Manchmal schaue ich versehentlich – beim Frisör oder vor einer Zahnwurzelbehandlung – in eines dieser Hochglanzmagazine, die sich ganz dem Landleben verschrieben haben. Ich meine, irgendwie haben wir uns ja auch dem Landleben verschrieben, aber irgendwie sieht das bei denen immer ganz, ganz anders aus.
Erntezeit!, jubilieren die Überschriften in den Hochglanzmagazinen derzeit zum Beispiel, und da buddeln (stellen Sie sich jetzt hier Foto 1 vor) beseelt lächelnde und perfekt geschminkte Frauchen mit Karomusterhandschuhen in der Erde, dann sieht man (Foto 2) einen geflochtenen Weidenkorb mit Erntegut, eine dekorativ leicht-verschmutzte (Foto 3) kleine Schaufel mit Griff aus Mahagoniholz und dann (4. Foto) eine Impression aus der Küche, wahlweise ein Einmachglas in Großaufnahme oder einen dampfenden Topf oder Teller in gestylter Rustikal-Küche. Manchmal auch einen glücklichen Ehegatten und zwei Kinder (Fotos 5,6,7,8), die das fertig zubereitete Erntegut zum hungrigen Munde führen. Vielleicht auch einen zotteligen Hund, neben dem Tisch, so einen süßen, wie es sie überall auf dem Land gibt.
So einen süßen Hund hätten wir auch zu bieten, genauer gesagt, gleich zwei davon. Allerdings nicht neben, sondern unter dem Tisch, verängstigt, verschreckt, zitternd und mit eingeklemmtem Schwanz. Dabei erntet Geo nur. Was der Garten grad so hergibt. Aber eben irgendwie anders als in diesen Magazinen.
In der vergangenen Woche war Mangold dran. Mangold hat ja die Unart, sich völlig unkontrolliert auszubreiten, oder Geo hat die Unart, viel zu viel Mangold auszusäen, wer weiß das schon, jedenfalls schleppt mein Geo Plastikwanne um Plastikwanne mit den dunkelgrünen Blättern Richtung Terrasse und dann in die Küche. Das Zeug will ja verarbeitet und eingefroren werden. Geo pflückt und flucht und schleppt und pflückt und schleppt und flucht, es nimmt kein Ende. Schleppt mit seinen Schuhen einen Hektar Gartenerde in die Küche, überall klebt und knirscht die feuchte schwarze Erde, alles aus gutem Rudi-Steiner-Kompost, lobt Geo, er walzt wie ein brummender Vollernter zwischen Herd, Gefrierkombination und Geschirrspüler hin und her und kickt einen weiteren tennisballgroßen Erdklumpen Richtung Frühstückstisch.
Über dem Herd dröhnt auf Stufe 5 der Dunstabzug, das Gerät brüllt gegen das kochende Wasser an, in das nun mit einem Schwung grüne Blätterhaufen versenkt werden. Blätterhaufen rein, brodeln lassen, triefenden Blättermatsch mit dem Schaumlöffel rausheben, dann mit dem triefenden Blättermatsch auf dem Schaumlöffel: einmal… zögernd…. um sich selber drehen….., wohin jetzt mit dem grünen Blättermatsch…?, das grüne Matschwasser ergießt sich durch die Schaumlöffellöcher sturzbachartig auf den schicken Küchenboden und vermengt sich mit den Erdklumpen, dann, mit Blick auf eine Schüssel am anderen Ende der Küche: Aha!, hier tun wir das nun erstmal rein und warten, bis es abgekühlt ist!
Geo zögert in der Regel nur, wenn er mit tropfendem Blättermatsch auf Schaumlöffel mitten in der Küche steht und alles tropft, ansonsten arbeitet er durchaus zügig. Die Abzugshaube dröhnt, das Wasser kocht besessen, Fenster und Terassentür beschlagen, Geo kämpft sich fluchend durch Dampfschwaden und Blätterberge, trennt mit dem Metzgerbeil grünes Blattwerk von weißen Stielen, die Stiele türmen sich, arme-Leute-Spargel, ruft er verächtlich, das kriegen nachher noch die Hühner!, winzige Blätterteilchen fliegen gegen weiße Schranktüren und bleiben dort kleben, wo geerntet wird, da fallen Späne undsoweiter, Fuhre um Fuhre Blätterhaufen wird blanchiert, auf dem Fußboden schwappen Erdklumpen durch grünes Blattmatschwasser, die Hunde sitzen verschreckt unterm dem Tisch und geben keinen Mucks mehr von sich, während Geo mit wild abstehenden verschwitzten Haaren Daseinsvorsorge! in den infernalischen Lärm hineinruft, bevor er dann in weitausholenden Bewegungen die Mangold-Stiele zerhackt, für die Hühner. Zumindest die, die noch nicht in der grünen Matscherde auf dem Fußboden mitschwimmen. In diesen Momenten weiß ich nicht, ob mein Geo mich an Jack Nicholson in Einer flog über das Kuckucksnest erinnert, oder an Jack Nicholson in Besser geht’s nicht.
So oder so: Erntetage sind aufregende Tage.
In den Hochglanzzeitschriften, die ich dann und wann versehentlich durchblättere, beim Frisör, oder beim Zahnarzt, ist manchmal vom meditativen Charakter der Gartenarbeit die Rede. Von der Ruhe, die zu Innerer Kraft und Größe führt. Von der Buddelei als Bewußtseinserweiterung. Ich kann das also nur bedingt unterschreiben. Wobei es durchaus meditativ sein kann, nach einem von Geos Erntezügen die Küche zu putzen, Bahn für Bahn mit dem Schrubber entlangzufahren, und mit Innerer Größe und einer gewissen verzweifelten Würde den knirschenden Erdklumpen zuzuschauen, wie sie im Wischeimer ihr Bewußtsein erweitern, und meines gleich dazu: Ich glaube, nach der nächsten Mangold-Ernte werde ich die Küche nicht mehr putzen, sondern gleich renovieren.
Gott schütze diese aufrechte Landfrau! Mir tut der Rücken ja schon beim Lesen weh … Bei uns gilt übrigens die Schwarzwurzel als Arme-Leute-Spargel.
Mir tut der Rücken auch nur beim lesen weh, deswegen überlasse ich derlei Großereignisse dem SEK GEO.
Ganz großartiger Text! Vielen Dank für diesen Einblick – ich sehe alles direkt vor mir, wie es dampft und tropft, dröhnt und föhnt, schwitzt und werkelt.
Das Schlimme daran : es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das Inferno wiederholt.
ja, manchmal verirre ich mich auch in so eine Zeitschrift und frage mich in welchem Land die Leben. Bei uns ist Land irgendwie schmutziger.
Großartiger Artikel, habe laut gelacht und an die Spinaternte letzte Woche gedacht.
Hoffentlich war wenigstens bei euch der Ertrag ein bisschen größer.
Klar! Wir haben von allem immer reichlich. Die Alten neigen hier zu einer krassen Überproduktion … Kriegserfahrung, oder so.
Was hab ich gelacht! Gärtnernde Stadtfrauen erzielen ähnliche Resultate und widmen irgendwann den Gemüsegarten um ( fehlen die Hühner? )
Frohes Schaffen fürderhin…
GLG
Astrid
Nein, der Gemüsegarten wird nicht umgewidmet, aber vielleicht schwenken wir um auf Bohnen. Oder zierkürbisse.
aso erstens: schön, dass sie wieder da sind! und zweitens: woher kennen sie meinen mann?
♥ monika
Hihi… ;-)
Noch schlimmer finde ich, wenn diese Land-Zeitschriften nicht nur Erntezeit, sondern die „Einmach-Zeit“ ausrufen ;-)
Bei uns wächst der Mangold so gut wie gar nicht. Ich glaube, er hat mitbekommen, dass meine Mutter jedes Mal, wenn ich sage, ich habe Mangold gesät, antwortet „Das ist doch Kaninchenfutter!“…
Bei uns war das angeblich sogar noch der neuerwachte mangold aus dem vergangenen Jahr, das hieße, es bestünde uns eine weitere ernte bevor.
Oh Mangold ist toll! Ich habe den erst hier (wieder-)entdeckt und hier essen sie die weißen Stiele als Gemüse und aus dem grünen Rest machen sie eine süße Mangoldtarte – zunächst absolut fremd im Geschmack, dann aber süchtig machend! Habe gerade vergeblich ein deutsches Rezept gesucht … können Sie französisch? Lust darauf? dann schicke ich einen link oder Sie suchen ihn selbst: „tarte aux blettes“ oder auch „tourtes aux blettes“ (tourtes ist es, wenn nochmal ein teigdeckel auf der tarte ist und so gehört es in diesem Fall eigentlich!)
ps: Die Tarte ist, wenn auch als „facile“ eingestuft (für die französische Hausfrau ist ja aber so ziemlich alles facile), ziemlich langwierig herzustellen. Aber es lohnt sich!
pss: Ihre Auszeit war ja fast gar keine …
Alle essen die weißen Stiele, nur mein Geo weigert sich. Und tarte-Rezept, ja, bitte, zur Not konsultiere ich parallel ein Übersetzungsprogramm. Und nein, die Auszeit war nicht lange, ich kann schon wieder aufrecht sitzen und denken. Bloß lachen darf ich nicht, also bitte.
Na, dann ist’s ja gut, ich will Sie ja keineswegs zum Lachen bringen, wo kämen wir denn da hin ;-) ich bring‘ Sie nur in die Küche … ich schicke mal dieses Rezept aus einem Blog, weil es so schön anschaulich ist und man das Ergebnis gut sehen kann; geht auch mit „ihrem“ Mürbeteig oder was immer Sie als Teig für Tarte-Boden nehmen und geht auch ohne „fleur d’oranger“ lass ich eh‘ immer weg, mag ich nicht. Aber geht nicht ohne Rum.
http://variations-gourmandes.blogspot.fr/2012/10/tourta-de-blea-nissarda-tourte-de.html
(Ich hingegen koche den Mangold kurz auf, bis er zusammenfällt und wringe ihn dann durch ein Handtuch – und schneide ihn nicht klein, und aus dem Stielen wie gesagt Gemüse mit einer kleinen Béchamelsauce!)
Der Kuchen ist ein Nachtisch, aber sehr gehaltvoll, kleine Stücke tun’s auch! Und er ist weich, kann also auch mit wehen Zähnen gegessen werden.
Bon appetit! und weiterhin viel und schnelle Besserung!
Schön, dass Du wieder zuhause bist. Wir haben auch Mangold vom letzten Jahr im Garten. jaja, der ist mehrjährig. Aber so eine Pizza mit weissen oder bunten Mangoldstangen, die schmeckt besser als mit Spargel. Mangold kannst auch wie Krautwickel machen. fix und fertig ud dann eingefrieren, oder roh als Salat schmeckt er noch besser. ich mache keine Matsche mehr als Beilage. Lohnt echt nicht. Ich verarbeite ihn gleich entweder als Salat oder eben Als Wickel. Hab da auch noch n Rezept Mangold mit Tortelini. Ebenfalls zum gleich verarbeiten;-) Oder als Spinatersatz bei den Mautaschen. Lach…Mangold ist so vielfältig. Sei froh dass er immer wieder kommt ;-) Gute Besserung und liebe Grüße ausm Nachbardorf ;-)
wie du siehst, lese ich vor und zurück und quer, scrolle runter und bin nun auch hier angelangt. Absolut phantastisch deine Texte und Erzählungen/Berichte oder wie soll ich sie sonst nennen wenn du mit unnachahmlicher Grazie in den Formulierungen den Boulevardzeitschriften die Hosen ausziehst mit (Bildern, die beweisen): Hier findet das Leben so statt!!!
schwitzen, Dreck, Sand, Grasspuren und Matschepampe überall, da haben gelackte Fingernägel, ein gefälliges Schürzchen vor dem Bauch und schicke Küchenballerinas beim schneiden einer Zwiebel ohne eine einzige Träne auf den frisch ondolierten Wangen keine Chance jemals ein Bein auf den Boden zu bekommen.
deine Beiträge und Bilder, deine Art Leben auf dem Land zu beschreiben _ einfach Bombe!!!!
Ich HABE aber lackierte Fingernägel….. ;-) (Aber nur von berufswegen.)