Das Wort Volksfrömmigkeit kenne ich ja auch erst, seit ich im Odenwald wohne. Ehrlich. Ich kannte vorher weder den Begriff, noch das, wofür er steht. Ich stelle mir vor, wie ich meine großstädtischen Berliner Freunde in einem hippen Café in Mitte zum Thema Volksfrömmigkeit befrage, sie würden mich vermutlich anglotzen, als spräche ich Chinesisch oder als sei ich ein Fall für die Klappse. Volks-Was?, würden Sie allenfalls noch zurückfragen und dann endgültig beschließen, dass ich meinen Verstand auf dem Lande verloren habe. Nie gehört, so ein Wort.
Jedenfalls ist im Odenwald die Volksfrömmigkeit quasi zuhause, sie springt einen überall an, in den Ortschaften, im Wald, auf den Feldern, entlang der Straßen und Wege. Madonnen, Bildstöcke, Kreuze, Kapellen.
An der kleinen (Klick!) Kapelle in Waldauerbach bin ich gefühlt schon tausend mal vorbeigefahren, neulich habe ich nun endlich mal angehalten und mir das klitzekleine Gebäude ein bisschen näher angeschaut.
Volksfrömmigkeit am Straßenrand, mich rührt das plötzlich sehr, preußische Protestantin hin oder her. Vielleicht kommt die Rührung von der allgemeinen Weltenlage, oder ich werde einfach älter, oder dünnhäutiger, das kann natürlich auch sein.
Das Ganze wirkt jedenfalls äußerst katholisch, gebaut 1867 zu Ehren der Gottesmutter Maria, auf der Bank vorne liegt eine Lutherbibel, und ich frage mich, ob das ein offizielles Zeichen der Ökumene oder die Kühnheit eines evangelischen Besuchers ist.
Egal – , in einem großen ausgelegten Buch neben der Tür tragen sich Menschen aller möglichen Glaubenszugehörigkeiten oder Glaubensformen ein, sie schreiben Botschaften und Bitten an die Heilige Mutter Gottes oder die Liebe Maria, an den lieben Gott, an den lieben Jesus, an den Allmächtigen oder an die Himmlischen Wesen. Von Dankbarkeit ist die Rede und von Hoffnung, von Leid und Kummer, Tod und Krankheit.
Zittrige alte Handschriften wechseln sich ab mit energisch hingeschriebenen Zeilen, krakelig-wacklige Kinderschrift mit den runden, sorgfältig aneinandergereihten Buchstaben aus den Federn von Teenagern. Manche Einträge füllen eine halbe Seite, andere bringen Bitte oder Dank in einer Zeile unter, alle sind von großer Ernsthaftigkeit, alle auf ihre Weise.
Ein Kind schreibt Lieber Gott, mach dass mein Meeri wieder gesund wird und die Zähne besser, ein Mann bittet um Hilfe für seine kranke Frau, mal kommen die Menschen verzweifelt in die kleine Kapelle, mal aus Dankbarkeit, und fast jeden Tag oder doch alle paar Tage gibt es neue Einträge.
Es ist, als blättere man in fremden Leben; Seite um Seite, Eintrag um Eintrag taucht man ein in die Schicksale wildfremder Menschen, in ihre Sorgen, Nöte, Freuden; mit jedem Kugelschreiberstrich schaut man tiefer in sie hinein, ganz vorsichtig, man sieht in den geschriebenen Worten ein Stück Seele, zumindest irgendein tiefes Inneres. Behutsam schlage ich die schweren Seiten um, als könnten sie (oder irgendwas) kaputtgehen, wenn ich zu schnell blättere.
Kurz erwäge ich, auch eine schriftliche Bitte dazulassen in dem großen Buch, zu bitten gäbe es ja durchaus genug, aber ich verwerfe den Gedanken für heute wieder und verlasse das kleine Kirchlein. Vielleicht ein andermal.
Draußen auf der Kreisstraße rumpelt ein LKW vorbei, zwei Männer auf glänzenden Rennrädern kommen surrend auf dem Radweg angesaust und unterhalten sich lautstark von Rennrad zu Rennrad, sie brüllen gleichsam gegen den Fahrtwind an. Schick sehen sie aus in ihren High-Tech-Hosen und -Leibchen und mit den professionellen Helmen, das macht richtig was her, kraftvoll, schnell und jung wirken sie, wie unbesiegbar.
Danke, liebe Friederike für diesen Blog.
Ich kann das nur bestätigen, dass es gut tut, inne zu halten und Frieden, Trost, Dankbarkeit von Jesus/Gott/hl. Geist zu erfahren.
Was mich sehr traurig macht und leider vollkommen falsch ist (kann man in der Bibel nachlesen unter Johannes 14,6: ICH (also Jesus) bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Also keine Maria, kein hl. Augustus, kein Buddha, kein Mohammed etc.
Nur Jesus bringt den wahren Frieden und Hoffnung auf die Ewigkeit. Sonst nix und niemand.
Hab auch etwas gebraucht, bis ich das gecheckt und verinnerlicht habe ;o)
Ich wünsche Dir und allen Lesern ein schönes, gesegnetes Wochenende! :o)
Darüber ließe sich nun trefflich streiten. Aber letzten Endes geht es mir ja auch gar nicht darum. ;)
Hier im Kraichgau verhält es sich ähnlich. Und auch mir ergeht es so, dass sich in mir der “Rest-Katholik” regt, wenn ich in den Kleinen Kapellen am Wegesrand auf die Schicksale anderer Menschen stoße.
Danke für diesen Beitrag.
Liebe Grüße,
Werner
Dank für Ihren tollen, bildbereicherten Blog, zu dieser vor Jahren renovierten wunderschönen kleinen Kapelle am Straßenrand, die auch ich, obwohl ebenso mit Lutters Bibel aufgewachsen, hin und wieder gerne besuche, sie liegt ja quasi unweit meines herrlichen Jagdreviers.
Liebe Friederike,
Danke für den Beitrag und insbesondere auch für das Thema !
Ich freue mich sehr und bin dankbar, wenn in der Öffentlichkeit dieses nach wie vor heikle und schlussendlich sehr persönliche Thema einen Platz außerhalb der üblichen Gremien findet und damit m.E. viele Menschen be- und gestärkt werden — und sei es, in dem kleine Kapellen o. ähnliche Gebäude wieder bewusster wahrgenommen und vielleicht auch „genutzt“ werden .
Schöne Grüße,
Gabriela