Ich war ja zugegebenermaßen ziemlich blauäugig – um nicht zu sagen: dämlich – damals, vor vielen Jahren, als ich meinte, so ein Umzug innerhalb von Deutschland ist ja keine große Sache. Ich dachte, Malawi, oder Timbuktu, das wäre ein gewisses Abenteuer und mit dem einen oder anderen Kulturschock verbunden – aber Süddeutschland? Kann ja nicht so schwer sein. Sprechen die selbe Sprache, sehen in etwa ähnlich aus, haben die selbe Geschichte – alles deutsch halt. Ziemlich dämlich, ich deutete es bereits an.

Der Kulturschock ließ nicht lange auf sich warten. Und er kam nicht etwa daher, daß hier nun Beuys und Brahms, Ai Weiwei und Eichendorff eher selten stattfinden. Die Region, in der ich inzwischen lebe, heißt nicht umsonst aus mehreren Gründen Badisch-Sibirien im Untertitel, und wer nach ihr in den überregionalen Feuilletons sucht, wird eher selten fündig. Um es vorsichtig zu formulieren. War mir alles schnuppe, wozu hat man in Berlin schon als Kind die Kultur quasi mit der Muttermilch aufgesogen.

Der Kulturschock war ein gänzlich anderer. Gleiche Sprache, gleiche Geschichte, gleiche Denke? Hahaha, selten so gelacht. Ich wähnte mich vorübergehend auf einem anderen Stern. Verstand nicht selten Bahnhof. Passiert mir auch nach Jahren heute manchmal noch, aber immer seltener.

Kein Anschluß unter dieser Nummer.
Kein Anschluß unter dieser Nummer.

Mein Erweckungserlebnis hatte ich dabei ausgerechnet an einem Ort, der mich als arrogante Großstädterin früher nur müde hätte lächeln lassen. Im Heimatmuseum. Alleine dieses Wort. Freilandmuseum heißt das hierzulande genauer gesagt, in meinem Fall war es – noch genauer – das (klick:) Freilandmuseum Gottersdorf, hoch oben im Neckar-Odenwald-Kreis.

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Heimatmuseen, Dorfmuseen, Freilandmuseen – das sind doch diese schummerigen Stuben, wo dekorativ ein paar Spinnräder herumstehen oder Pflüge an die Wand genagelt sind? Romantisierend bis zum Abwinken? Stimmt, und stimmt nicht. Wenn Sie mit offenen Augen und Ohren in ein Heimatmuseum gehen, dann erzählen Ihnen sogar noch die blöden Spinnräder Geschichten aus der sogenannten guten alten Zeit, die beim genauen Hinsehen (und zumindest hierzulande) alles andere als gut war. Und sie erzählen Ihnen vor allen Dingen, ganz nebenbei, die Geschichte der Bewohner eines Landstrichs.

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Für mich als Zugezogene eröffnete sich da ein neues Universum. Ich sah und hörte Geschichten von Armut, Not und Hunger, von bescheidenem Glück und noch bescheideneren Wohnverhältnissen, Geschichten von Plackerei und Schufterei. Und das ist hierzulande alles gar nicht lange her. Ich sah das alles, und hörte das alles und verstand plötzlich vieles. Verglich manches mit der preußischen Geschichte meiner wohlhabenden (klick:) Vorfahren, merkte, daß da gar nichts zu vergleichen ist, und verstand noch mehr. „Kultur-Vermittlung“ nennt man so was wohl. Im wahrsten Wortsinn.

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Langer Rede kurzer Sinn: Ich bin inzwischen ein großer Fan von Heimat- und von Dorfmuseen. Selbst, wenn manche von ihnen noch romantisierend mit Spinnrad und Pflügen daherkommen mögen: Irgendwas zieht man als Zugezogener, als Fremder, da immer raus.

Wenn Sie also mal irgendwo fremd sind (und das aber nicht bleiben wollen), wenn es Sie irgendwo in die tiefste Pampa verschlagen hat, fernab aller kulturellen Zentren, dann jammern Sie nicht, daß man für Monet und für Manet, für Bartok und Stockhausen so weit fahren muß. Gehen Sie ins nächste Dorfmuseum und gucken sich da um.

Das ist mindestens genau so viel Kultur.

Wenn nicht sogar mehr.

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P.S. Nicht, daß hier ein falscher Eindruck entsteht: So gesehen hat auch die Region Badisch-Sibirien einen Bezug zu moderner Kunst. Anselm Kiefer hat hier lange gelebt und gearbeitet. Erzählt man sich hier so. Aber wer konnte denn ahnen, daß aus dem dann doch noch mal was wird?

Ach, so, und noch was: Allein in Baden-Württemberg gibt es sieben Freilandmuseen, da wird doch was dabei sein, wenn Sie da irgendwo wohnen.

Und noch ein Letztes: Angeregt wurde ich zu diesem Beitrag von Kulturbloggerin Tanja Praske und ihrer aktuellen Blogparade: Mein Kulturtipp für Euch. (Hätte ich ja auch erst nicht gedacht, daß der Odenwald da etwas beizusteuern hätte. Siehste, so geht’s manchmal.)

 

 

 

 

 

15 Kommentare zu “Ein Geheimtipp.”

  1. Liebe Frederieke Kroitzsch,

    herrlich – you’ve made my day! Nichtsahnend schaue ich bei mir nach und finde Ihren wunderbaren Post vor – klasse! So schmunzelnd schließe ich einen langen Arbeitstag sehr gerne ab!

    Ich habe noch nie von „Badisch-Sibirien“ gehört, was aber nichts heißen will. Kann mir gut vorstellen, dass das ein „Kultur-Schock“ für eine Berlinerin am Anfang war. Aber Freilichtmuseen als Anschluss-Ticket verstehe ich sehr gut. Sie erzählen harte Geschichten, wenn man sich denn tatsächlich darauf einlässt und nicht alles verklärend aus der Jetzt-Zeit betrachtet. Wenn tatsächlich zum Nachdenken, zum Vergleichen von damals und heute angeregt wird, dann ist alles erreicht. Wenn man sich dann noch in der neuen Heimat dadurch wohlfühlt, dann ist es perfekt!

    Während des Studiums bin ich gerne mit einer Kiste Bücher in den Bayerischen Wald gefahren – raus aus der Großstadt Frankfurt, hinein in die winterliche Idylle. In Finsterau suchte ich gerne das dortige Freilichtmuseum auf #schwelgeninderVergangenheit und das sogar ohne Kinder – es war prima und ich habe es noch immer in guter Erinnerung!

    Und nun: ein fettes Dankeschön für deine Teilnahme an meiner Blogparade! Du bist Nr. 3 und passt hervorragend zu den Kultur-Tipps in Köln und München!

    Schönen Abend
    Tanja Praske

    P.S.: Pardon für das Duzen #Bloggerkrankheit ;-)

    1. Danke, das freut mich! Und nochmal Dank für die Anregung. Aber ich lasse ja keine Gelegenheit aus, die Gegend hier irgendwie an den Mann und an die Frau zu bringen. ;-) (im Nebenberuf werde ich sogar dafür bezahlt, aber das ist jetzt wieder eine andere Geschichte.)

  2. Liebe Friederike, ein toller Tipp für alle, die vielleicht auch mal Ferien im Madonnenländchen oder Odenwald in einem der Ferienparks verbringen. Gottersdorf ist toll, und mein Pa hat dort, als es immer noch besser ging, während der living – history – Reihe das Dörren von Grünkern vorgeführt ( von seinem Einsatz für die Darren in Altheim habe ich ja mal geschrieben ). Freilichtmuseen als Einstieg in eine Landschaft – das finde ich einen guten Ansatz! Offensichtlich hat den auch mein Vater gehabt, denn er hat uns gleich nach unserem Umzug ins Rheinland 1961 in das gerade 3 Jahre alte Freilichtmuseum in Kommern/Eifel geschleppt, wo wir das bäuerliche Leben in unserer neuen Heimat studieren konnten.
    Beide Museen liebe ich bis heute, besuche auch in anderen europäischen Ländern gerne solche Einrichtungen. Mich hat auch immer interessiert, wer „das siebentorige Theben“ erbaut hat, denn meine väterlichen Ursprünge liegen eher bei jenen Menschen und nicht bei denen, die in Bürgerhäusern oder gar Palästen gelebt haben. Ja, und es hilft, zu relativieren, wenn man wieder in Überheblichkeit und Dünkel gegenüber anderen Gesellschaften abzudriften droht…
    In diesem Sinne!
    Astrid
    P.S. Vielleicht kannst du jetzt nachvollziehen, weshalb ich das Leben in der Stadt mit all seinen Möglichkeiten nicht aufgeben kann….

    1. nachvollziehen? Naja, noch nicht so ganz, aber ich arbeite dran. ;-) (und hab ja auch gut reden, nach 25 Jahren in Berlin.)

      1. Na ja, ich hätte es präzisieren sollen : Auf mich ist die Kultur erst in der Stadt gekommen und der Vater mit bäuerlichem Hintergrund hat dazu auch heftig beigetragen. Und in Folge möchte ich nicht mehr ohne das tägliche große Angebot hier in Köln leben. Die Spaziergänge über Wiesen und Felder und durch Wälder sind schön, aber ich brauche viel Anregung zum Selbertun. Und still ist es in meinem Häusercarre normalerweise wie in A., also die Ruhe brauche ich nicht zu suchen. Meine Mutter, nun völlig ans Haus gebunden, bedauert schon länger, vor 27 Jahren mit meinem Vater ins Dorf zurückgekehrt zu sein, denn die Infrastruktur ist verheerend…

        1. Daß alte Menschen es hier nicht unbedingt leicht haben, teilweise ohne jegliche Infrastruktur, das glaube ich allerdings gerne.

  3. Ach, wie gut ich diese Art von „Kulturverständnis“ verstehen kann! So ein Landleben bildet fürs Leben und die erworbenen Kulturfähigkeiten lassen sich nicht wieder ausradieren. Ich erkenne erst jetzt so richtig, wie sehr ich die Konzepte der Nachhaltigkeit, des sinnvollen Bewahrens, der Wertschätzung verinnerlicht habe. Und das nur durch eine Kindheit auf dem Land, ohne ideologische Verbrämung. Vor kurzem schleppte ich auf meinem eigenen Rücken eine Kiste vom Dachboden nach unten – es war die Mehlkiste meiner Großmutter. Sie hatte so gut verpackt dort oben gestanden, dass ich sie blitzsauber „übernehmen“ konnte (natürlich nicht mehr für Lebensmittel, obwohl das vielleicht sogar auch möglich wäre). Dabei fand ich auch meine Puppenstube, die schon in meiner Kindheit alt war, und die Wolldecke, die immer in den Pferdewagen gelegt wurde, damit wir Kinder drauf sitzen konnten: teilweise zerschlissen, war sie fein säuberlich mit Stoff aus alten Hemden meines Großvaters geflickt – noch nicht einmal in einem Museum habe ich je so etwas gesehen und habe es aufbewahrt, ich kann das einfach nicht wegwerfen. Keine idiotischen Wegwerfprodukte einer übersättigten Gesellschaft, die nichts mit ihrer Zeit anzufangen weiß, als Produkte herzustellen, nur um sie schnellstmöglich wegzuschmeißen. Mit manchen Dingen, die ich besitze, müsste ich allerdings erst lernen umzugehen, z.B. mit der Sense.

    1. Alles richtig, aber Nachhaltigkeit und sinnvolles Bewahren waren ja seinerzeit zunächst mal aus der (persönlichen) Not geboren. Obwohl: so gesehen hätten wir die heute ja auch durchaus wieder, nur halt anders.

  4. Selbstverständlich kenne ich das Freilandmuseum Gottersdorf! Dort findet doch jedes Jahr das Winneweh statt, das Treffen der Spielleute und Musikanten. Dieses Jahr war ich zum dritten Mal dort.
    Nachdem ich einen Radiomitschnitt einer Führung gehört habe, weiß ich, dass ich mich eigentlich bedrückt fühlen sollte angesichts der großen Armut und des beschwerlichen Lebens. Auch die Geschichte der landverschickten Kinder im Schusterhaus ist erschütternd.
    Aber dann scheint die Sonne auf das bunte Fachwerk, aus jedem Haus tönt Musik und mein Menschlein läuft zum 30 Mal durch das Armenhaus und spielt Hebamme. Auch wenn das Museum eigentlich etwas anderes vermitteln soll, für mich ist Gottersdorf ein fröhlicher Ort.
    Schade ist nur, dass die finanziellen Mittel sehr beschränkt sind und manche Häuser seit Jahren nur minimal weiterrekonstruiert werden können. Aber mehr Mundpropaganda, wie Deinen schönen Beitrag lässt sich daran vielleicht etwas ändern.

    Liebe Grüße vom Neckar

    Alice

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