Zwei Stunden tappe ich mit den Hunden am Morgen durch den vernebelten Wald, wir tasten uns gleichsam voran, an einigen Stellen kann man die sprichwörtliche Hand vor Augen nicht sehen, und ich muß mich auf meinen nicht vorhandenen Orientierungssinn verlassen, um mich nicht zu verlaufen. Ich mag dieses Wetter.
In all dem Nebel leuchtet uns plötzlich ein Pilz in Bonbonfarbe entgegen, so einen hab ich ja noch nie gesehen. Er sieht auf den ersten vernebelten Blick wie das geschredderte Endstück eines Abwasserrohrs aus Plastik aus, aber es ist tatsächlich ein Pilz.
Ich male mir schon aus, dass ich hier was Superduper-Seltenes entdeckt habe, aber Google und der mobile Netzempfang oberhalb vom unteren Höllgrund holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Gemeine Orangebecherling ist ziemlich häufig, geradezu so eine Art langweiliger Allerwelts-Pilz, naja, dann eben nicht.
Aber ich lerne, dass der Gemeine Orangebecherling zu der Familie der Feuerkissenverwandten gehört, und das setzt dann doch allerlei ernsthafte Überlegungen in Gang. Ich kenne Feuerstühle, aber was sind Feuerkissen? Und erst Feuerkissenverwandte? Habe ich vielleicht Feuerkissenverwandte in der Familie? Würde jemand mich als seine Feuerkissenverwandte bezeichnen? Sind wir alle Feuerkissenverwandte im Geiste? Fragen über Fragen, tief im Wald.
Zuhause muß ich das natürlich nochmal nachlesen, ich erfahre, dass es auch das Zusammenfließende Feuerkissen gibt, das man allerdings, Obacht!, leicht mit dem Gemeinen Staubhaarbecherchen verwechseln kann. Ich wäre dann wohl lieber ein feuerrotes Feuerkissen als ein olles graues Staubhaarbecherchen, beschließe ich.
Denke dann allerdings noch weiter darüber nach, wie in früheren Jahrhunderten Pilz-Forscher bis dato unbekannte Pilze entdeckt, kategorisiert und sich alle diese Namen ausgedacht haben, man muß sich solche Mykologen wohl als äußerst phantasiebegabte Menschen vorstellen.
Wie ich also auf Pilz-Sporen und -Spuren durchs Internet surfe, stoße ich dann unweigerlich auch auf den Herrn Karl Wilhelm Gottlieb Leopold Fuckel, den kannte ich auch noch nicht. Auch so ein Pilz-Män aus dem 19. Jahrhundert, der sich eingehend mit den Feuerkissen befasst hat. Ziemlich bekannt in der Pilzszene damals. Bei Wikipedia heißt es: Von einigen deutschen Botanikern seiner Zeit wurde Fuckels Name in Artenlisten mit Fuck. abgekürzt, was bei englischsprachigen Kollegen zu einiger Irritation führte.
Was man nicht alles erfährt, wenn man auf der Hunderunde versehentlich auf einen Gemeinen Orangebecherling stößt. Und da merkt man auch mal wieder, wie wichtig Weiterbildung ist.
Allseits einen gesegneten Sonntag.
Herrlich! Wenn man recherchiert, dann stößt man eben auf Überraschungen! Der Orangenbecherling – noch nie gesehen aber jetzt kenne ich ihn! Danke für die Erkenntnis! Ich könnte im Gegenzug eine „Krause Glucke“ bieten, die ist zu mindestens essbar!
Wenn man nicht ihren Doppelgänger erwischt, der auf den schönen Namen „Bauchwehkoralle“ hört…
Toll, Pilz und Erkenntnisse!
Ich fand im Odenwald mal einen, grellrot und wie ein Seestern, den Namen fand ich raus, habe ich aber vergessen.
Schöne Grüße von Sonja
Tintenfischpilz, so hieß der!
Ein super Text. Vielen Dank dafür!
„man muß sich solche Mykologen wohl als äußerst phantasiebegabte Menschen vorstellen“
Man kann auch nicht ausschließen, dass sie vom Spitzkegeligen Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) genascht haben.
….zum Text und den Inhalten wurde schon vieles gesagt, dem schließe ich mich an und ergänze: Diese Bilder – phantastisch!!
Einen geruhsamen Sonntagabend wünscht
Gabriela
Ich bleibe weit entfernt von Pilzen. 1980 war ich mit 5 Freunden 6 Wochen in Norwegen. Wir gingen fast täglich „in die Schwammerl und Blaubeeren.“ Bei der Blaubeersuche war ich erfolgreich, bei den Pilzen fand ich nur giftige, so dass ich nach der ersten Urlaubswoche von den Freunden Pilzsammelverbot bekam. Bei den Hundespaziergängen heute bewundere ich sie, aber lasse mich nicht auf sie ein. Dafür aber – das letzte Foto, ein Träumchen.