Berliner-Zeit.

2. Februar 2016

Faschingszeit ist Berlinerzeit? Det wüsst’ick aba. Zu kaum einer anderen Zeit fühle ich mich so unverstanden und so deplatziert im Süden Deutschlands wie zur Faschingszeit. Fasenachtszeit. Faschenachtszeit. Fasenet. Immerhin die Begriffe hab ich inzwischen verinnerlicht. Alles andere eher nicht. Ja, ich bin eine preußische Spaßbremse. Ich bedaure das selber manchmal, aber so isses nun mal.

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Ich erinnere mich an meine Berliner Schulzeit. Am Rosenmontag hatten wir eine (eine) Freistunde, die für das lustige Faschingstreiben reserviert war. Danach gings weiter mit dem Unterricht. Und wenn ich nachmittags nochmal zum Einkaufen geschickt wurde, zu Hefter in der Reichsstraße, dann saß die ältliche Kassentante mit der merkwürdigen Dauerwelle dort mit einer roten Pappnase, was ich damals schon befremdlich fand. Am nächsten Tag war die Pappnase verschwunden, und alles war wie immer, Fasching also quasi wieder rum. Nur die merkwürdige Dauerwelle blieb den Rest des Jahres.

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Hier hingegen herrscht ab kommendem Donnerstag der mehrtägige Ausnahmezustand, fränkisch-allemanische Fasenacht oder wie sich das nennt, Geschäfte machen zu, Behörden sowieso, und es wird durchgefeiert bis zum Aschermittwoch. Die seriösesten Menschen, darunter Bürgermeister, Landräte und Bundestagsmitglieder, schmeißen sich im traditionellen Huddelbätz oder anderen Kostümen ins Getümmel, lassen es so richtig krachen und haben ihren Spaß dabei. Ich stehe daneben, als ewiger Zaungast, oder ich fliehe wahlweise, halb ratlos, halb neidisch. Es ist jedes Jahr das Gleiche. Und jedes Jahr nehme ich mir vor: beim nächsten Mal bist Du dabei. Quod esset demonstrandum. Oder, wie meine Mutter weise sagen würde: Wer’s glaubt, wird selig, wer’s nicht glaubt, kommt ooch in’ Himmel.

Naja, Sie wissen schon.

 

 

 

 

 

  • 11 Kommentare
  • Pong Paarka 2. Februar 2016

    Für mich – in der umgekehrten Situation – das heißt quasi im Huddelbätz geboren aber jetzt alljährlich mit den kläglichen karnevalistischen Versuchen der Hauptstadt konfrontiert, nicht weniger befremdlich. Einzelne traurig dreinschauende Kinder in bei dm gekauften Marienkäferkostümen in der U-Bahn oder Teenagermädchen mit Draculagebissen und Blut-Makeup auf der Straße.

    Wartensemal: Sind die überhaupt verkleidet? Oder sind das einfach nur junge Gothic-Chicks? Und die letzte Frage beschreibt schon das Dilemma: Verkleidung von Live Style zu unterscheiden ist hier nicht so einfach. Was unterscheidet den Hipster vom Penner?

    In Berlin gibt’s Gruppierungen mit eigenen Kleidungsgesetzen. Und Veranstaltungen. Berühmtestes Beispiel war die Love-Parade. Und der Christopher Street Day. Und in viele Clubs geht’s auch nur gruppenkonform.

    Kurz gesagt: Eigentlich kann man sich in Berlin, wenn man’s wirklich drauf anlegt, immer verkleiden und die Sau rauslassen. Der Chef kriegt’s nicht mit. Die Nachbarn auch nicht. Faschenacht das ganze Jahr. Und somit unnötig als Einzelinstitution. Die Behörden haben auch meistens zu und die Politiker sind größtenteils besoffen.
    Nur die Berliner – die heißen Pfannkuchen. (Hä?)

  • Christjann 2. Februar 2016

    In Berlin geht alles, denke ich immer. Ich war da mal vor Jahren mit der Freundin beim Inder, kein Fastnachtstag, aber eine junge Frau kam mit giftgrünem Tüllkleid und Salat im Haar ins Lokal, ihr Begleiter war auch befremdlich angezogen, sie sahen beide aus, als wären sie gerade von der Theaterbühne gehüpft. Vielleicht waren sie das auch, aber das Erstaunliche war, dass NIEMAND komisch guckte. Niemand. Außer mir.
    Und zur Fastnacht: Hab’ ich nie verstanden, fand ich furchtbar, aber ich hatte mein Erweckungserlebnis im Kölner Karneval, und ich würde das, wenn überhaupt, auch nie wieder woanders feiern wollen. Dort sind ALLE verkleidet. ALLE! Alt wie jung, dick oder dünn. Alles geht. Und man fällt auf, wenn man nicht verkleidet ist. Ausnahmezustand. Und ich kenne keinen Ort, wo man so Kölnverliebt tagelang kölsche Lieder singt und sich in den Armen liegt. Im ersten Jahr war ich noch etwas verkrampft, aber das legte sich. Man muss mit vielen Leuten in echte kölsche Kneipen gehen. Wundervoll. Aber man muss sich darauf einlassen, Karneval ist keinesfalls mit dem Verstand zu erfassen. Gute Nerven für die kommenden Tage! Helau und Alaaf! :)

  • Eva 2. Februar 2016

    Liebe Frau Landleben,
    hier an der evangelisch-katholischen Spassgrenze ist es auch schwierig. Im Nachbarort Fasnet mit Hexen und allem, was dazugehört und bei uns armselige Versuche, etwas fasnetsartiges anzufangen. Tagelang komische Menschen mit komischer Kleidung (ich kann auch gut ohne!).
    Die letzten Jahre waren wir in der Faschingswoche berufsbedingt in Salzburg. Und siehe da: es geht auch ohne. Wie schön!
    Dieses Jahr neues Experiment: Straßburg. Feiern die dort oder ist es ruhig da? Wir werden sehen.
    Alles besser, als die halbe Nachbarschaft peinlich ertragen müssen. Das ist hier bei uns einfach nicht schön ?.
    Völlig unnärrische/humorlose Grüße,
    Eva

  • Amelie 2. Februar 2016

    Für mich als Berlinerin auch absolut unverständlich, ich bin auch eine preußische Spaßbremse. Fasching ist etwas, was man im Kindergarten, maximal noch in der Grundschule feiert. Ich habe auch noch nie jemanden mit roter Pappnase in Berlin gesehen.

  • sasa 2. Februar 2016

    Als ich Kind war hießen die Dinger Krebbel (Hessen), dann musste ich nach Bayern emigrieren und fürderhin Krapfen kaufen, letztendlich, nach vielen, vielen Jahre Krapfen und einem Ehemann der Pfannekuchen zu dem Schmalzgebäck sagt, stehe ich immer bei Bäcker und sage: “Ich kriege bitte zwei Kr..äh..Krapf…mmh Berliner”. Die sehen mich immer total beschusselt an.

  • waswegmuss 2. Februar 2016

    Heißt das im Odenwald nicht auch Kreppel/Kräppel?
    Der/die geht ja uff wie en Kräppel ist ein typischer Ausdruck für die kulinarische Midlifecrisis.
    Gibt es politisch korrekt am Rosenmontag mit Linsensuppe.

    Und noch ein Frankfurt Tip für Spaßbremsen: Zum Zuch. Awwer net nach Klaa Paris sondern in die Tönges-Gass und hinnerher ins Rübezahl. Konstabler B-Ebene. Dann braucht man ein/mehrere Jahr/e keinen Fasching mehr.

    • arboretum 5. Februar 2016

      Ich kringele mich gerade über diesen Satz:

      Der/die geht ja uff wie en Kräppel ist ein typischer Ausdruck für die kulinarische Midlifecrisis.

      Wunderbar.

  • Astridka 2. Februar 2016

    ALAAF!
    Astrid

  • Waltraud Kessler-Helm 3. Februar 2016

    Kräppel heisst das nur hessischen Odenwald, im Badischen heißen die Berliner ;-) Oder auch Faschenachtsküchle….aber die sehen etwas anders aus, die Faschenachtsküchle ;-)

  • EausP 3. Februar 2016

    Bei mir war’s genau andersrum. Im Südwesten Detuschlands aufgewachsen gehörte Fasching einfach dazu. Meine Mutter nähte tolle Kostüme für meine beste Freundin und mich, Zwerg, Mohr aus dem Morgenland, Geisha, Teufel, Zigeunerin …
    So angezogen und entsprechend geschmickt klingelten wir bei allen Nachbarn in unserer Strasse, sangen “Es Fasenacht …” und bekamen ein paar Münzen zugesteckt.
    Als ich dann zum Arbeiten nach Berlin kam fehlte mir der Fasching anfangs schon. Auch wenn man in Berlin rumlaufen kann wie man will und es keinen stört, Fasching ist halt schon was anderes. Immerhin gibt es in der Faschingszeit leckere Pfannkuchen gefüllt mit Grand Marnier, Cointreau oder Eierlikör.
    Inzwischen interessiert es mich nicht mehr sehr, aber “Fasenachtskichelcher” könnte ich vielleicht doch mal wieder machen.

  • Provinzei 3. Februar 2016

    Der Südwesten ist nicht ein einziges geschlossenes Fasnetsgebiet.
    Es gibt katholische Gemeinden, egal ob Baden oder Württemberg, da geht es voll ab. Köln iss ein Scheiß dagegen.
    Und keine 2 km daneben gibt es humorlose evangelisch pietistische Gemeinden ohne Fasnet.
    Jetzt versuchen natürlich manche Zugereisten in derartigen Ortschaften eine Fasnet zu etablieren, was aber einfach nix wird.
    Von daher bekommt der Begriff Integration eine völlig neue Bedeutung.
    Wenn es nicht mal von Deutsch nach Deutsch klappt.

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