Keime.

16. November 2018

Weil auch unsereine ja nie auslernt, und überhaupt das ganze Leben Lernen ist, war ich dieser Tage bei einem Dreh in Mannheim. Klingt cool, gell?, war aber in Wirklichkeit ein Workshop für Hörfunk-Dummies wie mich, die nun endlich mal das Filmchen-Machen lernen sollen, tri-medialer Journalismus ist die Zukunft, naja Sie wissen schon.

Jedenfalls mimte ich für das Übungs-Filmchen einer Kollegin eine Putzfrau, die putzt und schrubbt und wischt und feudelt und sich zwischendurch über das immer noch nicht gesetzlich verankerte Recht auf Weihnachtsgeld für Reinigungskräfte beschwert, das sollte die sozialpolitische Aussage des Filmchens werden.

Ich machte meinen Putzfrauen-Job mangels Erfahrung zwar äußerst theatralisch, aber leider hochgradig unprofessionell. Ich hatte weder Kittelschürze noch Gummi-Handschuhe und fuhrwerkte also vor laufender Kamera mit den bloßen Händen im zusehends ergrauenden Wischwasser herum, säuberte Waschbecken und Fußboden, und langte immer wieder mit den nackten Händen und den lackierten Fingernägeln in den Wischeimer zum Lappen-Auswringen.

Die nette Kollegin geriet völlig außer sich, sie rief immer wieder Oh Gott, die Keime, bitte wasch Dir die Hände, die Keime, die Keime. Sie hatte natürlich im Großen und Ganzen recht, übertrieb es aber meiner Ansicht nach erheblich mit der Keimerei. Auch meine Beschwichtigung Ich komme vom Land, ich bin ganz anderes gewöhnt! wollte sie nicht überzeugen, Oh Gott, es tut mir so leid….die Keime, die Keime, stöhnte sie in regelmäßigen Abständen, meinen drohenden Keim-Tod offenbar deutlich vor ihren großstädtischen Augen. Dass sie schlussendlich für mein jämmerliches, leidvolles Abnippeln aufgrund akuter Keimerose würde verantwortlich sein, tat ein Übriges. Sie war fix und fertig.

Ich  habe mir daraufhin mal Gedanken über Keime gemacht, ja, was soll man auch anderes tun, wenn die Tage kurz und die dunklen Nächte lang werden, hier auf dem Lande. Ich habe ehrlich gesagt noch nie über Keime nachgedacht. Vermutlich schleppe ich sie nur dauernd durchs Haus, die Keime, ohne zu ahnen, welche mörderische Gefahr ich damit in die gute Stube bringe.

Zwei Hunde, eine Katze, manchmal allesamt auf dem Sofa, in der Küche sowieso, dazu zerlutschte oder zerfledderte Mäuse, im Sommer manchmal ein abgemurkster Vogel, alles die reinsten Keimschleudern. Die toten Mäuse packe ich in der Regel, wieder ohne Handschuhe, an einem ihrer steifen Beine, um sie dann im hohen Bogen auf Nachbars Grundstück zu werfen, quasi als Keimgranate mit dramatischen Folgen für den Empfänger, das wird mir jetzt erst klar.

Wenn die Zeit drängt, gehe ich auch schon mal mit den Büroschühchen ins Gehege, um Hühner und Ziegen zu füttern, das hatte schon zur Folge, dass ich bei einem Empfang für irgendeinen Minister in irgendeinem historischen Rathaussaal feststellte, dass an meinen schönen Ministerschühchen leider noch Ziegenköttel oder Hühnerkacke kleben, man muss es in dieser Deutlichkeit sagen, um das Ausmaß zu erkennen. Das ist nicht nur etwas peinlich, sondern sorgt also wiederum dafür, dass ich die Keime in alle Welt hinaustrage. Und der Minister sie am Ende nach Stuttgart mitnimmt, in die Reihen der gesamten Landesregierung, nein, es ist nicht auszumalen.

Man sieht die Keime förmlich fliegen.

Inzwischen habe ich gelernt, wenigstens die Büroschühchen vor wichtigen Terminen nochmal intensiv zu inspizieren, auf Ziegen- oder Hühnerfäkalien. Das Problem hat mein freischaffender Künstler-Geo natürlich nicht, er macht es sich inzwischen einfach und geht mit den Hausschuhen in den Gemüsegarten, ins Gehege. Stapft dann wieder, unter kompletter Mißachtung der zahlreichen ausliegenden Schuhputzmatten, quer durchs Haus und verkündet voller Stolz Ich war die Ziegen füttern! Als ob ich das an den Keim- und sonstigen Anhäufungen in Wohnzimmer und Küche nicht auch ohne seinen Hinweis sähe.

Dass ich mit bloßen Fingern fette blutgefüllte Zecken aus Hunden und Katzen herausdrehe, dass ich unterwegs versabberte Kuh-Mäuler tätschele oder im Wald stinkende Knochen aufhebe, dass ich abends beim letzten Stallgang die Ziegen kraule und mir von ihnen manchmal in den Haaren knabbern lasse, dass ich – gottlob selten – auch mal Hundepipi oder Katzenkotze aufwischen muss, oder frischgelegte Eier händisch von allerlei Dreck befreien, das alles erwähne ich an dieser Stelle lieber nicht. Ich hätte mir das zu großstädtischen Zeiten ja auch nicht träumen lassen, zugegeben.

Zu ihrer Beruhigung: Ich wasche mir dauernd die Hände, ehrlich. Nur Putzen, das tue ich äußerst selten. Es macht keinen Sinn, man kommt ja eh nicht hinterher bei all der Keimerei. Trotzdem sei ich in dem Filmchen neulich beim Workshop als Pseudo-Putzfrau sehr authentisch aufgetreten, sagt die keim-freie Kollegin aus der großen Stadt. Gerne hätte ich sie mal auf einen Kaffee in den Odenwald eingeladen, sie ist wirklich ausgesprochen nett. Aber ich bin noch nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee ist.

 

 

 

 

  • 8 Kommentare
  • Katja 16. November 2018

    Ja, die Städter jagen uns Landeiern manchmal gehörig Angst ein… Ich hatte vor Jahren ein Rolltreppen-Erlebnis. Beim Weihnachtseinkauf bestieg ich die Rolltreppe in einem großen Kaufhaus, als ich hinter mir plötzlich hysterische Schreie hörte. Das war eine Mutter mit ihrem Kleinkind, das sich am Handlauf festhalten wollte. Die Mutter brüllte auf ihre Tochter ein, dass man sich niemals dort festhalten solle, davon würde man sich sämtliche Krankheiten holen. Mittlerweile habe ich mein Trauma erfolgreich überwunden.

  • Annette 16. November 2018

    Danke! Danke für diese Zeilen! Für mich als überzeugtes Mädl (hüstel) vom Land geht die Sache mit den urbanen und ländlichen Keimen noch ein Stückchen weiter: wie eigenartig sauber sind doch Ziegenköttel, Hühnerkacke und diverse andere Dungsorten im Vergleich zu den undefinierbaren und unaussprechlichen Schmutzdingen und -ecken einer Stadt?!
    Also hier eine Stimme eindeutig pro Landmist…!

    • Franziska 16. November 2018

      Das wird von mir sofort unterzeichnet! In Schwaben durfte ich meinen Hund mit in die Schule nehmen (zum Nachsitzen – das Nachsitzen ist nicht nachahmenswert *lach*), als wir dann in die große Stadt umzogen gab es Geschrei. Es ging um ein Papier an der neuen Schule und mein Hund und ich, wir waren beinahe unzertrennlich, er war also dabei. Meine Güte, es ging um 2 läppische Minuten zur Abgabe im Sekretariat.
      Mal im Ernst: Für mich sind die meisten Hunde und Katzen sauberer, als so mancher Mensch. Glaubt keiner? Dann warte ich hier mal auf die nächste Klofuhre der einen Zimmernachbarin, dann weiß jeder, was ekelhaft ist, weil es ein Knippsbild geben wird. (Sie hat das System der Spülung noch nicht verstanden.) Keime sind – mit Ausnahmen – was man daraus macht.

  • Provinzei 16. November 2018

    Das die Stadt tatsächlich dreckiger ist als das Land zeigte der Amerikanische Bürgerkrieg. Da man seinerzeit im Winter nicht Krieg machen konnte oder wollte zog man die Truppen im Winter in Lagern zusammen.
    Dabei starben eher die jungen Männer vom Land an den dort vorherrschenden mangelhaften Hygienebedingungen, die Jungs aus Chicago oder New York, auch damals schon große bevölkerungsreiche Städte, kamen damit besser zurecht.
    Ergo: wenn man in der Stadt war oder ist, öfter Hände waschen.
    Den Drücker an der Fußgängerampel nur mit dem Ellenbogenspitze oder dem Unterarm bedienen.
    Türen, so Sie keine Klinke haben, also an Geschäften, unten mit dem Fuß aufschieben. Geht leider nur reinwärts. Rauswärts warten bis einer von draußen reinkommt und die Türe auf macht.
    Die Bedienung eines Klos in der Stadt bedarf dann schon einer seitenlangen Erläuterung, das lassen wir jetzt besser.
    Türen im allg. mache ich immer mit dem kleinen Finger auf. ( Echt jetzt ! )
    Gut, da hilft es, wenn man mal Kletterer war und etwas Kraft in den Fingern hat.
    Ja, ich achte tatsächlich auf so was, kein Witz jetzt. Ansonsten wühle ich gerne im Dreck, also in der Erde, das ist ja kein Dreck.

    • Franziska 16. November 2018

      Jetzt fühle ich mich wohl. Mit dem kleinen Finger haben Sie mich eingefangen. Ich nehme gerne die Füße. Grade da, wo man Spucke drauf sieht. Aber das ist die Stadt. Auf dem Dorf kehrt man vorher den Hof (ohne Handschuhe) und nimmt dann den Besucher in den Arm. Und keiner schreit herum.
      Das beißt sich auch nicht mit meiner Hundeschilderung, weil mein Hund jeden Tag mit Toilette beschäftigt war, und Dreck ist was für Antinaturalisten. Lach! Erde ist schön, duftet toll, und bevor mich hier alle für durchgeknallt halten: Da kommt Gemüüse raus und auch mal ein Apfel.

  • ninakol. 16. November 2018

    Ach, dass Kinder, die sozusagen im Stall grossgeworden sind, vor allem Kuhstall, weniger anfällig für Allergien sind und auch sonst später robuster, hat bestimmt kaum ein Städter gehört. Das an den Smartphones mehr Keime sind, als auf einer Toilette, ist auch Mal durch die Medien gegangen. Wo ich eher Sorge hätte, wenn Schweinepest verbreitet wäre und ich im Wald war… Ansonsten hat meine Oma immer super drauf geachtet, jeder zog die Schuhe und Stiefel in der Waschküche aus. Und dort wurden auch mit Spezialseife die verdreckten Hände gewaschen, kenn ich das auch von diversen anderen Höfen. In der Stadt, wo ich nun halt nun Mal lebe, latschen wir oft genug mit Schuhen rein. Waschen die Hände zu kurz, weil sie ja nicht dreckig aussehen. Jacky, Bakterien usw sind nicht gleich Bakterien.
    Bleibt gesund, liebe Grüße
    Nina

  • Oona 18. November 2018

    Ja. Das Hirn wird gut und gern von den Firmen für Reinigungs- und Putzmittel über z.B. die Medien / Werbung zugemüllt. Meister Propper und so. Da muss das Geld fließen.
    Allerdings finde ich, dass es Orte gibt, wo es mit der Reinigung nicht so genau genommen wird mit sehr unguten Folgen. Z.B. waren meine Eltern oft in verschiedenen Krankenhäusern. Eine könnte sagen, dass meine Schwester und ich alle Krankenhäuser in der Stadt und auch angrenzende Krankenhäuser durchlaufen sind. Der Dreck stapelte sich in Räumen mit Menschen und deren wunden Körpern. Das Gemeinschaftsklo für SECHS Menschen wurde ein Mal am Tag gereinigt mit einem Wischlappen alles. So in einem Rutsch.
    Das muss eine in aller Deutlichkeit schreiben.

    Mit Kötteln an den Schuhen unterwegs. Das muss eine können… :-)
    Ahoi
    Oona

  • Barbara von Tief im Allgäu 23. November 2018

    Keime sind doch eine feine Sache, trainieren das Immunsystem und so. Und Händewaschen hilft echt, vor allem nach dem Klo und vor dem Essen :-) Obwohl ich zugebe, dass ich öffentliche Toilettentüren beim Verlassen (nach dem Händewaschen) auch nur mit dem Ellenbogen oder einem Taschentuch betätige. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich ein Landei bin und Orte mit so großen Menschenansammlungen sonst meide. Leute, die mir zur Begrüßung nicht die Hand geben wollten, weil doch Grippezeit sei, habe ich bisher auch nur in der Stadt getroffen. Fand ich komisch. Und unsozial. Außerdem doof: Die Keime kriegen einen am Ende sowieso …

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