Ich bin da neulich mal wieder in anderer Leut’s Vergangenheit herumgestiegen, ganz vorsichtig und mit Respekt, aber das Wort gestiegen trifft es tatsächlich, denn es ging treppauf, treppab, über schiefe Stufen und kleine Schutthaufen, gleich an mehreren Stellen im kleinen Städtchen. Genau gesagt war ich Karl Weiß auf der Spur, einem Fotografen aus Buchen, der ab Ende des 19. Jahrhunderts alles auf Kollodiumplatten gebannt hat, was ihm so vor die Linse kam.
Karl Weiß war eigentlich gelernter Schreiner in der Schreinerei des Vaters, aber irgendwann kam er auf die Fotografie. Er muss fotografiert haben wie ein Besessener, das Bezirksmuseum in Buchen hat vor Jahren seinen Nachlass geerbt, mit mehr als 10.000 Fotos: Studioaufnahmen, Landschaftsbilder, Portraits von Eheleuten, jugendlichen Soldaten, Kriegsgefangenen.
Vieles davon ist schon in mühevoller und ehrenamtlicher Arbeit digitalisiert worden und kann im (klick!) Internet angeschaut werden, vieles ist auch in einer kleinen Dauerausstellung im Buchener Bezirksmuseum zu sehen, dort haben sie unterm Dach juchee das Atelier Weiß liebevoll nachgebaut, für Fotofans ein echtes Muss, wenn Sie mich fragen. Die Sammlung insgesamt gilt als eine der bedeutendsten in Süddeutschland, kaum eine andere ist so groß, so umfangreich.
Ob er es beabsichtigt hat oder nicht – Karl Weiß dokumentierte mit seinen Fotos nicht nur das Leben in und um Buchen, sondern damit auch gleichzeitig die gesellschaftlichen Veränderungen, die jeweiligen Moden, den Wandel in der Landwirtschaft, die aufkommende Industrialisierung. Und das alles in einer technischen Qualität und Brillanz, die selbst die Besitzer von hochwertigen Digitalkameras heuzutage weinend in die Knie gehen lässt.
Wenn Weiß draußen unterwegs war, hatte er nicht nur den gigantischen Holzkasten dabei, der der Vorläufer unserer heutigen Kameras war. Weiß schleppte ausserdem ein Dunkelzelt mit sich herum, mit SD-Karten war es ja noch essig, jede belichtete Platte musste sofort ins Dunkelzelt und chemisch behandelt werden. Fragen Sie mich nicht nach Details, ich bin ein Kind der digitalen Fotografie und habe leider wenig Ahnung von dem analogen Chemiekram rund um die historische Fotografie. Weiß jedenfalls dürfte jedes Mal mit erheblichem Gepäck unterwegs gewesen sein.
Die Belichtungszeiten bei den Studioaufnahmen waren gigantisch, deswegen sehen die Damen und die Herren in der Regel auf den Bildern nicht nur versteinert aus, sie waren es tatsächlich, also, fast zumindest. Auch hier kann man an den Bildern über die Jahrzehnte hinweg den technischen Fortschritt verfolgen, die Belichtungszeiten werden kürzer, die Porträtierten deutlich lockerer.
Wer das da überhaupt alles ist auf den Bildern, welche Gebäude da gezeigt werden, welche Straßenzüge, das hat Weiß teilweise zu seinen Fotos notiert, teilweise aber eben auch nicht. Seit Jahren ermitteln die Mitglieder des Bezirksmuseums hier wie die Detektive, sie bieten Sprechstunden an und zeigen Bilder herum, sie laden zu Diaschauen ein, befragen Hinz und Kunz. Irgendwer kann sich immer an irgendein Detail erinnern, so kommt ein Mosaikstein zum anderen, und immer mehr Bilder können beschriftet werden. Mit viel Herzblut und Leidenschaft und mit noch mehr Zeitaufwand ist eine kleine Schar von Menschen dem Fotografen auf der Spur.
Der ist 1956 gestorben, fotografiert hatte er da schon lange nicht mehr, die Augen, die Augen. Sein Atelier gab es bis eben noch, ein mehr oder weniger provisorisch und schlicht hingestellter Bau, ein paar Balken auf die Erde gelegt, den Holzboden drüber, ein paar Mauern und jede Menge Fenster. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Nachfahren von Karl Weiß Haus und Atelieranbau als Wohnraum genutzt, jetzt aber hat doch der Zahn der Zeit am Atelierbau genagt, die Balken morsch, die Wände feucht, nun also kommt der Abrissbagger.
Der Urenkel des Fotografen wird jetzt hier einziehen, er wird erhalten, was zu erhalten ist, schließlich weiß er um die Vergangenheit des Hauses. Die Fotoleidenschaft des Urgroßvaters hat er nicht geerbt, aber oben, unterm Dach, hat er noch ein paar Truhen und Kisten gefunden, mit denen Karl Weiß auf seinen Fototouren unterwegs war. Hölzerne und lederne Ungetüme, die Karl Weiß überall mit hin begleitet haben und ihm halfen, das Leben in der Region auf Glasplatten zu bannen.
Wenn Sie also Foto- und/oder Geschichtsfan sind, sollten Sie sich mal um diesen Karl Weiß kümmern, hier bei (Klick!) wikidingsbums können Sie ein bisschen was erfahren, und hier finden Sie noch mehr, und auch die Öffnungszeiten des Buchener Bezirksmuseums.
wow
das ist wirklich interessant
ich liebe alte Fotos und alte Geschichten allemal ;)
danke fürs Zeigen
liebe Grüße
Rosi
„Der für den Festzug geschmückte Wagen der Familie Rosenbaum.“ Eine der vielen offenen Fragen zu den Fotos: Die Aufnahme entstand vor dem Wohnhaus der Familie Weiß in der heutigen Konrad-Adenauer-Straße. Der Festzug fand in Hainstadt statt. Entfernung ca. 3 km. Wie war die Fahrt mit dem geschmückten Wagen möglich, ohne die Dekoration zu verlieren?
Im Schritttempo?