Die Vögel singen in der Abenddämmerung, aus den Hunden pule ich die ersten vollgesogenen Zecken – es geht wohl auf den Frühling zu im Odenwald. Vielleicht kommt aber auch noch Schnee, wir heißen schließlich im Untertitel Badisch-Sibirien, da gibt es normalerweise Winter bis März, und manchmal bis April. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten.

Aber ja, doch, es gibt sie noch, die ganz stinknormalen Sachen auf dem Lande, die ganz normalen Besonderheiten des Lebens in der vermeintlichen Provinz. Wenn Sie zum Beispiel Rat und Tat in einer medizinischen Fachrichtung brauchen, die in den hiesigen Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung leider nicht angeboten wird, dann müssen Sie in eine der großen Kliniken in der Region. Für einen klitzekleinen Eingriff, für die Nachsorge.

Ja, und?, werden großstädtische Leser und Leserinnen jetzt ratlos fragen, wo ist das Problem? Kurz hatte ich zwischendurch mal überlegt, meinen Geo doch einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu lassen, er ist ja prinzipiell kerngesund, und so weit ist das schließlich gar nicht. (Hier müssen Sie sich jetzt ein Schenkelklopfgeräusch vorstellen). Doch, geht!, der digitale ÖPNV-Fahrplan spuckt die Strecke aus: Dreieinhalb Stunden hin, dreieinhalb Stunden zurück.

Dann doch lieber Auto, jedes Mal. Eine Stunde hin, eine zurück. Bei der ersten Anreise brauche ich im Parkhaus am Klinikkomplex geschlagene 15 Minuten, um von der Schranke an der Einfahrt auf die sechste Ebene zu fahren, wo es angeblich noch ein paar freie Parkplätze geben soll. Auf allen Ebenen stehen die Autos, teilweise kreuz und quer, wer rückwärts ausparken möchte, behindert die, die rausfahren wollen, und wer rausfährt, behindert die, die rückwärts ausparken wollen, das ganze Parkhaus erscheint mir wie eine gewisse Fehlkonstruktion. Ich betrachte das alles staunend, hinter mir hupt es, vor mir hupt es, schneller geht es davon aber leider auch nicht. Und ich frage mich, wann ich das letzte mal bei uns daheim auf dem Lande jemanden habe hupen hören, es muß im Jahr 2016 gewesen sein, vielleicht auch 2017.

Die große Klinik wie der Berliner Hauptbahnhof, ein Getümmel und Geschiebe, alles völlig unübersichtlich für eine Landpomeranze wie mich. Die Security-Mitarbeiter in schwarzer Uniform sind bärtig, gegeelt, groß und duftend wie ein ganzer After-Shave-Schrank und ausgesprochen freundlich (wie eigentlich alle hier, ja wirklich); allein die Tatsache aber, dass ein Krankenhaus offenbar Security-Mitarbeiter braucht, steigert mein Wohlbefinden nicht gerade.

Die Flure endlos, man schickt uns hierhin und dorthin (Da, ganz am Ende des Ganges, das kann man nicht sehen, aber da sind die Aufzüge!), manche Bereiche des Hauses liegen still, wie ausgestorben, in anderen Ecken hocken Dutzende Menschen, halb- oder zumindest viertel-versehrt, blaß und müde, sie warten darauf, dass auf irgendeiner elektronischen Anzeige irgendeine Nummer aufleuchtet, dann verschwinden sie hinter einer von unzähligen Türen. Durch Wartebereiche werden Betten mit Patienten geschoben wie auf den Bahnhöfen früher die Gepäckwägelchen, vorbei an all den Wartenden, die Menschen in den rollenden Betten stellen sich schlafend, oder sind noch betäubt.

Wir wandern vom Altbau in den Neubau in den Altbau, und schon morgens um 9 meldet der Schrittzähler auf meinen Handy Schatzi, Du hast Dein Bewegungsziel für heute erreicht, 10.000 Schritt, so kann man natürlich auch sportlich in den Tag starten. Wir wandern und wandern, und einmal überholt uns eine Krankenschwester auf einem e-scooter.

Jedenfalls hätten wir das nun also auch erledigt, mein Geo trägt seinen kleinen Verband mit Stolz und Erleichterung, ich habe innerhalb einer Woche zwei Tankfüllungen verfahren und freue mich, wenn ich fürderhin nur ins hiesige, nette, beschauliche, sogenannte Provinz-Krankenhaus muss. Oder am besten gar nix in der Art, naja, Sie wissen schon. Im Übrigen: wer weiß, wie lange es die kleinen Krankenhäuser in ländlichen Gebieten noch geben wird?, aber das ist jetzt wieder eine andere Geschichte, und eine unerquickliche noch dazu.

2 Kommentare zu “Auf großer Fahrt.”

  1. Vielen Dank für den Erfahrungsbericht, der – leider – meine Vor-Urteile bestärkt und meine Fragen an eine wohlhabende Gesellschaft, wie sie denn mit auf medizinische Hilfe angewiesene Menschen umgeht, intensiviert.

  2. Es ist bitter, zu erleben, wie das Gesundheitssystem in den wohlhabendsten Ländern der Welt bergabfährt. Eine Tatsache, die nicht erst seit gestern bekannt ist.
    Und dass sich Ärzt*innen und Pflegekräfte in Krankenhäusern inzwischen nicht mehr sicher fühlen, ist auch nichts Neues mehr. Auch ich erlebe Security, die vor wenigen Jahren noch kein Thema war.
    Am besten, wir brauchen gar kein Krankenhaus, da schließe ich mich an …
    Liebe Grüße aus Österreich!

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