Rolltreppenvorsatz.

14. Januar 2020

Zu meinen liebsten Freizeitbeschäftigungen gehört Rolltreppefahren. Ja, da staunen Sie. Aber man gönnt sich ja sonst nichts.

Nun ist Rolltreppefahren eine Tätigkeit, zu der ich hier auf dem Lande eher selten komme, denn es gibt im ganzen großen Landkreis nur ein oder zwei Rolltreppen, die diesen Namen auch verdienen. Bevor ich also Entzugserscheinungen bekomme, fahre ich hin und wieder in große Städte, um hier meiner rollenden Treppen-Leidenschaft zu frönen.

Genau gesagt, fahre ich natürlich immer nur nach Berlin, in meine Heimatstadt. Rolltreppen gibts da en masse, und es sind natürlich, Berlin, Berlin, die besten und schönsten und längsten Rolltreppen überhaupt in der ganzen Welt. Is klar.

Jedenfalls habe ich aber diesmal einen Fehler gemacht, einen ganz entscheidenden. Ich bin, weil es auf dem Weg lag, zum Rolltreppefahren ins KaDeWe gegangen, vorbei an den finster blickenden Türstehern, die nicht jedermann und jederfrau in diesen Tempel des Konsums einlassen. Offenbar sah ich, wenn schon nicht nach Geld, aber doch wenigstens vertrauenserweckend aus, jedenfalls ließen sie mich passieren, und ich fuhr, zunächst beseelt, vom Erdgeschoß in den 6. Stock, drehte auf dem Absatz um und fuhr wieder hinunter.

Zwischen Erdgeschoss und 1. Etage bin ich also noch beseelt, dann überfällt mich auf dem Weg in die 2. Etage eine gewisse Irritation. Zwischen 2. und 3. Etage verwandelt die sich in ungläubiges Staunen, und spätestens ab der 4. Etage in einen gewissen Menschenhass. In Etage 6 und auf dem Rückweg in einen veritablen Menschenhass.

Es mag daran liegen, dass ich tatsächlich inzwischen die Landpomeranze bin, zu der ich mich selber schon lange ernannt habe, jedenfalls bin ich am Ende komplett erschlagen. Dieser Luxus. Diese Preise. Diese Verkäuferinnen! Dieser süßlich-schwere Geruch von teurem Parfüm. 60.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Sechzigtausend Quadratmeter. Hallo? Das ist deutlich mehr Fläche als meine Wohn-Gemeinde Limbach mit ihren sieben Ortsteilen hat.

60.000 Quadratmeter vollgestopft mit edlem, überflüssigem Schund. Vollgestopft mit Menschen, die rempeln und knuffen und schieben und drängeln beim Tanz um das Goldene Kalb. Die sich, so kommt es mir im Vorbeifahren auf der Rollstreppe vor, herablassen, das eine oder andere Stück zwecks genauerer Prüfung vom Bügel zu nehmen. Die ihre Einkäufe schließlich wie nebenbei, fast verächtlich, auf die Kassentresen knallen, die platinöse Kreditkarte danebenknallen und hernach alles mit unbewegter Miene in die elegante Papiertasche stopfen. Die sie dann auch wie ein Statussymbol vor sich hertragen, lässig, aber unübersehbar. Perfektes understatement. Und ich mitten drin auf der Rolltreppe mit meiner abgewetzten rotweißen Ampelmännchen-Tasche aus LKW-Plane. Peinlich, peinlich, echt jetzt.

Kaufen, kaufen, kaufen. Reduziert! Sale! 30 Prozent!, schreien die Leuchtreklamen. Überall. Die Leute sind wie irre. Die Stadt ist überfüllt, und Weihnachten schon lang vorbei. Was machen die alle mit all dem Zeug, frage ich mich.

Im KaDeWe, dit sind doch allet bloss blöde Touristen, sagt das uralte berliner Tantchen, das lieber zu Karstadt am Ku’damm geht. Auf ihre unnachahmlich charmante Berliner Art. Hier wie da erkennt man die Touristen tatsächlich daran, wie sie dem Alltag vor den Türen der Konsumtempel begegnen. Der Berliner an sich, so habe ich das jedenfalls seinerzeit gelernt, ignoriert seine Umgebung komplett, würdigt sie nicht eines Blickes. Zumindest nicht, wenn er im unschönen Gedränge der Großstadt unterwegs ist, oder nachts in der U-Bahn. Kein Blickkontakt, kein Lächeln, keinerlei erkennbare Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse oder merkwürdige Gestalten. Immer geradeaus starren, durch alle Mitmenschen hindurch. Das hält einem manche Nerverei vom Leibe. Für Sie getestet.

Daran erkennt man aber die Touristen: Wie sie vor dem glitzernden Kaufhaus ängstlich den humpelnden Typen fixieren, der mit seiner bettelnden Hand in ihre Richtung wankt. Der wird doch nicht…? Was mach ich jetzt? Wie sie auf dem Prachtboulevard die Obdachlosen anstarren, die in der Nähe der U-Bahn-Schächte liegen, da, wo der unterirdische Bahnhof durch Gitter wärmend muffige Luft ausatmet. Guck mal. Schlimm, gell.

Ich kriege das alles nicht zusammen. Das Elend, die Verschwendung. Ganz Berlin ist voll von Geschäften, voll von Gedrängel, voll von Einkaufstüten, voll von Kreditkarten. Du brauchst Dies!, und Du brauchst Das!, schreien die Plakate und die Schilder, Jetzt ein Cappuccino! oder Currywurst!!, und ich ahne, dass ich dem Geschrei eventuell erliegen könnte, diesem Konsum-Sog, wenn ich wieder hier wohnen würde. Wenn ich es denn überhaupt bezahlen könnte, all das.

Ach, es ist kompliziert. Ich bin froh, als ich wieder zuhause im Dorf bin. Hier gibt es ja nicht mal mehr den kleinen Bäcker, bei dem ich in einen Konsumrausch taumeln könnte. Und auf jeden Fall werde ich zukünftig wieder nur und ausschließlich in Berliner Bürogebäuden Rolltreppe fahren. Oder in U-Bahnhöfen. Mein Vorsatz fürs Neue Jahr. Von wegen Seelenfrieden und so. Naja, Sie wissen schon.

  • 14 Kommentare
  • Christel Richarz 14. Januar 2020

    Ich kann das so sehr nachempfinden.
    Gruß aus der Stadt

  • Hauptschulblues 14. Januar 2020

    Sie sagen es: Der Tanz um das Goldene Kalb.

  • Ruth P 15. Januar 2020

    Ist hier in unserer Ecke genauso. Ich denke, dass es in der großen weiten Welt keine Unterschiede mehr gibt, in den Städten jedenfalls.

  • Steffi 15. Januar 2020

    Geht mir genauso!

  • Südlurker 15. Januar 2020

    Sie stehen verstört am Potsdamer Platz.
    Und finden Berlin zu laut.
    Die Nacht glüht auf in Kilowatts.
    Ein Fräulein sagt heiser: “Komm mit, mein Schatz!”
    Und zeigt entsetzlich viel Haut.

    Sie wissen vor Staunen nicht aus und nicht ein.
    Sie stehen und wundern sich bloß.
    Die Bahnen rasseln. Die Autos schrein.
    Sie möchten am liebsten zu Hause sein.
    Und finden Berlin zu groß.

    Es klingt, als ob die Großstadt stöhnt,
    weil irgendwer sie schilt.
    Die Häuser funkeln. Die U-Bahn dröhnt.
    Sie sind alles so gar nicht gewöhnt.
    Und finden Berlin zu wild.

    Sie machen vor Angst die Beine krumm.
    Sie machen alles verkehrt.
    Sie lächeln bestürzt. Und sie warten dumm.
    Und stehn auf dem Potsdamer Platz herum,
    bis man sie überfährt.

    Erich Kästner, 1929
    Wer nur “Emil und die Detektive” kennt, kann sich übrigens ruhig mal etwas ausführlicher mit Kästner beschäftigen, zum Beispiel mit dem “Fabian” oder den Gedichten. Es lohnt sich.

  • Astridka 15. Januar 2020

    Die Fotos – sie lassen mich schlucken und die Sinnlosigkeit empfinden.
    LG
    Astrid

  • Susanne 15. Januar 2020

    Ganz das, was mir auch immer durch den Kopf schießt. Ab einem gewissen Alter braucht man das alles gar nicht mehr und steht über den Kaufrausch-Angeboten. Zum Thema Rolltreppe hätte ich aber noch einen Tipp, auch wenn ich ihn selbst noch nicht ausprobiert habe. In der Elbphilharmonie läuft die längste Rolltreppe der Welt – ganz ohne Konsumterror. https://www.youtube.com/watch?v=Ac3qgKENrcg

  • N. Aunyn 15. Januar 2020

    Ich finde die Beschreibung sehr treffend und gelungen. Die Spannung zwischen Elend und Verschwendung, zwischen arm und reich werden immer größer.

  • Franziska 15. Januar 2020

    Damit hast Du eine treffende Beschreibung meines ganz persönlichen Kulturschocks gegeben, als wir vom schwäbischen Land nach Hannover zogen. Wenn man da nicht mindestens einmal die Woche in der Innenstadt etwas zum Vorzeigen kaufte (oder dort sogar in den hippen Läden gesehen wurde), konnte man Spießrutenlaufen zwischen den Mitschülern veranstalten.

  • Armgemacht 15. Januar 2020

    Sie sind immer wieder auch im großen Kaufhaus, die arm gemachten. Als Türsteher. Gerne zu Zeiten des Weihnachtsgeschäfts oder anderen saisonalen Höhepunkten. Durch Subunternehmer “eingekauft”. Vom (unter-dem-Mindest-)Lohn reden wir lieber nicht.

  • Christiane 18. Januar 2020

    Rolltreppenfahren kann man auch wunderbar in den U-Bahn-Stationen in Budapest, lang, steil, schnell, toll!

  • Die Schwalbe 18. Januar 2020

    Zur Weltchronik “Tanz um das Goldene Kalb” passt treffend das Zitat von Honoré de Balzac:
    Zu keiner Zeit hat der Reichtum die Gelegenheit verpasst,
    Geschmacklosigkeiten in die Welt zu setzen.

  • Provinzei 23. Januar 2020

    Klamotten und Designer,
    Alles hohl und hundsgemein,
    Auf Bennetton und Lagerfeld fall ich nicht rein,
    Da bleib ich kühl, kein Gefühl.

    Nur deine blauen Augen….u.s.w.

    Alle reden nur von Knete,
    Das macht mich taub und stumm,
    Für den halben Luxus mach ich mich nicht krumm,
    Nur der Scheich ist wirklich reich.

    Nur deine blauen Augen ….u.s.w.

    Berlin war schon immer so

  • Barbara von Tief im Allgäu 26. Januar 2020

    Bei mir ist es München und da der Karstadt Oberpollinger. Dort habe ich dieselben Gefühle als (gewordene) Landbewohnerin beim Ausflug in die irre Konsum-Glitzer-Wahn-Welt.

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