Sehr geehrte Frau Karliczek,

Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich konnte zunächst in den Nachrichten nicht so wirklich viel mit Ihrem Namen anfangen, das lag nun wohl  – wie ich in manch einer Reaktion vernehme – daran, dass Sie so oft gar nicht in den Nachrichten vorkommen, obwohl Sie offenbar Bundesministerin sind. Aber die arbeiten ja mitunter auch konzentriert und fleißig im Stillen, ohne den ganzen Nachrichten-Hype, und das ist ja nicht immer das Schlechteste.

Nun sind Sie Bundesministerin für Bildung und Forschung. Und ich habe mit Bildung und Forschung thematisch nicht allzu viel zu tun, daran liegt es wohl auch. Da, wo ich lebe, im tiefen Odenwald, – das ist im nördlichsten Norden Baden-Württembergs – da, wo ich also lebe, ist das mit Bildung und Forschung ja auch so eine Sache. Naja, Sie wissen schon, Provinz, und so. Unter uns gesagt: Wir sind hier noch ein bisschen im Mittelalter, die meisten Eingeborenen leben von Ackerbau und Viehzucht, und von der Milchwirtschaft natürlich.

Foto: Gila-Hanssen_pixelio.de_.jpg

Sie haben da ein Interview gegeben zum Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes, das ist irgendsowas irre modernes, die entsprechenden Frequenzen werden demnächst versteigert, ich blicke da nicht wirklich durch, jedenfalls braucht die High-Tech-Industrie das durchaus. Und insgesamt wird es für den Fortschritt in Deutschland unerlässlich, irgendwann. Superschnelle, lückenlose Kommunikation, autonomes Fahren, undsoweiter, die Chinesen und die Amis sind da lang schon dran. Die Letten und die Esten bestimmt auch, und die Finnen sowieso. Nehme ich jetzt mal so an.

Wir haben hier mitunter nicht mal ein 3G-Mobilfunknetz, aber die meisten Menschen hier nutzen ja eh noch analoges Telefon. Wenn sie nicht gerade mit der Kuh das Feld bestellen und das arme Tier danach noch melken, per Hand im funzlig beleuchteten Stall. Aber insgesamt sind die Odenwälder ja ohnehin eher wortkarg. Was soll da der ganze Kommunikationsquatsch.

Aber so bald wird der irre moderne 5G-Ausbau nun also auch nicht kommen, zumindest nicht bei uns, denn Sie haben ja dankenswerterweise in dem besagten Interview klargestellt, das wir nicht an jeder Milchkanne 5G brauchen. 

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Es mag nun sein, dass ich ein bisschen dünnhäutig geworden bin, oder auch die Flöhe auf unseren paar Mobilfunkmasten husten höre – aber ich gehe doch recht in der Annahme, dass mit dem Bild der Milchkanne Regionen wie unsere gemeint waren? Also im Prinzip die eher ländlichen Regionen in Deutschland? Ich habe neulich übrigens von einer Soziologie-Professorin gelernt, dass nach den Maßstäben des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (Bundes(!)forschungsinstitut für
Ländliche Räume, Wald und Fischerei), dass also nach den Maßstäben der Wissenschaftler dort 55 (fünfundfünzig) Prozent aller Deutschen in sogenannten ländlichen Räumen leben, die mal dichter, mal weniger dicht besiedelt sind. (Keine Ahnung, warum mir das ausgerechnet jetzt einfällt.)

Natürlich hätten Sie mit Blick auf diese 55 Prozent auch formulieren können, dass nicht alle Regionen in Deutschland gleichermaßen und gleichschnell mit dem neuesten Mobilfunkstandard ausgebaut werden können, wir müssen da Prioritäten setzen undsoweiter undsoweiter, diese Sprüche kennt man ja, es liefe vermutlich auch auf dasselbe hinaus, klänge aber auf den ersten Blick zumindest etwas weniger überheblich.

Ich für meinen Teil brauche tatsächlich momentan vermutlich gar kein 5G-Netz, aber ich müsste in der Tat mal die vielen Odenwälder Landwirtschafts- oder Industriebetriebe befragen, ob die sowas brauchen, und die Weltmarktführer aus dem high-tech-Bereich, die hier im Wald in aller Ruhe erfolgreich arbeiten und zusammen ein paar tausend Menschen mit Lohn und Brot versorgen. Aber die wissen ja wahrscheinlich nicht mal, was das ist. Wozu auch?

Egal, wie. Sie hätten das also auch anders sagen können, aber mit der Milchkanne wird es natürlich plakativer, da hat Ihr schlauer Marketing-Mensch im Hintergrund schon recht. Hier die glitzernden Metropolen, die schöne neue Technikwelt mit selbstfahrenden Autos und Lufttaxis oder wie die Dinger heißen, und da liebliche weite Wiesen, über die junge dralle Bäuerinnen hüpfend die überschwappenden Milchkannen zum Hof zurücktragen, während die geflochtenen Zöpfe lustig um das pausbäckige, aber etwas einfältige Gesicht tanzen. Dann: Totale auf die Viehweide, Schwenk über die Berge, ein Bussard im Gegenlicht, orangefarbener Sonnenuntergang, bääääämmm, Abspann. 

Foto: Petra Dirscherl_pixelio.de

Liebe, sehr geehrte Frau Karliczek: Sie entschuldigen die Deutlichkeit. 5G hin oder her, das mit der Milchkanne, das ist nicht nur saublöd und klingt in meinen inzwischen ländlichen Ohren hochgradig zum Kotzen  arrogant, sondern es ist zudem noch ein Plagiat. Sie erinnern sich, Deutsche Bahn, mit Hochgeschwindigkeiten von mehr als, wow! 150 Stundenkilometern!, die kann dann aber nicht an jeder Milchkanne halten. Der freundliche Herr Mehdorn hat das seinerzeit gesagt, das fanden die betroffenen vermeintlichen Milchkannen auch nicht so wahnsinnig witzig.

Und Sie wissen ja, was aus dem Mehdorn geworden ist.

Na, also.

Mit hochachtungsvollen Grüßen aus dem Odenwald,

Ihre

Odenwälderin

– nach Diktat mit der Milchkanne in den Stall verschwunden – 

 

 

22 Kommentare zu “Milchmädchen.”

  1. Solidarisch, mit persönlicher (Odenwald-) Milchkannenerfahrung. So war das vor mehr als 50 Jahren – aber wie soll das bei diesen Netzen auch in der Hauptstadt ankommen…
    Ich musste wieder mal „teilen“, das soll frau (ländlich-katholisch sozialisiert) doch wenn es besonders Gutes gibt… Dankeschön!

  2. Applaus!!
    Jetzt muß Frau Karliczek Ihren Hinweis nur noch zu lesen bekommen. UND dann noch Ihren Verweis auf Herrn Mehdorn verstehen.

    Einen angenehmen Abend wünscht Ihnen
    Franziska

  3. Der Herr Mehdorn hat nach seinem Bahn-job noch mehrere andere hochdotierte „Glanzleistungen“ verbrochen wie die Flughafenbaustelle in Berlin.
    Mein Onkel war heuer in Thailand und hat erzählt im Dschungel nach 2 h Anfahrt über Pisten hätte er 4G empfangen. Das haben wir hier in der niederbayrischen Provinz (4000 Einwohner) nicht. Milchkannen dürften bei uns aber auch rar sein; eher werden noch ein paar tausend Schweinemastplätze genehmigt.
    Ich brauch jetzt einen Lavendeltee und ein Bett; nach so einem Rundumschlag.
    LG
    Martina

  4. Klasse! Hey, hatten wir s nicht gerade von Landflucht wieder einmal?
    Kein Wunder, oder? Und so ungefâhr jedes andere Land hat besseren Internetausbau und Handynetz! Ich könnte mich da jetzt lang drüber auslassen, weil es uns auch indirekt betrifft. Aber das kennt bestimmt fast jeder.
    Danke für den tollen Artikel! Wieder einmal! Aus dem Herzen gesprochen!
    Liebe Grüße
    Nina

  5. Ah, das hat sie also auch noch verbrochen äh sich versprochen…hat die Frau etwa auch Ambitionen auf einen höheren Posten ( da reden sich ja einige momentan manchmal fast um Kopf & Kragen in dieser Partei, die der Odenwälder liebt, nur um Erster zu werden )? Man könnte fast den Eindruck bekommen. Nun fühle ich mich in puncto Kinder mehr vom Fach als bei Milchkannen, aber so weit kenn ich mich aus, dass ich die Aussage
    Unverschämt finde.
    LG
    Astrid

  6. Eigentlich ganz einfach:
    In anderen Ländern bauen die Telekommunikationsfirmen die Infrastruktur selber auf. Mit eigenem Geld.
    Hier in D versucht man, diese Kosten auf den Staat abzuwälzen.
    Was ja auch klappt, die Politiker sind froh um jedes tolle Thema, und Digitalisierung klingt super cool und kompetent beim Wahlkampf.
    Mein Gott, „Digitalisierung“. Mein Leben ist komplett digitalisiert, ich glotze jeden Tag auf CAD Programme, SAP, Microsoft Oberflächen u.s.w.
    9 Stunden täglich, das sollte eigentlich reichen !
    Das gleiche passiert ja auch beim Stromtrassenausbau.
    Auch hier hat man gleich ein tolles Wort dafür erfunden, man spricht von „Stromautobahn“.
    Aber warum soll der Staat die Strom oder Funkmasten bezahlen, wenn nachher die Stromkonzerne die Kohle einschieben, unter Vermeidung von Steuern ?
    Genau, damit die Kohle immer nur in eine Richtung fließt.

  7. Leider, leider schießt sich das Landvolk in Sachen Funktechnik of selber in den Fuß.

    Beispiel meine Heimatgemeinde: Telekommunikationsanbieter sucht Standort für Sendemast, Gemeinde möchte, aber kann nicht, weil kein Bauer willens ist, den dafür nötigen Grund zu verkaufen oder zu verpachten. (Wieviel braucht so’n Funkspargel eigentlich? Einen Quadratmeter?) — Vermutlich steckt da auch ein wenig die hier im Bayerischen Wald noch weit verbreitete Strahlenangst dahinter. Niemand will sich ja schließlich dem Vorwurf aussetzen, die Nachbarskinder zu verstrahlen, man konnte die ja sowieso noch nie leiden etc. ad inf.

    Etwas später: Privatmann macht Nägel mit Köpfen. Der hässliche Mast steht jetzt auf seinem Privathaus in der Ortsmitte, ein architektonisches Prachtstück und ob seiner Optik bei der Bevölkerung in der Kritik wie seinerzeit der Eifelturm in Paris. Rufe nach Abriss wurden schon laut, geht aber nicht, weil die örtlichen Bauvorschriften Aufbauten bis zu zehn Meter Gesamthöhe erlauben.

    Ende der Geschichte: Gemeinde geht leer aus, Privatmann freut sich über Pachteinnahmen und die „Generation Smartphone“ sowie die Bewohner der an den Sendemast angrenzenden Senioren-WG haben endlich LTE.

  8. Aber dann, eines schönen digitalen Tages…
    wird der vernetzte Kühlschrank im Ministerium Frau Ministerin mitteilen, dass die Milch für den nächsten Kaffee zur Neige geht. Frau Ministerin wird einen Liter Milch ihrer zuvor im Internet ausgewählten Lieblingskuh im Odenwald reservieren, die digital vernetzte Milchkanne wird das Signal für den nächsten Halt des ICE senden, die Weichen über Stuttgart 21 werden bis zum Flughafen gestellt und der Ankunft am BER gesichert sein, —

    spätestens dann wird die Bahn Frau Ministerin mitteilen müssen, dass die Züge momentan leider alle gewartet werden müssen. :-)

  9. Der Witz ist doch das gerade Milchkannen 5G brauchen, wegen der lückenlosen Lieferketten. Die gesamte Landwirtschaft ist wesentlich digitaler als viele Glauben. Förderungsantrag: nur Website möglich, Erntemaschine: Fernwartung per Mobilfunk, Brachflächen: werden mit Satellitenbildern gerprüft, autonomes fahren: viel weiter als auf der Straße, Kühe tragen prozentual mehr Wearables als Mensch das tun ( Transponder für Futter/ Milchleistungsüberwachung)
    Und die Probleme von KMUs auf dem Land wegen lahmen Netz, lassen einen einfach nur wütend werten gegen solche Politiker. Welches Geschäft braucht den heute kein Internet?

  10. Ganz wunderbar geschrieben, Danke!

    Ich für meinen Teil war in diesem Jahr ganz im Süden der Republik von digitallosen Milchkannen umgeben und einige Monate später ganz oben vorm friesischen Deich und – sie ahnen es bestimmt bereits – da waren sie auch die digitallosen Milchkannen.

    Und die recht kurzen (noch???) Momente, an denen mich ebenjene Kannen digitallos umgeben, finden bei mir auf dem Dorf und seltsamerweise aber auch in der schönen Stadt am Neckar immer öfter (so kommt es mir zumindest vor) statt.

    Herzlichst in den Odenwald aus dem Kraichgau,
    Ev

  11. Richtig. Sehr richtig.
    Hoffentlich hat die Dame den Beitrag gelesen. Oder lesen lassen.
    Vermutlich eher zur Kenntnis genommen und wie auch unsere Marketinprofis kommentiert: Kollateralschaden.
    Trotzdem musste es gesagt werden!

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