Eine Spur.

13. Oktober 2016

Es gibt eine Spur, die führt vom schönen Odenwald und aus dem lieblichen Neckartal direkt tief in die französischen Vogesen. Es ist eine grauenhafte Spur, die einen einmal mehr stumm werden lässt, aber man sollte ihr folgen, wenn man schon mal in Frankreich in der Gegend unterwegs ist.

Die Ausschilderung macht es einem nicht ganz leicht, es geht über Kurven und Serpentinen immer den Berg hinauf durch den Wald, unvermittelt vorbei an dem ehemaligen Restaurant du Struthof und den gegenüber-liegenden unscheinbaren Chambres à gaz, bis nach oben, zum KZ.

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Die Namen des Lagers und des dazugehörigen winzigen Dörfchens, Struthof und Natzweiler, sie stehen in direktem Zusammenhang mit dem ehemaligen Konzentrationslager im kleinen Neckarelz bei Mosbach. Die Schule in Neckarelz war im Frühjahr 1944 zum KZ umfunktioniert worden, Zwangsarbeiter sollen hier für die Flugzeugindustrie einen unterirdischen Stollen herrichten, sie schuften um ihr Leben, bis sie tot zusammenbrechen,  (klick:) hier habe ich davon schon einmal berichtet.

Natzweiler-Struthof ist quasi das Hauptquartier dazu, ein riesiges Straf- und Arbeitslager, das sich die Vernichtung durch Arbeit auf die Hakenkreuz-Fahnen geschrieben hat, zunächst hier in den besetzten Vogesen, dann bald überall, wo die Nazis Arbeitskräfte zum Verheizen brauchen.

Als die Front näher rückt und die Deutschen um ihre Sicherheit in Struthof fürchten, lösen sie das Lager nach und nach auf und bringen die Häftlinge in Außenstellen, eben auch nach Neckarelz. Irgendwann zieht auch die Lagerleitung ab, aber die Kommandostrukturen bleiben die selben, nur, dass der Kommandant von Natzweiler-Struthof eben nicht mehr von Struthof aus das Kommando führt, sondern aus dem Odenwälder Neckartal heraus mehrere Außenstellen im deutschen Südwesten befehligt.

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Und so steht man also tief in den Vogesen, rund 250 Kilometer von zuhause entfernt, und hört und liest von Neckarelz und Guttenbach und Neckargerach und von allerlei anderen Orten, die einem dem Namen nach doch sehr vertraut erscheinen. Man liest von Personen, die einem schon in der Neckarelzer Gedenkstätte begegnet sind, man sieht gezeichnete Szenen aus dem Lageralltag hier wie dort, erfährt, wie sich die Spur von Deutschland nach Frankreich zieht, von den Vogesen ins Neckartal, und wieder hin und zurück, wie der Arm einer Krake auf einer Landkarte.

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Und am Ende geht man wieder hinaus, runter vom Gelände, raus aus der Geschichte und rein in die Gegenwart. Vorbei an dem freundlichen Vollbart, der uns beim Eingang mit seinem elektronischen Superscanner abgetastet und französisch charmant, `Aben Sie Waffen dabei? – lächelnd den Handtascheninhalt kontrolliert hat, und vorbei an dem Schild, das uns daran erinnert, bei facebook Fan der Konzentrationslager-Gedenkstätten-Seite zu werden, oui, j’aime, gefällt mir, Daumen hoch.

Und ich frage mich, ob mir das alles ganz nah oder ganz fern ist, die ganze furchtbare Geschichte, die man doch eigentlich schon wieder und wieder gehört hat, diese merkwürdige Spur in den Odenwald, das Damals und das Heute so dicht beieinander. Oder ob es vielleicht, wie so oft, beides zugleich ist, ganz fern und ganz nah.

 

 

 

Wenn Sie noch ein bisschen genauer über Struthof/Natzweiler nachlesen möchten: hier finden Sie etliche Informationen. Eine Liste aller Außenlager von Struthof finden Sie hier

 

 

  • 6 Kommentare
  • Astridka 14. Oktober 2016

    Ich bewundere jeden, der solche Besichtigungen noch durchstehen kann. Ich musste nach Buchenwald k…..
    Hast du seinerzeit meinen Great-Women-Post zu Vera Atkins gelesen, die Spioninnen für den englischen Geheimdienst nach Frankreich “geschickt” hat? Vier ihrer “Mädchen” sind übelst in Natzweiler umgebracht worden ( auch diese Berichte könnte ich kaum ertragen ).
    Ja, uns lässt die Vergangenheit nicht los. Andere leugnen sie noch immer.
    Gute Nacht trotz alledem!
    Astrid

  • stadtgarten 14. Oktober 2016

    Leider ist das alles irgendwie ganz nah – wieder oder immer noch! Ich hatte heute abend ein (vielleicht oder hoffentlich!!! unbedeutendes) Erlebnis, das mir Angst macht und zeigt, dass die Vergangenheit sich leider jederzeit und in jedem Land wiederholen kann und vielleicht auch genau dort, wo man es am allerwenigsten erwartet.
    Danke für den Bericht, liebe Grüße, Monika

  • Madame Graphisme 17. Oktober 2016

    Wir waren damals mit der Schule dort. Ich war 13. Und unsere friedensbewegten Lehrer ließen uns überforderte Teenager mit dem Grauen völlig allein.
    Wie sehr mich das damals erwischt hat, merke ich heute noch daran, dass allein der Ortsname mir wieder den Geruch dieser gut erhaltenen Baracke in die Nase hat steigen lassen. Und das Foto ist auch wieder da. Das mit der geöffneten Bauchhöhle. Und der Hass und die Fassungslosigkeit.
    Danke, Schulsystem Baden-Württemberg, gut gemacht. (Ich weiß nicht einmal, ob ich diesen letzten Satz ironisch meine. Aber sicher ist, dass unsere Religions/Geschichtspädagogen auf diesem “Ausflug” völlig versagt haben.)

    • LandLebenBlog 22. Oktober 2016

      Oh, weh. Hoffentlich geht sowas heute pädagogisch besser. Schulklassen haben wir auch einige gesehen in Natzweiler.

  • Südlurker 17. Oktober 2016

    Wie es der Zufall will, war ich gestern in Dachau (zur Eröffnung der Ausstellung “Seine Kirche aber schwieg”, http://www.versoehnungskirche-dachau.de/angebote/pages/Ausstellungen.php). Mein letzter Besuch ist zwar 25 Jahre her, aber das Grauen packt einen auch dort sofort wieder, wenn man auf das Gelände kommt. Die Wachttürme, die langen Reihen der Baracken, der Appellplatz, sie alle lassen das Bild des Lagerbetriebs in bedrückender Weise lebendig werden. Und Dachau ist gegen Struthof regelrecht harmlos, in Dachau gab es wenigstens eine reelle Überlebenschance.
    Bleiben Sie bei ihrer klaren Position gegen rechts. Wenn wir Ende der Zwanziger ein “wehret den Anfängen” gehabt hätten, was wäre uns erspart geblieben. Hass und Verachtung sind keine tolerablen Standpunkte und werden es nie sein.

  • Muri 18. Oktober 2016

    Deine grauenhaft guten Bilder treiben mit die Tränen in die Augen.
    Die Spielwiese des Hasses wirkt wie friedliche Idylle, wir dürfen nicht vergessen genau hin zu sehen.
    Danke für das nicht weggucken.
    Muri

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