Ja, das hätten Sie nun nicht gedacht, dass Sie ausgerechnet in einem Blog aus der tiefen deutschen Provinz mal etwas über yarn bombing, radical stitching oder guerilla knitting lesen würden, gell. Ist aber so. Vielleicht nennt der Odenwälder das auch anders, ich nehme das fast an, aber es läuft auf das selbe hinaus: Streetart im Odenwald.
Ich könnte jetzt an dieser Stelle mit meinem wikipedia-Wissen protzen, wonach nämlich die ersten deutschen Strick-Guerilleros in Berlin-Charlottenburg unterwegs waren, 2010 oder 2011, also ausgerechnet in meinem Heimatkiez, logo, das war ja schon immer eine hoch-revolutionäre Gegend, nicht wahr, aber jetzt bin ich im mindestens so revolutionären Odenwald, und inzwischen ist urban-knitting auch hier angekommen. Ganz aktuell in Adelsheim, einem winzigen Städtchen hier in der Region.
Monatelang haben Dutzende Frauen und Männer gestrickt und gehäkelt und gefilzt, damit sich ihr Adelsheim für einen Tag in ein wollenes Gesamtkunstwerk verwandelt. Die Leute, so hatte man den Eindruck, hatten nichts mehr anderes im Sinn als stricken, häkeln, filzen. Mehr als 100 Objekte sind so entstanden in dem klitzekleinen Ortskern. Ein Städtchen im Handarbeitsausnahmezustand. Und weil es in Adelsheim auch Flüchtlinge gibt, haben die gleich munter mitgestrickt; und die schweren Jungs aus der JVA sowieso, wochenlang, die sind eigentlich immer überall dabei in Adelsheim, jugendliche Dealer, Schläger, Mörder, auf dem Weg der Besserung, diesmal mit dem knast-internen Häkel- und dem Bastelkurs. Eine Betreuerin macht Fotos von den Menschenmassen und dem Andrang, die will man später dann den Knackis zeigen, damit sie auch was davon haben.
Weltpolitische Aussagen, feministische Parolen oder Kampfansagen gegen TTIP und dergleichen sucht man hier vergebens, für einen Moment könnte man sich einbilden, alles sei gut auf dieser Welt, die Strickwaren an Geländern, Bänken und Laternenmasten, das Gehäkelte in Schaufenstern und rund um Bäume leuchten bunt gegen den grauen Nachmittag an, einfach so, nur zum Vergnügen, als gemeinschaftliches Gesamtkunstwerkprojekt zur Verschönerung der eigenen Gemeinde. Die Besucher drängen sich im kleinen Städtchen, machen Fotos mit dem Händi, ein Fernsehteam ist da und dreht, es gibt Maultaschen, Bratwurst, Kaffee, Kuchen.
Wir essen ein belegtes Brötchen aus der Hand, sagen im Gedränge hier Hallo und da Hallo, reden mit den Strickern und den Leuten aus der JVA, gehen über den selbstgestrickten Zebrastreifen zurück zum Auto und fahren dann nach Hause. Und denken noch ein bißchen darüber nach, wie man mit ein paar albernen Strick- und Häkelnadeln und ein bißchen Wolle soetwas wie Heimat, Identität und Gemeinsinn basteln kann.
Mal ehrlich, wenn ich sowas seh denke ich, hätten die nicht gescheiter Socken, Mützen,
Handschuhe und Schals Stricken können???? Die Asylanten hätten sich gefreut….
Ich denke, man kann davon ausgehen, dass sich ein gutteil dieser Leute ohnehin noch nebenher an vielen Stellen ehrenamtlich engagiert, ob nun mit Flüchtlingen oder sonstwie – insofern gönnen wir Ihnen doch mal diesen Spaß.
…. oder auch „meine“ babys in guatemala – aber das nur am rande –
danke das du dich hier zu dieser meinungsäußerung traust.
ich bleibe dabei, dass diese „verschönerung“ eine absolute wollverschwendung ist. dazu habe ich im übrigen auch schon geschrieben. noch ganz zu schweigen davon, wie manche – meist billige – wolle hergestellt wird, auf kosten der schafe. bei teurer wolle möchte ich hier über sinn und unsinn erst recht nicht weiter nachdenken. ob da wirklich alles gut ist auf dieser welt?
zur verschönerung reicht eben manchmal auch ein guerillagardeningeinsatz oder ein topf farbe. es ist kaum zu glauben, wie man sich damit künstlerisch austoben kann und auch spass an heimat, identität und gemeinsinn finden kann.
liebe grüsse
d.
Ich finde persönlich sehr schön und kreativ! Meinst du , die Flüchtlinge würden es schätzen, wenn man so was als Handarbeit für die herstellt? Man muss aufpassen, daß es nicht auf die Gleise oder Müll landet… Perlen vor die Säue werfen…
So sinnvoll kann *sinnlose Kunst* sein – ich finds super!
Schön. Ich finde so was trotz des Anklanges an „Bionade-Biedermeier – ist eben leider, zumindest bei uns, negativ behaftet, schade eigentlich – immer ganz interessant. Auch, dass so viele verschiedene Gruppen bei euch mitgestrickt haben, das kann man ja auch als Therapie (Ergo-, oder wie auch immer) sehen, ein Bekannter von mir hat angefangen zu stricken als er von seinem Suchtmittel abstinent wurde. Er bestrickt jetzt alle möglichen Leute (auch einen Teil „unserer“ Flüchtlinge) mit Pullis, Mützen, Schals, Socken, Handschuhen und Babysachen. Ich selber stricke aus physischen Gründen nicht auf Nadel sondern Rahmen (das ist eine eigenständige Disziplin) und habe das System einer Flüchtlingsfrau, die Interesse hatte auf einem selbstgebautem Rahmen beigebracht. Wir wollen zusammen (möglichst mit anderen) eine große Decke machen. So eine Art Quilt, der im weitesten Sinn ein Kunstobjekt werden soll, für eine Reihe, die kuratiert wird als bildliche Umsetzung deutscher Sprichwörter. Bei uns ist dann eben „Alle unter einer Decke“, was man ja auch positiv als „Alle halten zusammen“ sehen kann.
Jetzt versuche ich es noch mal, hier einen Kommentar zu hinterlassen…
Mir gefallen die bunten kreativen Fadenwerke, sehr sogar. Auch, wenn man aus dem Garn vielleicht etwas „Sinnvolleres“ hätte machen können. Aber etwas Freude und Spaß im Leben sollte doch auch sein, gerade in heutigen Zeiten…
Bei Bild 1 kriege ich einen nassen Bobbes.
eine super aktion! ich finde es toll, dass diese menschen etwas für sich selbst und ihre (dorf/stadt)gemeinschaft getan haben. denn nur wenn da noch was läuft, das zusammenleben gut funktoniert, können wir das auch weitergeben!
am allerbesten finde ich den humor, der in der sache steckt und wie selbstironisch die jva´ler diese aktion bereichert haben. RESPEKT IHR LEUTE IN ADELSHEIM!
Hallo,
danke für den kurzweiligen Beitrag.
Über Kunst kann man und auch frau sich bekanntlich immer streiten. Kunst soll Aufmerksamkeit und zum Gespräch anregen. Gelungen, wie ich finde.
Die Objekte, die du gezeigt hast, sind auch wunderbar farbenfroh bei dem heutigen Wetter ein wundervoller Farbklecks.
Viele Grüße
Jana
Es ist wundervoll wenn Menschen das Leben mal nicht soooo furchtbar ernst nehmen und einfach was Lustiges machen. Sinn-oder nicht sinnvoll.
Ich wäre wohl nicht 92 Jahre alt geworden wenn ich alles so spiessig sehen würde.
Zweiundneunzig????
Genau, 92 oder zweiundneunzig. Wie es beliebt. Ich hoffe ich muss mich jetzt nicht dafür entschuldigen. Hab schon eine Weile hier mitgelesen und finde es sehr nett.
;-)
ein herrlicher augenschmaus :-)
COOL! (OK, den Ausdruck benutze ich sonst nicht, ich schwöre). Ich überleg grad, wie mein Auto so eingestrickt aussähe – das ist heute zwanzig Jahre zugelassen und könnte eine Hülle brauchen.
Dame Helene: „Ich wäre wohl nicht 92 Jahre alt geworden wenn ich alles so spiessig sehen würde.“
Ich bin ganz sicher, du könntest mir mit Leichtigkeit was vormachen. Weiter so!
Klasse Beitrag zu der Kunstaktion!
Die Diskussion ob Sinnvoll oder Nicht, kann ich nicht nachvollziehen.
Meistens wurde bei gemeinsamen Treffen gestrickt, so kamen Leute zusammen die sich vorher nicht kannten und es entstanden neue Bekanntschaften.
Im übrigen haben sich auch Asylanten an der Aktion beteiligt, sie haben haben, durch das Stricken neue Kontakte und auch Freundschaften in der Stadt knüpfen konnten. Die Schulen und Kindergärten waren beteiligt, Vereine und die JVA. Also ein Projekt an dem die ganze Stadt beteiligt war, so entstand ein Gemeinschaftsgefühl, das es in manchen Städten odern Dörfern nicht mehr gibt.
Ein großes Lob an alle Stricker und Strickerinnen.
Weitere Bilder:
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Ps: Ein Großteil der Strickkunst ist bis Januar 2016 in der Stadt zu besichtigen