Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?, kurz wmdedgt, das will am Fünften eines Monats die freundliche Nachbarbloggerin wissen, und ich mache mal wieder mit. Ich habe diesmal tatsächlich gemerkt, dass der Fünfte des Monats ist, in den vergangenen Monaten rauschten Datum und Uhrzeiten einfach so an mir vorbei, eben war noch Heiligabend, jetzt ist also plötzlich schon April. Kennen Sie vielleicht. Dabei ist doch gar nicht mehr Pandemie, es schien mir so ein Pandemie-Ding zu sein, der Verlust jeglichen Gefühls für Zeit und Raum, aber jetzt sind zwar alle um mich herum Corona-krank im Bett, aber Pandemie ist ja vorbei.
Wie dem auch sei. Was mache ich eigentlich den ganzen Tag? Für eine rasende Reporterin war das ein vergleichsweise ruhiger Tag, ohne physische Raserei, das ist ja schon mal was. Ich drehe morgens meine Hunderunde, liefere auf dem Weg ins Büro Eier aus, kümmere mich dann um die Nachwehen eines Busunglücks von gestern, ausserdem um eine geplante Müllsortieranlage und einen ebenso geplanten großen Solarpark. Ich telefoniere, produziere und sinniere, auch Letzteres muß ja mal sein.
Dann besuche ich dienstlich das Haus Kickelhain, das gehört zum Stadtmuseum in Mosbach und ist absolut einen Besuch wert. 2000 Leute schauen sich da jedes Jahr um, nicht alle auf mal, denn es handelt sich schließlich um eines der kleinsten freistehenden Fachwerkhäuser in Deutschland, 26 Quadratmeter Grundfläche. Bewohnt unter anderem von der fünfköpfigen Familie Kickelhain, und über die gibts neuerdings einiges zu erfahren im klitzekleinen Häuschen.
Ich interviewe den netten Museumsleiter und bastle einen Radiobeitrag, dann ist erstmal ein fulminantes Mittagessen fällig.
Der Funkhund will eine Gassirunde drehen, wir schlendern durch das Mosbacher Gartenschaugelände. Vorbei an zwei Polizisten, die eben einen jungen Mann abtasten, der beide Arme hochhält, sein Gesicht unter einer Kapuze versteckt. Die Sonne lacht, die Vögel zwitschern, über die Bundesstraße rauscht der Verkehr.
Am späteren Mittag noch die Video-Konferenz mit den Kollegen im weit entfernten Funkhaus, ich mache heute sehr frühen Feierabend, kündige ich an, und niemand protestiert. Die vergangenen Tage war ich jeweils zwölf Stunden dienstlich unterwegs, da wird man ja wohl mal, – naja, Sie wissen schon.
Auf dem Heimweg, vorbei an Wiesen und Feldern, kommt aus dem Autoradio eine Warnmeldung Steinewerfer auf der A 59, in beiden Richtungen, außerdem ist ein zehnjähriges Mädchen tot aufgefunden worden, irgendwo, im Fokus der Ermittler stehen aktuell drei Jungen zwischen 10 und 16 Jahren, sagt die Nachrichtensprecherin. Mir fällt Max Liebermann ein, Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte, hat der mal gesagt. Mit dem Auto fliege ich gleichsam über die leeren Straßen, in Vorgärten blühen gelb die ersten Forsythien, am Himmel Schäfchenwolken, es sieht aus wie im Bilderbuch.
Ein paar Kilometer habe ich einen LKW vor mir, Fassbierpflegedienst steht auf seiner Rückseite geschrieben, dazu Adresse und Telefonnummer. Ich frage mich, wie man Fassbier pflegt, und ob es nicht eher Bierfasspflege heißen müsste, aber was weiß ich schon. Ich bin halt auch nur so eine oberschlaue Sprachfetischistin, berufsbedingt.
A propos Sprachfetischistin: Ich fahre später am Nachmittag mit den Hunden durch das Ort, runter zu die Bach, das macht man sprachlich hier so, daran habe ich mich schon gewöhnt. Und egal, ob der oder die oder das Bach, da unten ist es herrlich ruhig und friedlich. Heute abend gehen wir noch an die den See, der Freund hat uns eingeladen. Ich füttere Forellen, die anderen futtern Forellen, und ich bekomme eine Extra-Wurst. Und wenn es dunkel wird, machen wir die Kerzen an, das kleine Öfchen bullert in der Hütte, wir essen und trinken und reden und lachen und freuen uns am Leben auf dem Lande.
Als Dialektfetischist eine kleine Bemerkung: „Zu die Bach“ geht natürlich nicht. Man würde ja auch nicht sagen „zu die Friederike“. Wir gehen hier mal „an die Bach“. Ansonsten haben wir hier tatsächlich häufiger eine „der, die, das“-Verwechslung, süddeutsch eben.
Geht man dann „an die Friederike“?
Im Odenwald stellenweise „zu dem Frederike“
Zu dem “Frädderigge“, genau gesagt. :)
Haus Kickelhain wäre heute vermutlich als zeitgeistiges „tiny house“ ein nettes Nestchen – aber für fünf Personen? Da wage ich nicht einmal zu atmen, bei so wenig Raum … Die Architektur wirkt allerdings bezaubernd.
In meinem Umfeld ist’s sprachlich inzwischen trendig, „der“, „die“, „das“ in all seinen Fällen einfach mal geradewegs wegzulassen. „Gehst du Kino?“ „Sie geht Schule.“ Sprachliche Entwicklungen, die mir nicht so behagen. Ich versuche einigermaßen konsequent und auch langmütig, in Gesprächen mit jungen Menschen immer wieder ganze Sätze hören zu wollen.
Leider ist es auch um die Frustrationstoleranz bei Kindern und Jugendlichen manchmal überhaupt nicht gut bestellt. Erst vor kurzem war zu lesen und zu hören, dass eine Zwölfjährige von ihrer „besten Freundin“ ermordet wurde. Man ist fassungslos, Ursachen gibt’s aber viele für solche Entwicklungen. Darüber könnte ich mir die Finger wundtippen, lange, lange war ich ganz nah dran, an jungen Menschen von heute (an ihren Elternhäusern natürlich auch … sehr oft die Ursachen für das, was wir dann in den Medien hören und lesen). Bücherfüllende Erlebnisse, erschütternd, fassungslos machend …
Wieder mal sehr gerne hier gelesen, zum Schluss wird dann doch (fast) immer wieder alles gut!
Liebe Grüße aus dem Nachbarlande, C Stern