meine Fahrprüfung bestanden, sechsspuriger Kreisverkehr rund um die Siegessäule gleich in der dritten Fahrstunde, da werde ich mich doch wohl in einer süddeutschen Provinzhauptstadt zurechtfinden! Endlich mal wieder rein ins pulsierende Großstadtgetümmel.

„Pulsierendes Großstadtgetümmel?“ fragt Geo zögernd. „Darf ich mit?“. Klar darf er. Nach meinem Termin stürzen wir uns endlich mal wieder ins pulsierende Getümmel.

Pulsierend!

Stoßstange an Stoßstange schleichen wir mit gefühlten 1,6 Millionen anderen Fahrzeugen Richtung Süden, riesige LKW, Reisebusse, voll besetzte PKW. Wollen die etwa alle in die Landeshauptstadt? Durch das geöffnete Fenster wabern Motorenlärm und Benzingestank ins Auto.

Endlich angekommen. In der Innenstadt Straßenbahnen rechts und links, rasende Taxen, brüllende Lastwagen, Fahrradfahrer, die uns mit atemberaubendem Tempo in Einbahnstraßen entgegenkommen. „Vorsicht!“ schreit mein Geo alle zwanzig Sekunden und hält sich am Armaturenbrett fest, dauernd hupt es irgendwo, klingeln Fahrradklingeln, tröten die Straßenbahnen, jaulen Feuerwehrsirenen.

„Gelernt ist gelernt!“, beruhige ich Geo betont lässig und lenke den Wagen durch das organisiert-motorisierte Chaos. Dass ich schon jetzt schweißgebadet bin, muss Geo ja nicht wissen.

Irgendwie schlagen wir uns zum Funkhaus durch. „Jetzt bloß noch schnell einen Parkplatz finden!“ keucht Geo mit Blick auf die Uhr. „Und wenn’s geht, einen zum Vorwärtseinparken“, denke ich heimlich. Rückwärts-Einparken war noch nie meine Stärke, und seit wir im Odenwald wohnen, bin ich noch nie in die Verlegenheit gekommen. Begriffe wie „Parkplatzsuche“ oder „Parkplatznot“ kommen im Odenwälder Sprachgebrauch nicht vor. Im ganzen, großen Landkreis mit seinen 27 Gemeinden und 145.000 Einwohnern gibt es nur in einer einzigen Kommune kostenpflichtige Parkplätze und Tiefgaragen. Ansonsten parkt man, wo man will, – und immer vorwärts.

Nach dem Termin im Funkhaus ab ins pulsierende Großstadtgetümmel. „Aber das Auto lassen wir hier!“, bestimmt Geo, „Den Parkplatz geben wir nicht mehr her!“ Also mit der Straßenbahn rein in die Innenstadt, zum Bahnhof, in die Fußgängerzone.
Straßenbahn

Ein lauer Sommernachmittag, Straßencafés, Restaurants, kleine Espressobars. Elegante Schmuckgeschäfte, teure Raumausstatter, Kaufhäuser, Ramschläden. Ein Gewimmel wie in einem Ameisenhaufen, überall duftende Anzug-Herren mit feinen Leder-Aktentäschchen, Mütter mit chromblitzenden High-Tech-Buggys, gackernde Teenager in angesagten Klamotten.

Kurzzeitig verliere ich Geo im Getümmel aus den Augen. „Immer schön an den Händen halten!“, befehle ich als erfahrene Großstädterin, „damit uns im Gedränge keiner trennen kann!“ Aneinandergeklammert wie weiland Hänsel und Gretel kämpfen wir uns durch die Menschen-Masse, schieben und drücken, auf Tuchfühlung mit sommerlich schwitzenden Leibern, lassen uns zwangsläufig und wider Willen treiben. „Ich will aber mal da hinten in den Laden gucken!“ nörgelt Geo und fuchtelt mit dem freien Arm in unbestimmte Richtung. „Geht jetzt nicht! Du siehst doch, was hier los ist!“. Um meinen Geo muss ich mich manchmal kümmern wie eine Mutter um ihr Kind.

Nachher gönnen wir uns ein selten gewordenes Vergnügen: Rolltreppe fahren. Rein in ein Kaufhaus, Rolltreppe rauf, Rolltreppe runter. Die schönen Damen in der Parfümerieabteilung gucken komisch. „Arrogante Großstadt-Kühe!“, sagt Geo bloß.

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Durchs Gedränge schieben wir uns wieder Richtung Ausgang, vorbei an Schals und Mützen, Lederkoffern, Beautycases, Armbanduhren, Süßigkeiten, Haarshampoo und Körpercreme. Brauchen wir noch was? „Nee, bloß raus hier!“ stöhnt Geo. Vor dem Kaufhaus preist plärrend ein Mann eine neuartige Küchenmaschine an, hobeln, häckseln, schneiden, reiben – alles auf einmal möglich, und das auch noch zum Mega-Hammer-Super-Sensationspreis. Als Geo sich durch die Menge interessierter Hausfrauen drängeln und den Hobel-Mann fragen will, ob man mit dem Ding denn auch entsaften kann – „Wir haben doch bestimmt dieses Jahr wieder irre viele Äpfel!“ -, bekommen wir ernsthaft Streit.

Durch das lärmende pulsierende Großstadtgetümmel schlagen wir uns zur nächsten Straßenbahnhaltestelle durch, Fahrtrichtung Funkhaus. Überall riecht es nach Döner und nach Fritten, nach billiger Bockwurst und teurem Großstädter-Parfüm. „Ich will nach Hause“, nörgelt Geo wie ein kleiner Junge. „Nur noch ins Auto, ein paar Staus, und dann sind wir daheim!“, verspreche ich tapfer.

Schweigend fahren wir am Abend über die Autobahn Richtung Heimat. Schweigend über Landstraßen, die immer kleiner, immer schmaler werden. Je holperiger das Gelände wird, desto mehr hellt sich unsere Laune auf.

Haben wir heute noch was Wichtiges vor? Ja, haben wir: Ich muss noch den Hühnerstall zumachen. Und dann den Glühwürmchen beim Tanzen zuschauen.

Ein Kommentar zu “Landeshauptstadtwahnsinn”

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