Der Jägerhof.

20. April 2017

Ich bin ein grosser Freund klarer Linien und Formen, und je klarer und leerer ein (Wohn-)Raum ist, umso besser. Das lässt sich im wirklichen Leben nicht immer konsequent durchhalten, aber bei uns daheim haben unzählige Möbelstücke unzählige Rollen statt Füße, Sofas, Regale, kleine Tische, große Tische, um bei Bedarf von hier nach da gerollert zu werden, um wiederum an anderer Stelle Platz für Leere zu schaffen.

Diese Übersichtlichkeit hat schon manches mal dazu geführt, dass Odenwälder Besücher uns beim Betreten des Hauses fragen, wann dann die Möbbl g’liefert werre, sie denken an Schrankwände und schweres Polstermobiliar, aber seis drum. Wir fühlen uns wohl, wir haben alles, was wir brauchen, mal steht es hier, mal steht es da, und dazwischen sind Klarheit und Leere.

So war es nur folgerichtig, dass Freunde mich anlässlich meines jüngsten Geburtstages in den Jägerhof nach Kaltenbrunn einluden.

Der Jägerhof ist so eine Art Mischung aus Odenwälder Jurassic Park und Dschungelbuch, man fühlt sich wie weiland Mogli, durch den Urwald streifend, zwischen kindlichem Staunen und Schaudern, oder wie Alice im Wonderland (den Friedhof der Kuscheltiere erwähne ich an dieser Stelle nicht.). Nie weiß man so genau, wer oder was hinter der nächsten Ecke lauern möge. Sind die ausgestopften Tiere wirklich ausgestopft?, oder werden sie Dir im nächsten Moment ins Gesicht springen? Darf ich an der Liane hier ziehen, oder bricht dann der ganze schöne Jägerhof in sich zusammen? Sitzen unter dem Tisch noch Gestalten, und hörst Du nicht leise ein Kichern und Murmeln? Spricht aus den blinkenden Lichterketten nicht ein geheimer Code? Vielleicht der, der die Jurassic-Park-Saurier zum Leben erweckt? Erwacht nicht vielleicht überhaupt all das hier des Nachts zu heimlichem Leben?

Ich wage mir nicht auszumalen, wieviele Stunden ihres Lebens die Dame des Hauses mit der Dekoration der Räume verbringt. Zu jeder Jahreszeit wird das Passende dekoriert, die Ostertage waren noch vergleichsweise harmlos, habe ich mir sagen lassen, an Weihnachten wird es nahezu überirdisch, da kommen Sie dann vielleicht nur noch mit der Machete oder dem Harvester voran.

Auch will ich mir nicht ausmalen, wie Fundus und Lager des Hauses aussehen mögen, aber im Odenwald haben wir ja gottlob Platz genug, und sei es für 2.610 ausgeblasene Ostereier, 382 Häschen, 355 Stoff-Schmetterlinge, 45 Stoff-Sonnen und 1 Stoff-Mond, 89 Lichterketten aller Formen und Farben, 65 Weihnachtsmänner, 17 Nikoläuse, 37 Halloweenmasken, 458 Kürbisse, 2.643 Sternchen, 47 Engelchen, 12.976 Serviettchen, 99 Püppchen, 797 Kügelchen, 4 Tischbrunnen, 32 laufende Kilometer Blätterlianen und 38.000 Plastikschneeflocken.

Am allerwenigsten wage ich mir auszumalen, wie man hier bei einer Familienfeier mit kleinen oder gar halbwüchsigen Kindern jemals heil wieder hinauskommen soll, ohne alles in Schutt und Asche zu hinterlasssen, alles lädt zum Anfassen und versehentlichen-Runterreißen ein, ich stelle mir vor, wie Klein-Pascal hier an irgendeinem Ast, irgendeiner Girlande zieht und dort Tante Elvira unter dem tosend herunterbrechenden Kunststoff-Flieder begraben wird. Wie Wasserfälle – , nein, wie die Niagarafälle rauschen in der entgegengesetzten Ecke des Raumes die Vorhänge von Lichterketten hernieder und reißen blinkend den Patenonkel mit zu Boden, so irgendwie stelle ich mir das vor. Beim Versuch, die Lichterketten und den Patenonkel zu retten, stößt Klein-Pascals Mutter versehentlich an den mannshohen Zimmerbrunnen, woraufhin einhundertzweiundachtzig Osterhäschen und neunundsiebzig ausgeblasene Eier auf und über den Fußboden kullern, während sanft einhundertzwo schneeweiße Daunenfedern durch den Raum schweben. Daraufhin bekommt der 18jährige Cousin von Klein-Pascal einen allergischen Niesanfall, die Wände wackeln, undsoweiter, undsoweiter. Loriot läßt schön grüßen.

To cut a long story short, wie der Odenwälder sagt: Wenn Sie einen Sinn für derlei haben, so oder so, dann müssen Sie da hin, das ist alles wirklich äußerst sehenswert, und die Frau des Hauses freut sich sicher über Komplimente, sie hat zudem aus ihrer Dekoleidenschaft so eine Art Geschäft gemacht, sie können in einem kleinen Lädchen beim Jägerhof auch allerlei Dekokram kaufen.

Und das Allerbeste: Das Essen war vorzüglich, ich kann es gar nicht anders nennen. Gut bürgerlich und frisch vom Schuss, ich hatte ein hervorragendes Wildgulasch, das sich gemeinsam mit hausgemachten Knödeln auf dem Teller türmte, das Arrangement hatte in etwa die Größe des Zimmerbrunnens, es kostete einen vergleichsweisen Spottpreis und war natürlich auch nett dekoriert.

Und das Allerallerbeste: Wenn Sie den Chef zu sprechen bekommen, – also, wenn Sie ihn in all der Dekoration überhaupt finden, zwischen Engelchen, Schmetterlingen, Häschen und blinkenden Girlanden, – wenn Sie ihn in alldem irgendwo erblicken, dann sprechen Sie ihn auf Fritzi an. Fritzi war eine zahme Wildsau, genauer gesagt ein Eber, er liebte den Mann, und der liebte ihn, er hat dazu wirklich herzerwärmende, herzzerreißende, wunderbare Geschichten zu erzählen. Sie können ihn auch nach dem Rehkitz fragen, das er mit der Flasche großgezogen und dann später immer wieder im Wald getroffen und gestreichelt und mit ihm geplaudert hat, nein, es sind wirklich wundervolle Geschichten, ganz ehrlich. Kurzum: Wunderbare Gespräche, wunderbares Essen, herrlicher Abend.

 

Wenn Sie auch mal zum Jägerhof am gefühlten Ende (oder Anfang) der Odenwälder Welt möchten: Hier ist der Link zur Website des kleinen Familienbetriebes. Sie sollten vorher unbedingt anrufen, sagt der Chef, sie haben nicht immer zu den angegebenen Öffnungszeiten wirklich geöffnet, manchmal kommt etwas dazwischen, die Gesundheit, oder der Wechsel der Dekoration oder so. 

 

 

 

  • 9 Kommentare
  • zauberhexe 20. April 2017

    Na, hoffentlich war der Tüddelkram wenigstens staubfrei!

    Wieder einmal schön (be)geschrieben!

    Grüßlis Karin

  • Tanja 21. April 2017

    Schönere Worte für diesen besonderen Ort und die Gastgeber hätte man(n)/ Frau nicht finden können!

    • LandLebenBlog 21. April 2017

      Danke! :-)

  • Anne de Vries 21. April 2017

    Ich frage mich, wie man das Ganze sauber hält???? Gibt’s da einen Trick?

  • Arthurs Tochter 21. April 2017

    *japps*
    Made my day!

  • Micha 23. April 2017

    Deko-Lawine total! Aber sehr gekonnt, wenn jedes einzelne Sammlerstück Raum genug zum Wirken bekommt… also fast…
    Na, Hauptsache es war lecker! Wobei ich auch finde, dass man die Athmo irgendwie mitißt! Wie immer toll beschrieben! Schönen SO…

  • Arletta 23. April 2017

    Heiliger Bimbam! Reizüberflutung tritt in eine neue Dimension *lach*.

  • Bettina 26. April 2017

    Ein sehr schöner Beitrag!
    Und am meisten erinnert mich die Maggi-Flasche auf dem Tisch an glückliche Kinder- und Ferientage im Odenwald.
    Danke!

  • Gerd 23. September 2017

    Ich hab mir den Beitrag durchgelesen und war mir anfangs nicht sicher,
    ob der Jägerhof dabei gut weg kommen würde und war am Ende dann
    doch sehr verwundert, wie gut er abgeschnitten hat und da hab ich mich
    ins Auto gesetzt und wollte mir selbst ein Bild machen.
    Es ist wie beschrieben ein Kabinett aus Kuriosem mit viel Liebe arrangiert und natürlich vorzüglichem, frischen Essen! Ich empfehle es jedem mir gleich zu tun und sich davon zu überzeugen, dass man definitiv noch einiges im Leben sehen muss und dabei ist es manchmal so nah :-)
    Die Maggi-Flasche aus dem letzten Beitrag hab ich nicht gefunden, die ist wohl nur für Kinder auf Nachfrage zu haben, aber ich durfte mal in die Küche spitzen und habe tolle Gewürze, Wild aus der eigenen Jagd und Fische aus der Schulzenmühle, 1 km entfernt, vorgefunden – es war lecker!

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