Der Wald kommt mir vor wie ein Dschungel, als wäre da irgendwas Grünes explodiert. Übermannshoch stehen Farne und Brombeeren und allerlei mir unbekannte Pflanzen, das Unterholz rechts und links der Wege ist schier undurchdringlich, ich muß an alte Hohlwege denken, man läuft an manchen Stellen wie zwischen Mauern. Dann wieder mitten im Wald große Flächen mit Fingerhüten, sowas habe ich ja noch nie gesehen, sage ich laut vor mich hin, wie so eine schrullige Alte, die im Wald mit sich selber spricht. Und überall Springkraut. Und Blüten. Und Blätter, so groß wie Klodeckel. So groß wie zwei Klodeckel
Der viele Regen hat den Wald explodieren lassen, und natürlich habe ich das alles schon mal so gesehen, aber ich erinnere mich kaum noch. Es muß ein paar Jahre her sein, und es ist verwunderlich, wie schnell ich mich an vertrocknete, staubige Wälder gewöhnt habe. Zwei, drei trockene Jahre haben gereicht, und schon kommt mir ein sattgrüner, saftiger Wald völlig unnatürlich vor, wie eine Übertreibung, wie aus dem Märchen. Ich hatte ganz vergessen, wie Natur im Sommer aussehen kann, ohne Dürre, schreibt Einer im Internet, der dieselbe Beobachtung macht.
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Es gehört (so berichtet man mir) mitunter zu den leidvollen Beigaben eines Frisörbesuches, dass man die nicht selten eher sinnfreien Gespräche an den Plätzen rechts und links von sich mitanhören muß. Ich bin da in der sehr komfortablen Situation, dass ich bei der Odenwälder Frisörin meines Vertrauens durch geschickte Terminplanung oft genug die Enzige im Salon bin, ich genieße das sehr. Nun begab es sich, dass neben mir aber doch zwei Frauen anwesend waren, sie steuerten beide scharf auf die Neunzig zu und unterhielten sich zwischen Waschen, Schneiden, Föhnen angeregt.
Über Fußball.
Ich weiß auch nicht, aber irgendwie fehlt mir bei dieser EM was, sagt die eine mit der etwas wackligen Stimme einer knapp 90jährigen, und Mir auch!, entgegnet die Andere. Es ist das Fesselnde, was fehlt, da sind sich beide bald einig, aber der Grund bleibt ihnen unklar. Ich meine, Sie müssen sich das vorstellen: Bei manchen Spielen gehe ich in der Halbzeitpause ins Bett!!. Unglaubiges Staunen der Anderen. Also, wirklich, sowas hätte es doch früher nicht gegeben! Erschütterte Blicke beiderseits.
Wenn die Deutschen spielen, gehe ich natürlich NICHT ins Bett, beteuert die Eine, während ihr die altersgemäß etwas dünn gewordenen, aber frisch gemachten Haare gekämmt werden, die Andere sagt Natürlich nicht! Die Ösis neulich, das war ein tolles Spiel!, die beiden fachsimpeln noch ein bisschen, um dann aber endgütlig zu konstatieren Das Fesselnde, das fehlt in diesem Jahr.
Heute abend, Samstag, da spielen die Deutschen, da werden die Beiden also wieder gucken, das ganze Spiel, nicht zur Halbzeit schon ins Bett gehen. Ich kann nur hoffen, dass die zwei Damen nicht zum Public Viewing gehen, das Wetter könnte grauslich werden, und wenn die angekündigten Orkanböen kommen, wären nicht nur die frischen Frisuren, sondern die ganzen fast 90jährigen Persönchen in ernsthafter Gefahr.
Jetzt also aufs Gewitter warten. Bis dahin noch Geranien zupfen, Hühner füttern. Mehr körperliche Betätigung ist bei dieser Hitze nicht drin. Nachher Fußball gucken. Oder auch nicht. Es fehlt ja irgendwas in diesem Jahr, das Fesselnde, das fehlt.
Danke für die für mich wirklich “herzerwärmende” Schilderung des Friseurbesuchs. Ich habe das Gefühl, ich saß mittendrin und konnte den Damen lauschen. Es gibt so Tage, da braucht man gerade einen solchen Beitrag, um sich wieder gut zu fühlen und lächeln zu können. Grüße aus Ostfriesland, Margot
ich lach mich weg, das Fesselnde fehlt den Damen.
Der Garten explodiert auch so. Die Ringelblumen kriegen salatgroße Blätter und der Borretsch. hat pfannekuchengroße Blätter, die ich ihm wegnehme, um in den Beeten zu mulchen, die in dem ehemals halbschattigfeuchten Teil des Gartens stehen – der plötzlich hell und trocken wurde, nachdem der Nachbar in einem Anfall von Aktionismus 3 Flieder kappte. Huch, dachte ich, Augen reibend und die Pflanzen darunter wohl ebenso, huch, hell, heiss. Ihre Waldbilder sind herrlich saftig grün. Fingerhüte hätt ich auch gern! Wundervoll.
Die Klodeckelblätter gehören zur Großen Klette. Die ist mit der Artischocke verwandt und soll sogar essbar sein.
Oha, danke!
Wie man hört, war und ist der Regen gut für den Grundwasserspiegel. Deswegen freue ich mich über das schlechte Wetter.
Mal wieder: Tolle Bilder – Danke! Erinnert mich sehr an mein Aufwachsen in Nordhessen … gute Erinnerungen an halsbrecherische Fahrradfahrten im Wald über Stock und Stein.