Es gibt eine kleine Ausstellung, die ich Ihnen gerne ans Herz legen möchte. Portraitfotos von Buchener Juden aus dem Atelier von Karl Weiß. Der Fotograf hat ab Ende des 19. Jahrhunderts das Leben in und um Buchen festgehalten, mit einer Technik, die im digitalen Zeitalter komplett undenkbar ist, und mit einer Leidenschaft, die am Ende tausende von Fotos hervorgebracht hat. Auch viele Portraits hat er in seinem Atelier gemacht, er hat die Hohen Herrschaften genauso fotografiert wie die sogenannten einfachen Leute, Familien und Kinder, Soldaten und Kriegsgefangene, (Klick!) hier habe ich vor ein paar Jahren schon mal über ihn und seine Arbeit berichtet.
Genau dieser Tage nun sollte die aktuelle Ausstellung von Portraits von Buchener Juden feierlich eröffnet werden, aber Sie wissen ja: Corona, Corona. Dass die Macher vom Bezirksmuseum ausgerechnet dieses Datum für die Ausstellung geplant hatten, hat dabei natürlich einen Grund. Am 21., 22. und 23. Oktober jährt sich zum 80.mal das, was in analogen und digitalen Geschichtsbüchern als die Wagner-Bürckel-Aktion bezeichnet wird.
Ab dem 21. Oktober deportierten die Nazis 6500 Juden aus Baden und der Saarpfalz in das französische Lager Gurs, und von dort aus weiter in die Vernichtungslager. 6.500 Männer, Frauen und Kinder innerhalb von drei Tagen und Nächten. Die beiden Gauleiter Robert Wagner in Baden und Josef Bürckel in der Saarpfalz gelten als die Initiatoren der Aktion.
In der Nacht auf den 22. Oktober 1940, „am Abschluss des jüdischen Laubhüttenfests, wurde die jüdische Bevölkerung aufgefordert, sich innerhalb kurzer Zeit (30 Minuten bis zwei Stunden) reisefertig zu machen, mit dem Befehl zur Deportation aus ihren Wohnungen getrieben, gesammelt und mit Omnibussen abtransportiert. Der Befehl betraf alle „transportfähigen Volljuden“ vom Kind bis zum Greis; schließlich waren es 6.504 Deutsche jüdischer Herkunft. Nur wenige wurden verschont, darunter die in „Mischehe“ lebenden Juden.
Gestattet war lediglich die Mitnahme von 50 kg Gepäck und eine Barschaft von 100 Reichsmark. Sieben Eisenbahnzüge aus Baden und zwei Züge aus der Pfalz fuhren mit den Deportierten über Chalon-sur-Saône ins unbesetzte Frankreich. Die Fahrt der badischen Juden über Freiburg, Breisach, Mulhouse, Avignon und Toulouse dauerte drei Tage und vier Nächte, bis die Vertriebenen schließlich am Fuße der Pyrenäen in Oloron-Sainte-Marie auf Lastwagen verladen und die meisten in das französische Internierungslager Gurs verbracht wurden.“ (Quelle: Wikipedia)
Allein aus dem ehemaligen Landkreis Buchen werden in dieser Nacht 115 Menschen aus mehr als 20 Orten zusammengetrieben, verladen und abtransportiert. Männer, Frauen, Kinder, Nachbarn, Mitschüler, Klassenkameraden. Freunde, Vertraute und Geliebte. Kaufleute, Angestellte, Arbeiter.
Aus Buchen werden abgeholt: Hedwig und Jakob Bär, Albert, Helena und Josef Oppenheimer. Aus Bödigheim Edwin, Philipp-Ferdinand und Stefani Haas sowie Max und Rosa Neumann. In Eberstadt werden Abraham und Ida Haugewitz gezwungen, ein paar Habseligkeien zusammenzuraffen und in Busse oder LKW zu steigen, ebenso wie Abraham und Janette Steinhardt. In Hainstadt holen die Männer Frieda Hirschberger aus ihrer Wohnung, dazu Karolina, Klara und Sofie Hofmann und Abraham und Emma Neuberger.
Einigen dieser Männer und Frauen werden Sie in der Ausstellung im Buchener Bezirksmuseum vielleicht begegnen. Schick angezogen und frisiert, schließlich hatte man ja einen Termin im Foto-Atelier vom Herrn Weiß in Buchen. Manche blicken ganz ernst drein, andere lächeln zurückhaltend, und keiner von ihnen ahnt, was da noch kommen wird in diesen Jahren.
Edwin Haas zum Beispiel, geboren 1904 in Bödigheim. Irgendwann in den 20er Jahren sitzt er im Buchener Atelier von Weiß und lässt ein schönes Portrait machen, ein junger Mann von 17 oder 18 Jahren. Am 22. Oktober 1940 wird er nach Gurs deportiert. Von dort geht es am 14. August 1942 nach Auschwitz, drei Wochen später wird er hier umgebracht. Vergast vermutlich.
Die Bilder von Karl Weiß sind allesamt sehenswert, und die aktuelle Ausstellung über Buchener Juden und jüdisches Leben im Städtchen ist vielleicht noch umso sehenswerter. Vor dem Hintergrund des gräßlichen Jahrestages und überhaupt. „Kurz stillhalten, bitte!“, heißt die Ausstellung im Bezirksmuseum, und ich würde ergänzen „Kurz innehalten, bitte!“. Das kann in diesen Zeiten ja ganz generell nicht schaden.
Wenn Sie vorbeischauen möchten: Immer sonn- und feiertags im Buchener Bezirksmuseum, (Klick!) hier können Sie das nochmal näher nachlesen, eventuell muß man sich sogar vorher anmelden, dann müssten Sie dann bei der Stadtverwaltung nachfragen. Oder ich finde es morgen nochmal raus.
Herzlichen Dank für den Bericht. Hinfahren können H.s aus Gründen nicht, leider.
Danke für den Hinweis, kannte ich noch nicht. Wenn ich mal wieder in die Gegend komme, werde ich mir das angucken. Nach Corona, Sie wissen schon…