Meine Urgroßmutter, familienintern Urömchen genannt, hatte einen Waschzwang. Niemand weiß so genau, ob sie den tatsächlich hatte, oder ob er nur vorgetäuscht war, um ihren Mann zu ärgern, in dessen Schatten sie zeitlebens stand. Das ist ja auch letzten Endes völlig wurscht. Jedenfalls muss ich seit Wochen täglich an Urömchen denken, immer dann nämlich, wenn ich mir – mal gelassen, mal hysterisch – die Hände wasche, jeweils 25 Sekunden lang. Also genau gesagt denke ich somit rund 32mal täglich an das Urömchen, macht dann zusammengerechnet fast eine Viertelstunde Urömchen pro Tag, das gabs ja so auch noch nie.

Kennengelernt habe ich Urömchen leider nicht, sie ist ein paar Monate vor meiner Geburt fast 80jährig gestorben. Trotzdem ist sie auch in Zeiten ohne Waschzwang bei uns im Haus präsent, wir benutzen täglich das alte Familiengeschirr und -besteck, und außerdem habe ich eine alte Kladde aus ihrem Besitz geerbt, in der ich gerne herumblättere, soweit das knittrige, vergilbte Papier das noch zulässt.

In der rindsledernen Kladde mit Goldschnitt hat Urömchen alles notiert, was man (frau) so notieren muss, wenn man immer mal wieder Gesellschaften gibt, Gäste einlädt, mit Hausmusik und allem pipapo. Im Berlin der 10er und 20er Jahre, und dann nach dem Krieg wieder, in den 50ern. Rezepte, Einkaufslisten, Tischordnung, Gästeliste, Anzahl der geliehenen Stühle, Kosten für den geliehenen Steinway-Flügel, Zuverlässigkeit der eigens engagierten Kellner. Manchmal auch nachträgliche Notizen über den Verlauf der festlichen Gesellschaft. Herr von Zitzewitz tat den ganzen Abend lang das, was er am besten kann: Im Weg rumstehen. Nicht wieder einladen!

Urömchen war dick und rund und vereinte in sich eine Mischung aus Kölner und Berliner Humor. Bei einer ihrer illustren Gesellschaften ließ sie das Hausmädchen auf einen Teil der Kanapees Filzläppchen legen statt geräuchertem Schinken, und sie freute sich diebisch über die heimlichen Versuche der wohlerzogenen Gäste in Smoking und Abendkleid, den nassgekauten Filz irgendwie unauffällig aus dem Mund herauszubekommen und ebenso unauffällig zu entsorgen.

Die Familienlegende berichtet außerdem von der Geschichte, als Urömchen und ihr Mann Übernachtungs-Besuch von einer ungeliebten Tante hatten. Ihr taten die beiden vor dem Zu-Bett-Gehen noch etwas Brausepulver in den bereitgestellten Nachttopf, dieses Zeug, das bei Kontakt mit Wasser (oder anderen Flüssigkeiten, ähem) zischt und schäumt wie blöd.

Dieselbe Tante war auch der Grund dafür, das Urömchen eines schönen Tages eine etwas halbseidene Dame aus irgendeinem Berliner Etablissement engagierte. Die junge Frau wurde dafür bezahlt, dass sie während eines Abendessens mehrfach stumm und splitterfasernackt am Esstisch vorbei durch das Berliner (Durchgangs-)Zimmer huschen sollte, gespenstisch oder elfengleich, mal so, mal so. Die Tante war der Ohnmacht nahe, und Urömchen und ihr Mann beteuerten ein ums andere Mal, niemanden zu sehen, Nein, eine nackte Frau?? Tantchen, Du fantasierst! Sie haben das angeblich am Ende aufgelöst, die Tante war erleichtert, und die ganze Familie lacht bis heute darüber – wie über all die anderen Anekdoten rund um das Urömchen.

So. Und wie kam ich jetzt da drauf? Ach, ja, richtig: Händewaschen, Waschzwang, Urömchen. Hat also doch wieder irgendwas mit diesen verrückten Corona-Zeiten zu tun. Ja, man kommt halt um das Thema nicht herum. In diesem Sinne: bleiben Sie zuhause, waschen Sie sich brav die Hände, und machen Sie um Himmelswillen die Geschichte mit dem Brausepulver im Nachttopf nicht nach. Und bevor Sie an den kommenden Tagen in Ermangelung anderer Möglichkeiten das Haus durchputzen, denken Sie doch bitte noch an den wirklich legendären Ausspruch meiner Urgroßmutter: Bei Leuten, bei denen man vom Fußboden essen kann, schmeckt es meistens leider dementsprechend.

Und jetzt geb ich Ruhe.

4 Kommentare zu “Mal ganz was anderes.”

  1. Herrlich! Ich habe sehr gelacht.
    Ich erinnere mich an eine Geschichte über meine Uroma, ihres Zeichens dünkelhafte Pfarrersfrau – Bei einer Gesellschaft, wo sie eingeladen war, wurde ein Bild vorgestellt mit: „Das ist von einem unbekannten Künstler.“, woraufhin sie wohl sagte: „Das kann nicht sein, ich kenne ihn.“.
    Ich durfte sie noch erleben, sie hatte immer wunderbar gelegte silbergraue Wellen und war auch im hohen Alter noch ganz Dame.

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