Glaubt einem zuhause ja auch niemand, dass die Schramme am Ohr daher kommt, dass eine französische Elster an der Ohrmuschel herumgeknabbert hat. Liebestoll oder aggro, das lässt sich nicht genau sagen, aber ich tippe auf Ersteres, denn sie benimmt sich ansonsten äußerst freundlich. Sie begrüßt uns gleich am ersten Tag im Ferienhaus, sie keckert und plappert, sie klettert auf uns herum und zwickt mir beherzt, siehe oben, ins Ohr.

Von Garten aus beobachte ich eine Frau, die mit dem Hund spazieren geht, an der Wiese geht sie in die Hocke, vor ihr auf dem Weg die Elster. Der Hund stellt sich blind und taub, er schnüffelt ausgiebig und auffällig unauffällig an einem Grashalm, sein Respekt vor der Elster ist offenbar groß. Die Frau lockt den Vogel zu sich heran, streichelt ihn, und fast sieht es von Ferne so aus, als würden die beiden sich unterhalten. Dann gehen Frau und Hund weiter, die Elster hüpft auf dem Weg hinterher.

Die Nachbarn in den Häusern drumherum kennen die zahme Elster auch, so kommt man ins Gespräch, deutsch-französisch-radebrechend, Was Sie hat mich schon ins Ohr gezwickt! auf Französisch heißt: Keine Ahnung, sechs Jahre Schulfranzösisch, seit gefühlt 200 Jahren eingerostet, helfen da nicht weiter. Aber im Haus gegenüber gibt es auch Schrammen an Ohren, das sieht man auch ohne Sprachkenntnis, da muß man gar nicht lange reden. Jeder präsentiert einfach die Schrammen am jeweiligen Ohr, alle wissen bescheid, alle lachen herzlich. Völkerverständigung mal anders.

BIldschön ist der Vogel, mit glänzendem Gefieder und schwarzen Knopfaugen. Wir haben viel Zeit, ihn aus der Nähe zu bestaunen, in aller Seelenruhe watschelt Frau Elster über die Terrasse, setzt sich auf den Tisch oder die Bank, kaum eine Armlänge von uns entfernt, ohne Hektik, ohne Scheu und Unruhe. Fast ist es ein bißchen unheimlich, wie sie einen so direkt anguckt, und ich denke so bei mir Wer warst Du wohl im ersten Leben? und Was willst Du uns mitteilen?, dabei bin ich gar nicht esoterisch oder so.

Elstern gehören, so lese ich, zu den alleralleraller-intelligentesten Tieren auf der Welt, ach, was sage ich: im ganzen Universum, und das macht die Sache noch ein bißchen unheimlicher. So eine Art fliegender Albert Einstein, quasi. In der Mythologie sind sie mal die Guten, mal die Bösen, man kann das alles im Internet erfahren, die indianische Variante scheint mir am sympathischsten, da sind Elstern schlichtweg Freunde und Verbündete der Menschen. Ob sie den Indianern auch liebevoll in die Ohren gezwickt haben, steht da leider nicht.

Jedenfalls befassen wir uns den lieben langen Tag mit Elstern, und das ist doch mal richtig Urlaub. (Und vielleicht mache ich nochmal ein Foto von Frau Elster, ich habe zwar nur das doofe Handy dabei, aber Naja, Sie wissen schon.)

6 Kommentare zu “Frau Elster.”

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