Die große weite Welt.

25. April 2024

Ich musste mal wieder nach München, in die Weltstadt mit Herz, zu der ich ein, – wie wollen wir sagen? -, zu der ich bekanntlich ein nachhaltig gestörtes Verhältnis habe. Ich tue mich ja inzwischen mit Großstädten generell schwer, aber München und ich, das wird in diesem Leben nichts mehr.

Ich habe da mal für ein Jahr gewohnt und bin schon unzählige Male am Münchner Hauptbahnhof abgefahren, angekommen, und wann immer ich diesen Hauptbahnhof betrete, kotzt mir irgendjemand vor die Füße. Man muß es in dieser Deutlichkeit sagen. Die ersten Male dachte ich noch, es liege vielleicht am Oktoberfest, aber Oktoberfest ist ja nicht das ganze Jahr hindurch, also bin ich inzwischen zu dem Schluß gekommen, dass es an mir liegt.

So oder so beschreibt das unser Verhältnis zueinander ganz gut, ich mag München nicht, und München mag mich nicht. Aber was soll ich Ihnen sagen: Wie ich da gestern vormittag wiederum ankomme am Hauptbahnhof, da passiert: nichts. Nichts.

Es riecht wie auf allen Großstadtbahnhöfen, aus den Ecken nach Pippi und Erbrochenem, im Menschengedränge nach Parfüm, ersteres ist unappetitlich, zweiteres verursacht mir in der geballten Ladung Kopfweh. Es mischen sich Parfüms aus aller Damen und Herren Länder, süßlich, harzig, holzig, leicht und schwer, Männer und Frauen ziehen gleichsam Duftwolken hinter sich her, die sich dann unten auf den S-Bahn-Steigen mit der muffig-warmen Luft mischen, die die Bahnen vor sich herschieben, bevor sie am Gleis ankommen. Dazu noch ein bißchen Schweißgeruch und olles Frittenfett, fertig ist der Duft der großen weiten Welt. Aber immerhin: niemand kotzt mir vor die Füße.

In der S-Bahn Richtung Berg am Laim dann sitze ich neben einer jungen Frau, sie spricht lächelnd in ihr Smartphone Hallo, mein Schatz, ich bin’s, hast Du Dich nochmal übergeben müssen, seit wir das letzte Mal telefoniert haben?, und ich denke nur Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben und steige am Rosenheimer Platz aus, kann die Fortsetzung der Geschichte also leider, gottlob, nicht verfolgen.

Es zeigt sich einmal mehr, was sich schon oft gezeigt hat: Ich bin für das Leben einer Großstadt nicht mehr gemacht, treue Leser wissen das – das Gedränge und Geschiebe, die Gerüche, der Gestank, die Hektik und der Lärm; ich fahre von hier nach da, erledige meinen Auftrag in der Weltstadt mit Herz, und fahre abends schnellstens wieder heim.

Wenn man München abends verläßt, sind die Züge nicht besonders voll, die 1. Klasse sogar gähnend leer. Von 100 Plätzen im Waggon sind allerhöchstens zehn besetzt, nur weit schräg vor mir kann ich einen weiteren Fahrgast erahnen. In München-Pasing (warum auch immer dieser Zug da hält), in München Pasing also steigt auch kaum jemand zu, bis auf den Herrn mit Aktentasche.

Er sieht aus wie eine Mischung aus engagiertem Realschullehrer mit Alt-68er-Vergangenheit und Germanistikprofessor, halb lässig, halb korrekt gekleidet, eigentlich gar nicht so unsympathisch. Er steuert direkt auf den Fahrgast da vorne irgendwo vor mir in der Reihe zu, würden Sie bitte den Platz freimachen, den habe ich reserviert, sagt er freundlich, und der andere sagt ebenso freundlich oh, ja,wenn Sie meinen, aber der gesamte Waggon ist doch leer, es sind hier doch überall ungefähr 80 Plätze frei!?

Es sei eine Frage des Prinzips, sagt der Mann mit der Aktentasche, bitte lassen Sie mich auf meinen Platz. Ich möchte laut sagen Das ist jetzt doch bitte nicht Ihr Ernst, aber ich bin zu feige, um mich einzumischen. Es ist im Übrigen gar keine Reservierung zu sehen, die digitalen Anzeigen über den Plätzen sind alle schwarz, ich kann es aber beweisen, hier sehen Sie, hier ist meine Reservierung. Der so Verdrängte steht also lächelnd auf und dreht sich hin und her, vor lauter freien Plätzen weiß er gar nicht, welchen er nun nehmen soll. Der Aktentaschen-Mann richtet sich derweil auf seinem reservierten Platz ein.

Der Zug fährt los, inzwischen sitzen also beide, und dann verläßt der Aktentaschen-Mann den Waggon, er läßt Jacke und Aktentasche zurück, er verschwindet Richtung Speisewagen und kommt erst nach einer knappen Stunde zurück an seinen reservierten Platz in dem ansonsten menschenleeren Zug.

Und ich denke, vielleicht ahne ich tatsächlich so langsam, warum es mit dieser Welt immer weiter bergab geht, immer weiter, immer weiter.

  • 13 Kommentare
  • C Stern 25. April 2024

    Trotz aller geschilderter Grauslichkeiten rund um den Münchner Bahnhof habe ich herzhaft gelacht. (Ähnliches lässt sich auch in der – vergleichsweise – Provinzstadt Linz/Donau erleben. Sagenhaft, was einem hier auch vor die Füße gekotzt und gepiselt wird.)
    Das herzhafte Lachen passiert mir auch nur hier in aller Regelmäßigkeit, die besondere Art der Berichterstattung weiß ich äußerst zu schätzen!
    Und erst die Geschichte rund um Mr. Seltsam und um seinen reservierten Sitzplatz – ja, so verstehen wir, warum es um diese Welt so steht, wie es um sie steht!
    Vielen Dank für diese Storys, mit herzlichen Grüßen ins Nachbarland, C Stern

  • Andrea-Sophie 25. April 2024

    Du schreibst mir aus der Seele. Sowohl, was den Hbf angeht, als auch in Bezug auf unsere Mitmenschen. Ich verstehe bald gar niemanden mehr. Unsere Flucht, aus München, ist in ca. 2 Jahren vorgesehen. Bis dahin…..

    Grüße aus der Weltstadt mit was auch immer.

  • Siewurdengelesen 25. April 2024

    Genau diese A…. und Prinzipienreiter sind der Typ Mensch und Blockwart, welche das Leben so schön machen und die bei vielen Dingen nicht einfach mal auf die andere Seite schauen können. Hoffentlich war es wenigstens gut für´s Ego, ehe solche Typen noch richtigen Blödsinn machen oder ihre Defizite woanders auslassen.

    Tja und München?

    Ist irgendwie wie jede (Groß)Stadt und die sehe ich fast alle am liebsten von hinten. Hamburg war wenigstens stellenweise cool und Berlin hat vielleicht auch an manchen Ecken etwas, alt werden wollen würde ich in keiner.

  • Hauptschulblues 25. April 2024

    Ich könnte Ihnen schon München nahebringen … wenn Sie sich mal meldeten.
    Zu Pasing: Der Halt ist Tradition, an der die Bahn festhält. Früher (?) lebten sehr sehr viel Bundesbahnangestellte und -beamt:innen, auch schon Reichsbahnmenschen, in Pasing. Damit die einen schnellen Weg nach Hause hatten, hielten alle Züge dort. Und heute noch viele.

  • Gabriela 25. April 2024

    Danke für den Bericht aus der Großstadt und die damit verbundene Bestätigung für das LandLeben! Mir war ja schon das gediegene Heidelberg zu unruhig …
    Und Danke auch Hauptschulblues für die historische Information; ist ja rührend, wie ein Konzern an Traditionen festhält und die BWL-Menschen, die ja rechnen, wie viel so ein Halt kostet, in den 2. Rang setzt – tröstlich.

  • Isa 25. April 2024

    Ich möchte eine Lanze brechen für den Sitzplatzreservierer. Ja, am Startbahnhof mit vielen freien Plätzen mag er pingelig wirken. Wenn man einmal in so einer Situation auf die Reservierung verzichtet hat und dann, nachdem am nächsten Halt der Zug plötzlich knallvoll war, man selbst vom Ausweichplatz vertrieben wurde und den Rest der Fahrt auf dem eigenen Koffer sitzend verbracht hat ist man beim nächsten Mal nicht mehr kompromissbereit.

  • Marco 26. April 2024

    @Isa: Das ging mir auch schon ganz genau so! Daher finde ich das völlig in Ordnung, jemanden darum zu bitten, einen reservierten Platz frei zu machen. Wo ist denn das Problem für den Anderen? Kurz aufstehen und sich woanders hinsetzen. Das wäre einfach höflich; diese eine Minute Zeit hat man auf einer Zugfahrt häufig problemlos über. Die Erklärungen, des von Dir geschilderten Zusammenhangs, bei den meist erbosten Leuten, dauert normalerweise viel länger.

  • G.Fuchs 26. April 2024

    Da ich kürzlich auch ein paar Tage in München weilte, kann ich nur bestätigen: An die Massenmenschhaltung in Großstädten kann ich mich nicht mehr gewöhnen.
    Ich hatte übrigens auf der Rückfahrt einen amüsanten Reservierungstausch, es tut gut ein positives Beispiel im Gepäck zu haben.
    Liebe Grüße an mein ehemaliges Odenwaldrevier,
    deswegen (und aus Herzensgründen) lese ich so gerne hier,

  • Dana 26. April 2024

    Solange der Herr mit dem reservierten Platz freundlich war, sehe ich hier auch kein Problem. Vielleicht ist es die Angst, später eben keinen freien Platz mehr zu haben, vielleicht bereitet es ihm auch Schwierigkeiten, wenn sich Dinge nicht ganz wie geplant entwickeln – was weiß man schon. Er hat sich immerhin die Mühe einer Reservierung gemacht. Auf der anderen Seite sehe ich auch kein Problem darin, mir einen neuen Platz zu suchen, wenn der, auf dem ich sitze, eben reserviert ist.

  • Siewurdengelesen 27. April 2024

    Das Verhalten wäre dann ok gewesen, wenn besagter Reisender nicht hinterher erst einmal für eine Stunde verschwunden gewesen wäre. So hat es zumindest wieder das Geschmäckle, sich durchzusetzen um jeden Preis.

    Und falls das die erste Klasse und der Zug schon in München nicht allzu voll war, wird das auf der weiteren Fahrt auch nicht mehr groß anders gewesen sein.

    Es ist völlig i.O., in einer rappelvollen Fuhre seine Reservierung in Anspruch zu nehmen, immerhin hat man ja auch dafür Aufpreis bezahlt. In einem weitestgehend leeren Wagen dagegen auf genau dem Platz zu beharren…

  • Claudia Pollmann 2. Mai 2024

    Ja München muss man mögen – aber ich liebe diese wunderbare Großstadt was wahrscheinlich an meinen Urbayerischen Genen liegt – und schon als Kind war mein erster Weg in die U-Bahn – Großstadtluft schnuppern. Jeder Schulausflug aus der Allgäuer Provinz ging nach München nur Weg aus der Provinz. Und Wir haben jede Minute genossen.

    • Alwin 3. Mai 2024

      Na ja, verstehen tu’ ich dich da schon. Ich stamme aus dem Bayerischen Wald und habe mich sehr gefreut in München arbeiten zu dürfen. Gewohnt habe ich in Ottobrunn. Nach zwei Jahren fand ich die Großstadt aber bereits nicht mehr schön, sondern ziemlich nervig, und nach dem dritten Jahr ging ich dann nach Regensburg. Die Stadt ist weltoffen, studentisch, das Wetter ist angenehm, kurz: An der Donau gefiel’s mir besser als an der Isar.

  • Provinzei 3. Mai 2024

    geh heast…wos iss…geh weida
    München ist schwierig
    Aber man kann lernen, daß man sich mit Geld das Recht erkaufen kann, Lärm zu machen
    Einfach die Typen mit ihren Lamborginis oder Ferraris beobachten
    Und wenn man dann die Fähigkeit hat, weiter zu denken, kommt man zum Schluss, daß man sich noch viel mehr kaufen kann
    Politik, Macht, ja, Macht kann man kaufen, wenn man will ganze Länder
    Also ist der Besuch einer solchen Stadt doch immer wieder erhellend……

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