Sie schaut mich mit weit aufgerissenen Augen eindringlich an. Ich habe ein Geheimnis. Müssen die anderen im Dorf aber nicht wissen. Der Holzofen bullert, in der winzigen Odenwälder Küche herrscht Tropenklima. Die alte Mutter am Kopf des Küchentisches will es so.
Seit Jahren kann die Alte das Haus nicht mehr verlassen, ist mit ihrer blaugemusterten Kittelschürze zusammengewachsen, sitzt am Tisch, hört Radio, rätselt über Kreuzworträtseln. Die Kinder sorgen für sie. Die fünf Unverheirateten, die zuhause wohnen geblieben sind. Verdienen gutes Geld in einer Fabrik oder auf dem Bau, die Frauen machen den Haushalt, erledigen mit dem Auto die Einkäufe, die zwee Buwwe, beide um die 50, kümmern sich um alles andere.
Die Tochter wischt mit den Händen verlegen über die Wachstuchtischdecke. Ich war in Urlaub. Im Ausland, auf eine von dene Inseln da unten.
Mit dem Flugzeug.
Ich glotze ungläubig in die vertraute Runde. Wie: „in Urlaub“? Im Ausland? Geflogen? Das erste Mal in 45 Lebensjahren? Ja! Sie grinst. Man kann das Ausrufezeichen hören. Ich hab gedacht, ich mach das jetzt mal einfach. Mit einer Freundin, die kenne ich von der Arbeit. Die war schon ein paarmal do unne.
Das Flugzeug, mit dem wir hingeflogen sind, war aber schon eine rechte Klapperkiste. Aber Angst hatte ich nicht. Aber der Rückflug!! Da waren auf der einen Seite drei Sitze und dann in der Mitte zwei und dann da drüben wieder zwei. Richtig groß! Daß so ein Ding überhaupt fliegen kann. Und das hat fast gar nicht gewackelt. Und was man da alles gesehen hat von oben! Das war unglaublich. Wir sind am Abend wieder in Frankfurt angekommen, und von oben hat die Stadt richtig geglitzert.
Ich fliege auch, sagt die alte Mutter in mein stummes Staunen hinein. Aber bloß die Treppe runter. Hehehe. In ein Flugzeug kriegen mich keine zehn Pferde.
Und die Insel erst, sagt die Tochter. Da gibts Palmen. Palmen! Kunstpause. Und auf der einen Seite ist viel Gras, und auf der anderen ist alles nur Erde und Steine, das war mal irgendwie ein Vulkan oder so, und wenn man den Buckel rauf ist, konnte man das auch erkennen. Wir sind den Buckel ein paarmal raufgelaufen, ich wollte ja sehen, wie das da alles ist. Ganz anders als hier.
Ganz anders.
Und mit dem Bus sind wir über die Insel gefahren, einmal sogar mit einem Taxi, zu einem Tierpark, da gabs Kamele! Kamele. Das eine Kamel hatte die Beine so zusammengebunden, damit es nicht wegläuft. Naja, man sieht in einem Urlaub halt nicht nur die schönen Seiten. Die machen das da halt so.
Und dann das Meer.
Ich war ja noch nie an einem Meer. Das schmeckt wirklich salzig. Ich habs probiert. Die sagen im Fernsehen ja immer „Salzwasser“, aber irgendwie… es ist aber tatsächlich salzig. Wirklich. Man darf das gar nicht trinken. Damit könnte man auch keine Blumen gießen oder so.
Jeden Tag bin ich im Meer geschwommen, alleine, jeden Tag, morgens, wenn die Freundin noch geschlafen hat. Einfach so, im Wasser. Sie breitet am Küchentisch die Arme aus und macht weitausholende Bewegungen.
Dann Frühstück. Soviel man wollte, wir hatten da so bunte Bänder ums Handgelenk. Und die Leute da: so freundlich. Und den ganzen Tag Sonne. Und das Hotel war nicht wie ein Hotel, eher … wie ein Dorf,… lauter kleine Häuschen.
Ich habe ganz viele Fotos gemacht.
Das glaubt mir doch sonst keiner.
Dieser Beitrag ist im Oktober 2013 hier schon mal erschienen. Rund um die ITB in Berlin fiel er mir wieder ein. Und rund um die offenbar wirklich allgegenwärtigen Fragen, ob man eigentlich über Ostern guten Gewissens auf die Malediven kann, oder im Herbst nach Kalifornien. Und wo man Pfingsten verbringt.
Wunderbare Geschichte- ich freue mich! Sagt: traut euch doch mal, einen Traum zu realisieren, einfach machen, nicht nur denken.
Mich fragt dies Geschichte aber auch: Wann hast Du das letzte Mal eine Reise so mit so absoluter, fast kindlicher Begeisterung erleben und genießen können?
anrührend und schön die geschichte…
nachdenklichen gruß
Eine sehr anrührende und schöne Geschichte. Vielen Dank!
Es gibt eben auch noch viele Menschen für die Urlaub und Wegfliegen etwas ganz Besonderes ist und nicht Alltäglich und das finde ich schön
Sie hat in der einen Woche über 800 Fotos gemacht… und ich hoffe, daß die Kollegen bei der Arbeit sie nicht herablassend belächeln, wenn sie die rumzeigt….