Ich habe zu dem heutigen Feiertag so gar keine Beziehung – die hat aber (ick wunderte mir erstmal, wa) eine Bekannte von mir, Ute Straub. So sehr, dass sie vorschlug, einen Gastbeitrag hier auf dem Blog zu veröffentlichen, also bitte sehr: Schließlich spielen der Tag und die Kräuterbüschel auch im Odenwald eine große Rolle.

Heute ist wie jedes Jahr zu diesem Datum der Feiertag zu „Mariens Aufnahme in den Himmel“. Nicht „Mariä Himmelfahrt“, wie es oft heißt. Die eigenständige Fahrt nach oben ist Herrn Jesus vorbehalten. Frau Maria ist eher passiv, sie wird aufgenommen (oder ist das zu spitzfindig?).

Ich bin religiös nicht gebunden und auch nicht besonders spirituell. Das erlaubt mir, am 15. August jeden Jahres katholisch zu werden, um mich einem sinnlich ansprechenden Ereignis hinzugeben. Das Hochamt zu diesem Festtag ist in vielen katholischen Gegenden mit einer Kräuterweihe verbunden. Und an diesem Tag beginnt auch der „Frauendreißiger“ und es vermischt sich auf für mich faszinierende Weise Heidnisches mit Katholischem, Hexenwissen mit aktueller Kräuterkunde, Frauenpower mit Marienverehrung.

Aber der Reihe nach.

Für das Dogma (verkündet von Papst Pius XII. am 1.11.1950), dass Maria mit Leib und Seele direkt im Anschluss an ihr irdisches Dasein in den Himmel aufgenommen wurde und damit ohne das Stadium des Verwesens durchmachen zu müssen, oder – wie wir normal Sterblichen – auf das Jüngste Gericht zu warten, gibt es keinen expliziten Beleg in der Bibel. Was man aber weiß, ist, dass das Marienfest schon sehr viel früher wie viele andere christliche Feste auch, dazu diente, heidnische Bräuche abzuwehren bzw. zu verchristlichen, in diesem Fall den alten germanischen Brauch, magische Kräuterbüschel zu weihen, um u.a. Freya, die Göttin der Fruchtbarkeit, geneigt zu stimmen. Zunächst versuchten die Missionare, diesen Brauch zu unterbinden. Vergeblich.

Dann hatten sie eine bessere Idee. Und die ging so: Warum gegen Widerstand kämpfen? Viel besser ist es doch, ihn zu unterlaufen. Und dabei half folgende Legende: Als die Apostel am Tag nach Marias Begräbnis ihr Grab öffneten, war es leer. Statt des Leichnams fanden sie dort Rosen und Lilien und vor dem Grab wuchsen die Lieblingskräuter der Gottesmutter. Hier (Klick!) gibt es ein wunderbares Gemälde dazu.

Passt doch!, dachte sich die Missionare. Maria übernahm also die Rolle der vorchristlichen Göttinnen, denen die Heilkräuter ursprünglich zugeordnet waren. Damit wurde gleich ein weiteres Problem gelöst: im Christentum stehen zwei Männer an der Spitze (das mit dem Heiligen Geist ist etwas diffus), und damit gab es keine Identifikationsfigur mehr für die Frauen. Auch hier passte sich Maria bestens ein. Die Folge: der Marienkult entwickelte sich so stark und eigenmächtig, dass dann Luther streng dagegenhalten musste, um den Christusglauben wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Aber noch immer gibt es mehr als 30 Marien-Fest-und Gedenktage.

Seit Jahren binde ich am Vorabend des Festes vorschriftsmäßig einen Würzbüschel aus Heilkräutern für die Segnung. Als Hobby-Kräuterkundige mache ich das mit Begeisterung und Hingabe. Vorschriftsmäßig heißt, es muss eine bestimmte Anzahl von Kräutern sein. Möglich sind sieben für die Schöpfungstage, neun für dreimal die Heilige Dreifaltigkeit, zwölf für die Apostel, vierzehn für die Heiligen Nothelfer, darunter übrigens auch drei Nothelferinnen (Nachhilfe (Klick!) hier nachzulesen ). Das geht bis zu Neunundneunzig. Achtung: heidnische Zahlenmagie!, denn bestimmte Zahlen erhöhen die Wirksamkeit wovon auch immer. Zahlenmagie plus christliche Segnung ergibt eine doppelte Wirksamkeit.

Mit diesem Tag beginnt übrigens auch der „Frauendreißiger“, der, je nach Auslegung, am 8. September mit Mariä Geburt oder am 12.9. mit Mariä Namen endet. Jetzt ist nach altem Volksglauben bzw. nach der Erfahrung weiser Frauen die Heilkraft der Kräuter am stärksten, jetzt sollten sie gesammelt und getrocknet werden.

Dieses Wissen wird auch Maria zugeschrieben und es wird von vielen Frauen in der Kirche in Frage gestellt, ob sie nur die (Er-)Duldende gewesen sein kann, das Gefäß, das den Sohn Gottes aufgenommen und geboren hat (Wie hat sie geboren? (Klick!) Die Statue der gebärenden Maria im Linzer Dom wurde geköpft, : Das kann eigentlich nicht sein. Sie hat Herausforderungen angenommen, hat schwanger eine beschwerliche Reise überstanden, hat Fluchterfahrung, hat das Martyrium ihres Sohnes miterleben müssen. Aber das ist eine andere spannende Diskussion.

Dieses Jahr hat mein Strauß neun Kräuter, dazu die Königs-/Königinnenkerze, die oft in die Mitte gebunden wird (Maria Regina, Maria Himmelskönigin), eine Distel (Mater dolorosa, Schmerzensmutter), eine Sonnenblume (für die mit der Sonne bekleideten Frau aus der Offenbarung des Johannes ) und Getreide (für das tägliche Brot).

Damit begebe ich mich freudig durch schöne Sommerlandschaft nach Höchststadt bei Gundelsheim. Dort steht auf einer Anhöhe die Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau im Nussbaum. Je näher man kommt, desto zahlreicher werden Wegkreuze und kleine Kapellen. Jedes Mal, wenn ich die kleine Kirche betrete, bin ich beeindruckt vom barock gestalteten Hochaltar. Der zeigt Maria mit dem Jesuskind, eingelassen in den Stamm eines Nussbaums, drumherum ein goldener Strahlenkranz mit Wolken und Engeln, warme Farben.

Die Kirche ist ziemlich voll, viel weißes Haar. Die Kräutersträuße werden auf der Altartreppe abgelegt und im Laufe des Gottesdienstes mit Weihwasser bespritzt, die Kräuterweihe vollzogen. Ich sitze in der ersten Reihe und atme den würzigen Duft von Oregano, Pfefferminze, Salbei, Kamille… ein, der durch den Raum zieht.

Der Gottesdienst ist wie ein katholischer Gottesdienst so ist, mit zwei Ausnahmen: kein Weihrauch, denn das wäre schade um den Kräuterduft. Und zweitens werden die beliebten Marienlieder mit ihren ungefähr sieben bis 15 Strophen gesungen. Ich singe diese Lieder ebenso inbrünstig mit wie der Rest der Gemeinde, von „Salve Regina“ über „Gegrüsset seist du, Königin“ bis „Meerstern, ich dich grüße“ – ich singe gern und es hat was von Trance. Zum Ende wird für eine gute Ernte gebetet.

Ich werde meinen Strauß wie immer zum Trocknen aufhängen. Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten: Gegen Krankheiten aller Art hilft ein Tee. Für eine glückliche Ehe legt man die Kräuter in einem Leinensäckchen ins Ehebett. Ein Zweig unter der Türschwelle hält Unheil vom Haus fern. Ein bisschen davon im Vieh- oder Haustierfutter hält die Tiere gesund. Ich werde auf alle Fälle wie immer in den Rauhnächten meine Wohnung damit ausräuchern, um im neuen Jahr Platz für die guten Geister zu machen. Man weiß ja nie.

12 Kommentare zu “15. August”

    1. Wieder was gelernt! Herzlichen Dank für für den Hinweis. Ich habe gleich recherchiert: die wilde Karde hat jede Menge Heilkräfte, evtl. auch gegen Borreliose (allerdings noch nicht wissenschaftlich belegt), was ja gut zu wissen ist in einer zeckenreichen Gegend wie hier. Trotz ihrer Stacheligkeit ist sie freundlich, denn in den trichterförmig am Stengel angewachsenen Blättern sammelt sie Wasser, das Vögel trinken können oder auch verdurstende Wanderer*innen.
      Wegen der magischen Wirkung mache ich mir keine Sorgen: gesegnet ist gesegnet.
      Ute Straub

  1. Eine sehr schöne Geschichte – Würzwisch heißt das in Rheinhessen- und er wird bei Führungen kräuterkundiger Frauen sehr oft gepflückt und später in der Kirche geweiht. Eine alte Tradition, wie alt wirklich ist die Frage. Jedenfalls ein Beweis für katholischen Pragmatismus

  2. @“Die Statue der gebärenden Maria im Linzer Dom wurde geköpft“. Der Link führt bei mir auf einen 404. Andererseits liefert die Überschrift genug Ergebnisse, wenn sie als Suchbegriff in der Suchmaschine eingegeben wird. Nachdem https://www.katholisch.de als Linkspender bereits im Artikel verwendet wird nehme ich beispielhaft einen Artikel aus der Website heraus: https://www.katholisch.de/artikel/54437-skulptur-der-gebaerenden-maria-im-linzer-dom-zerstoert

    1. Danke für den Hinweis! Ich habs mal geändert und einen noch passenderen Beitrag dort verlinkt. (Gestern abend um 21 Uhr Beitrag eingestellt, ich war schon völlig platt, das muß die Hitze sein.)

  3. danke für den sehr informativen text, in vielen punkten sstimme ich überein – nur zur kräutersegnung war ich noch nie – es hat sich nicht ergeben… aber ein bündel hab ich auch so manches jahr zusammengebunden!

  4. Allen , die Interesse am Thema „Werzberde“ ,so heißt es hier, haben,sei das Buch von S.Schmidt: Geweihte Kräuter im Odewald und ihre Volksnamen empfohlen.Die Zusammenstellung auf dem Foto kenne ich so nicht, in die Mitte kam das Neschtle, ich glaube,es ist die wilde Möhre.Viele Kräuter von früher gibt es nicht mehr.Die Zusammenstellung variiert von Landstrich zu Landstrich.In Götzingen wird z.T. anders gesammelt als hier.

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