Unser heutiger Ausflugstipp führt Sie schon wieder ins Unterholz, sorry, aber das liegt quasi in der Natur der Odenwälder Sache. Und wieder kann man auf den zweiten Blick im Unterholz mehr entdecken als nur Unterholz.
Also: Sie suchen sich auf der Karte das kleine Dörfchen Oberscheidental (Scheidental wie Wasserscheide – die zwischen Main und Neckar) und biegen dann quasi direkt in den finstren Wald ein.
Dann eine gute Stunde durch die Einsamkeit, immer bergab. Nur das Hecheln und Knistern und Knastern der Hunde im Ohr, falls Sie Hunde haben, so wie ich, und die empörten Rufe der Spechte. Keine Menschenseele weit und breit.
Dabei hat hier, mitten im Nirgendwo, mal ein stattlicher Hof gestanden.
Hier hat einst ein Förster mit seiner Frau gewohnt. Der Gute rammte eines Nachts auf dem Heimweg mit seiner Kutsche einen Bildstock im nahegelegenen Dorf. Weil ihm das fromme kleine Bauwerk aber herzlich schnuppe war, fuhr er einfach weiter, ohne sich um den Schaden zu kümmern. Macht man nicht, sowas. Im Odenwald schon zweimal nicht.
Logo, daß der liebe Gott (oder wer auch immer) das nicht durchgehen lassen konnte. Er schickte dem guten Mann und seiner alsbald hysterisch-kreischenden Frau eine Schlangenplage ins Haus.
Der Dorfpfarrrer, um Rat gefragt, empfahl die Reparatur des Bildstocks. Schlangenplage ade. Weil der Förster aber offenbar einer der ersten urkundlich erwähnten Geiz-ist-geil-Jünger war, krachte der billig reparierte Bildstock beim nächsten lauen Wind schon wieder um.
Und? Richtig! Das ganze Haus schon wieder voller Schlangen. Forstmann und Forstweib suchten schließlich das Weite, und ihr Schlangenhaus sucht bis zum heutigen Tage einen neuen Besitzer, leider bislang erfolglos.
Wer das Schlangenhaus gefunden hat, findet auch das versunkene Dorf. Immer tiefer geht es durch den Wald hinab ins Tal.
Bis sich plötzlich, völlig unerwartet, die Landschaft öffnet.
Wer hier einen Moment innehält und in die Stille hineinlauscht, kann das Meckern der Ziegen hören, die gackernden Hühner und vielleicht das hungrige Schmatzen der klapperdürren Kühe, die hier um 1830 auf den Wiesen standen.
Kann das Kreischen spielender Kinder in zerrissenen Kleidern hören, die Rufe der Mütter, die Flüche der Väter, wenn wieder nicht genug zu essen auf den Tisch kam. Das dürfte in Galmbach öfter der Fall gewesen sein, denn die 150 Menschen, die hier in 19 Häusern lebten, waren bettelarm.
Ein Großteil derer, die in Galmbach lebten, verdiente seinen Lebensunterhalt irgendwann nur noch mit Diebereien, Wilderei, kleinen Überfällen. Bis es den Nachbarn – und dem Fürsten zu Leinigen zu blöd wurde. Der Fürst kaufte das Dorf, siedelte die braven Galmbacher in Nachbargemeinden um und gab ihnen besseres Land. Die Besitzlosen aber, die sich im Dorf breitgemacht hatten, wollte keiner haben. Also drückte man ihnen einen Reisegutschein in die Hand:
Einmal Nordamerika und nicht zurück.
Als der letzte Galmbacher Haus und Hof verlassen hatte, ließ der Fürst die Häuser einreißen. Nur einen Hof ließ er stehen, als neue Dienstwohnung für seinen Förster. Schlangenfrei, siehe oben.
Quelle und Buchtipp:
Rainer Türk, Wanderungen zwischen Elz und Neckar. Verlag: Hubert Brunnengräber, 2013.
Anm.: Wers ganz genau wissen will, sollte die Kommentare zu diesem Post lesen. Meine Quelle ist bei der historischen Aufarbeitung der Geschichte Galmbachs offenbar etwas großzügiger vorgegangen als Kommentator Michael.
danke, super!!!
Aber unbedingt Karte mitnehmen! :-)
Da muss ich auch hin…!
Ich leih Dir gerne meine Karte…
Also, sehr schön und atmosphärisch geschrieben, ferner meine aufrichtige Gratulation für die erfolgreiche Entdeckung eines der schönsten Flecken der Odenwaldhölle! – AAABER …. an der Literaturquelle hapert’s, mit Verlaub: Die Infos des genannten Autors gehen auf die Publikation von Gotthilde Güterbock zurück (70er Jahre), und die gute Gotthilde blieb in diesem Fall ein bisschen arg einseitig und schrieb – trotz guter Archivarbeit – den Galmbachern ein paar Dinge zu, die so nicht stimmen. Galmbach war ein Dörfchen wie viele andere auch im Odenwald. 1830er Jahre, da war’s nun mal ziemlich ärmlich in den Dörfern. Aber das war in Galmbach auch nicht schlimmer ausgeprägt wie in den Nachbarortschaften oder auf dem „Winterhauch“ und überhaupt in vielen deutschen Mittelgebirgen. Bei Türk wird offenbar ein bisschen Ferdinandsdorf, ein bisschen Rineck und noch ein bisschen Galmbach durcheinander geworfen. Fakt ist: Galmbach war ein Durchschnittsbauerndorf, auch um 1830, und der einzige Grund, warum es aufgelöst werden sollte, war der, dass die Fürsten von Leiningen zu jener Zeit ihren fürstlichen Wildpark erweitern wollten und das Dörflein in seinem idyllischen Taltrichter leider Gottes mittendrin lag in der projektierten Erweiterungsfläche. Dumm gelaufen für die Galmbacher, für die Ernsttaler übrigens ebenso – fünf Jahre später war das Dörflein geräumt und die Bäuerlein erhielten irgendwelche Ausgleichsleistungen und kamen in den Orten der Nachbarschaft unter, nicht jedoch die Dorfarmen und Heimatlosen mit einer Art „winterlichem „Bleiberecht“, die sich teils dann auch noch erdreisteten, einfach im Dörflein zu bleiben und dem Domänenrat Knaus damit eine Menge bürokratischen Ärger bescherten, weshalb er dann auch dem Fürstenhaus riet, man möge bei ähnlichen Aktivitäten in der Zukunft doch besser erst die Dorfarmen sich mit Hilfe der Bauern vom Halse schaffen … (Güterbock zitiert das sogar, wenngleich sie völlig unkritisch bleibt, so als wäre das doch schlicht ein ganz vernünftiger und pfiffiger Rat des Domänenmeisters …
Du schreibst, gemäß deiner Quelle: „… Ein Großteil derer, die in Galmbach lebten, verdiente seinen Lebensunterhalt irgendwann nur noch mit Diebereien, Wilderei, kleinen Überfällen. Bis es den Nachbarn – und dem Fürsten zu Leiningen zu blöd wurde. Der Fürst kaufte das Dorf, siedelte die braven Galmbacher in Nachbargemeinden um und gab ihnen besseres Land. Die Besitzlosen aber, die sich im Dorf breitgemacht hatten, wollte keiner haben. Also drückte man ihnen einen Reisegutschein in die Hand …“
Aber nee, das ist nicht historisch belegt, dass sich ein Großteil der Galmbacher durch Diebereien usw. durchs Leben geschlagen hätte; hier werden – in der genannten Quelle – Halbwahrheiten aus anderen Dörfern mit Galmbach vermischt, schlichtweg schlecht recherchiert vom guten Autor der weltweit berühmten Odenwaldhöllewanderbuchreihe. Und der Mythos, dass die Galmbacher Heimatlosen (mit ihrem winterlichen „Bleiberecht“, vereinfacht gesagt) alle nach Nordamerika ausgewandert seien, hält sich seit Jahrzehnten, wenn nicht länger, stimmt aber immer noch nicht. Aus Galmbach ist, jedenfalls um die Zeit der Ortsauflösung im Jahr 1836, keine Seele nach Amerika verschifft worden. (Anders dagegen bei Ferdinandsdorf und Rineck.) – In meinen Vorträgen über die „Verschwundenen Odenwalddörfer“ räume ich (man entschuldige die Eigenwerbung) mit den hartnäckig reproduzierten Halbwahrheiten und müßigen Mythen ein wenig auf …
Du solltest das dem Autor meines Wanderführers schreiben. Aber spannend ist die Geschichte von den aufgelösten Dörfern hier in dieser armen Gegend so oder so.
Und Sie könnten doch Ihrer schönen Geschichte ein „Edit“ mit Hinweis und Link auf diesen Kommentar anfügen. :-)
Mach ich!(aber erst morgen…)
PS: Ernsttal war vor 1836 „Neubrunn“, Eduardsthal war „Galmbach“.
Da und weil mein Geburtsort auch zu einem Drittel zum Leiningschen Lehen gehörte ein Buchtipp: Die Noth im Spessart von Rudolf Virchow.
http://books.google.de/books?id=j5RBAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
Die meisten Einwohner sind in den schrecklichen Wintern des 18. Jahrhunderts ausgewandert. Das heißt 1/3 ausgewandert, 1/3 verhungert, 1/3 geblieben.
Es sind auch viele Nachfahren in Ungarn zu finden. Von uns Spessartern kann ich behaupten, dass die ganz Alten noch Spessarter Platt sprechen.
Auch viele Odenwälder sind noch im 19. Jhdt. ausgewandert. Oder ausgewandert worden… Aber offenbar war es für viele die einzige Überlebenschance.
Ja, erst die Auswanderungen im 18. Jh. und im frühen 19. Jh., dann die großen deutsche Amerika-Auswanderwellen im 19. Jahrhundert (ab etwa 1850): Bis 1914 waren es um die 5 Millionen Deutsche, die nach Amerika gingen. Exakte Zahlen sind aber schwierig, auch aus dem Odenwald und aus Baden, weil viele Akten vor 1850 nicht überliefert sind und wohl die Hälfte der Badener Auswanderer das Land ohne behördliche Genehmigung verließen. – Nur, wie gesagt, die Auflösung Galmbachs führte keinen direkt nach Amerika. Was nach der Umsiedlung in Nachbardörfer aus den Ex-Galmbachern wurde, ist jedoch nicht erforscht.
Ob geschichtlich wahr oder nicht. Ich finde diese Texte und Fotos sehr interessant und gut geschrieben. Da bin ich wieder dankbar, nicht damals in dieser Gegend gelebt zu haben.
Kannste aber glauben! Das muß eine ziemliche Tortour gewesen sein und ist ja, so gesehen, noch gar nicht soooo lange her. Zur gleichen Zeit begann in Städten wie Berlin die Industrialisierung.
Und ich wollte schon fragen wo Du die ganzen Informationen her hast. Danke für den Tipp.
Der Text und die Bilder sind wundervoll zusammengestellt. Ich hatte richtig Gänsehaus beim Lesen. Vielen Dank!
Aber meine Quelle ist offenbar ja nicht ganz vollständig, siehe Kommentar von Michael.
Das ist ein interessanter Diskurs. Fakten oder Fiktion, Literatur oder (journalistischer) Tatsachenbericht? Ich habe den Text mit seiner wahrhaft herrlichen Bebilderung so wie „Moni“ empfunden: „Wundervoll“ und „Gänsehaut“. Nach der Lektüre beider Kommentare von „Michael“ war aber plötzlich mein nach der Lektüre Deines Blogs „Versunken“, liebe Friederike, erwecktes und in meinen grauen Zellen gespeichertes Gefühl über eine geheimnisvolle, unentdeckte, lange Zeit zurückliegende und mich als nun Mitwissenden und -entdecker vereinnahmende märchenvolle Geschichte verpufft. Fakten vs. Fiktion. Ersteres negierte Letzteres. „Michaels“ tatsachenbasierte Fakten in allen Ehren. Ich möchte aber mein Gefühl zurück … . Langes Geschwurbel, kurze Bitte: Schreibe weiter wundervoll und gänsehäutig!
Das Motto müsste natürlich lauten: das Eine tun, und das Andere nicht lassen. Blöd halt, wenn die Quellen nicht ganz astrein sind. Aber manches fällt dann auch unter „journalistische Freiheit“, täte ich sagen. Ich werde das mit Herrn Michael nochmal ausdiskutieren müssen. ;-) Danke für diese Rückmeldung!
Mit viel Verspätung, weil ich heute zufällig wieder darübergestolpert bin – noch etwas zu den Fakten:
http://ufoportglufenteich.de/?p=868
und ein Bericht über den Kommentator Michael:
http://www.eberbach-channel.de/art_ausgabe.php?id=7585
Grüße aus dem Kleinen Odenwald!
Hallo!
Lese seit vielen Monaten mit und freue mich immer über die wunderbaren Texte und Fotos, die die Heimat (wohne im Neckartal in Zwingenberg) immer wieder nahebringen.Vor allem Dein stets positiver Grundton gefällt mir sehr. Das ist vermutlich im Odenwald (und anderswo) auch nicht immer leicht: vor allem das Gute sehen.
Also zum Jahreswechsel 2015/2016: vielen Dank für das tolle Blog und weiter so!
Danke für die nette Rückmeldung! :-)
Liebe Frau Landlebenblog,
Ich war mal wieder zuhause und der Moo von meiner Cousine hat mich auf Deinen Blog aufmerksam gemacht. Schnell zwei Ausflugstipps abgewandert. Toll! Vielen Dank!
Hier meine Fotos:
Grüße aus dem Berliner Exil,
Pong
Das freut mich sehr!! Tolle Bilder!
woher kammen die Handwerker die Ferdinandsdorf aufgebaut haben (Maurer Zimmerleute ) Helfer gab es genügend .Meine Vorfahren waren Maurer und kammen von der Sinsheimer Gegend
Ich habe keine Ahnung. Da müsste man in die Archive einsteigen.