Jetzt hatte ich doch eigentlich noch ein bißchen ablästern wollen. Über die Provinz am Bodensee. Die sich für ach so weltstädtisch hält. Die in Gestalt von graumelierten Herren in knallroten Hosen und quietschgrünen Designersteppwesten vormittags in den Gassen am Ufer sitzt, bei Mario, und bei einem Glas Prosecco die Weltenlage diskutiert.
Über die solar- und kanarengebräunten Frauen mit den eckigen Designerbrillen und den Pelzkrägelchen, die stöckelnd ihre schicken Einkaufstüten vor sich hertragen und bussibussi machen, wenn sie ihresgleichen treffen. Du, sagste dem Rudi einen gaaanz lieben Gruß von mir!, rufen sie über den Parkplatz, bevor sie in den cremefarbenen Mini-Cooper steigen. Die reiche Uferschickeria.
Das ist die wirkliche Provinz, denkt da die selbsternannte Landpomeranze in mir, und oh, nee, wie peinlich provinziell, die arrogante Stimme aus Berlin. Am See wimmelt es von diesen Leuten. Sie haben viel Geld verdient bei den ansässigen HighTech-Firmen (nein, wir sagen hier jetzt nicht: Rüstungszulieferern) und genießen nun den wohlverdienten Ruhestand in ihrer zum Kotzen schönen kleinen Welt.
Aber mit dem Lästern ist das ja so eine Sache. GottseiDank. Ich habe mich eines Besseren belehren lassen müssen.
Die Leute hier sind sich ihres Wohl-Standes bewußt, erfahre ich beim Kaffee. Die wissen, wie gut es Ihnen geht, und sie geben gerne etwas ab.
Der Südkurier berichtet von zahlreichen Privatleuten, die aktuell Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung stellen wollen, weil in den offiziellen Heimen viel zu wenig Platz ist. Von den feinen Serviceclubs, die Geld für die Asylbewerber sammeln, mal eben 2300 Euro für Deutschkurse. Von Fahrrädern, die für die Flüchtlinge organisiert werden, damit der Weg in die Stadt ein bißchen kürzer wird. Von Buddelkästen und Spielzeug für die Kinder in den tristen Unterkünften.
Liebe reiche Bodenseeer, sorry, daß ich Euch offenbar ganz falsch eingeschätzt habe. Sorry, daß ich einmal mehr tief in die Klischeekiste greifen wollte. Genießt Ihr Euren Prosecco am Ufer, Euren Mini cooper und den Jaguar, und laßt es beim Shoppen richtig krachen. Wenn das Euer Motto ist: das eine tun, das andere nicht lassen, dann ist das großartig. Und alles andere als provinziell. Vielleicht kann man sich andernorts davon eine Scheibe abschneiden. Ich werde zusehen, was ich machen kann.
Halte ansonsten beschämt mein Lästermaul und ziehe meinen Hut.
Es wird noch komplizierter. Viele von den beschriebenen bizzeltrinkenden Herrschaften, ich möchte fast sagen, die meisten, sind gar keine Einheimischen, sondern brave Bezahler der Zweitwohnungssteuer, die übrigens auch hier erfunden wurde. Was kein Zufall ist. Ich behaupte natürlich nicht, dass die alle aus der Landeshauptstadt stammen. Ich hab nämlich auch keine Vorurteile.
Ich sitze gerade an Post für Sie.
Aber vielleicht ist das auch egal. Wenn die mit anpacken.
Völlig egal. Das ist ja herrlich, wie man da die vorurteile über Bord werfen muß!
Jetz hab ich’s wohl zu sehr verkompliziert. Ich behaupte dennoch, dass die meisten dieser dauerurlaubenden Eigentumswohnungsbesitzenden sich in die kommunalen Belange nicht mehr einbringen, als die ortsansässige Gastronomie und Boutiquenlandschaft zu subventionieren. Belegen kann ich das nicht. Ich täusche mich aber gerne.
Soll heißen, die, die sie da gesehen haben, sind nicht die mit den Fahrrädern. So, und jetzt halte ich die Klappe.
Verstehe. Aber es engagieren sich wohlhabende Leute am feinen bodensee, Serviceclubs zum beispiel, das reicht schon, um mich an das Gute im Menschen glauben zu lassen. Den bericht aus dem südkurier täte ich hierzulande gerne öfter lesen. Am anderen Ende der Republik schmeißen sie schon wieder Brandsätze, lese ich eben.
Ich pflege meine Urteile gerne weiter: Die haben zu viel Geld, da wird immer auf den gleichen Haufen geschissen, vom Geldteufel, und die machen super PR für sich, wenn sie mal was Gutes tun, Fahrräder und so. Meine Ideen hier heißen eher Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer, überhaupt Steuern. Als Bürgerin möchte ich die Sozialfürsorge nicht der Freiwilligkeit der Reichen überlassen. Statt Almosen zu verteilen sollten die Damen und Herren mal politisch Druck machen.
Ne. Das ist nicht so. Die sind nicht reich. Und die helfen. Solange es kein Staat tut.
Naja, die Damen von Soroptimist zum Beispiel sind schon irgendwie reich. Und trommeln mal rasch 2300 Euro zusammen. Und ich finde das gut. Aber ansonsten geht die Diskussion vielleicht ein bißchen durcheinander, weil ich im Beitrag Reiche und Reiche in einen Topf geworfen habe. ;-) (So gesehen sind wir aber alle ziemlich reich.)
Ihr habt ja alle recht, @wiesel und @ele, aber einerseits sind es doch offenbar eher die „unauffällig“ Reichen, die hier helfen (und nicht die Schickeriaschickies, die ewig am Ufer sitzen und Prosecco trinken, berichtigt mich jedenfalls Frau Montez), und andererseits ist mir derzeit alles lieber als unterirdischdämliche Hetze (wie man sie allenthalben liest), oder gar fliegende Brandsätze. Sollen die Leute doch helfen und sich schick dabei fühlen (wenn es das tatsächlich ist). Daß es an anderer Stelle im System ganz gewaltig schief läuft, keine Frage. Das eine ist aber ein grundsätzliches Thema, das angegangen werden muß, und das andere ist die Frage nach dem Hier und Jetzt. Und da ist mir an guten Taten ehrlich gesagt nix zuviel.
Weil ich nicht lästern möchte, hinterlasse ich an dieser Stelle nur gaaaanz liebe Grüße, sattle meinen, öh, Cooper und düse mal eben schnell an die Bergstraße zum Shoppen. Die Tüten mit den ausgemusterten, aus Umzugskisten geklaubten, leicht müffeligen Klamotten spende ich unterwegs dem Sozialkaufhaus. Hach, was werde ich mich wieder großartig fühlen nach dieser guten Tat. Unter uns gesagt: Gut zu sein tut sooo gut und gar nicht weh.
Gaaaanz dolles Bussi
Ele
;)
PS: Nein, ich lästere nie …
Ja. Schwarz und Weiss ist die Welt.
Mir kommt das sehr merkwürdig vor. Ja, Friederike hat recht, reich sein ist relativ. Ich würde diese Leute, von denen ich ein paar persönlich kenne, bestenfalls als wohlhabend, in den meisten Fällen als Normalbürger bezeichnen. Fest steht doch aber, dass sie sich nicht feindseelig, egozentrisch und iggnorant verhalten. Sondern irakischen Kindern bei den Hausaufgaben helfen. Ein unbenutztes Fahhrad abgeben. Sich für den Bau eines Sandkasten einsetzen. Und dann macht man ihnen die Kröten auf ihrem Konto zu Vorwurf? Und wenn sie sich gut fühlen: Umso besser! Da bin ich ganz bei unserer Autorin.
Ja, war ein bisschen ungenau aus der Hüfte geschossen, mein Kommentar, ich kenne die Leute ja gar nicht. Dafür kenne ich reiche Leute, die ein ganz schön differenziertes, auch tatkräftiges politisches Bewusstsein haben. Also nix für Ungut, da unten in den Südstaaten. Mein Einwurf kann vielleicht trotzdem als provokativ gewertet werden, um nicht zu vergessen, dass hier politische Lösung notwendig sind, keine caritativen. Caritative Reaktionen sind dabei trotzdem wichtig und (natürlich) auch willkommen.
Ich versuche seit längerer Zeit Vorurteilsfrei zu leben, man verschwendet daran viel zu viel Gedanken, wo Frau doch andres tun könnte. Leben und Leben lassen, tun und tun lassen, jedem so wie wer will und man erlebt plötzlich was ganz andres, so wie du es nun letztendlich auch erkannt hast.
Ohne Vorturteile sieht die Welt so ganz anders aus und wir werden nicht
mit Vorurteilen geboren, die erziehen wir den Kindern an weil wir Erwachsenen immer meinen Urteilen zu müssen. Wir hatten am Freitag bei einem Abendessen auch die Asyl debatte , weil wir plötzlich zu den 80 Asylbewerben nun mal so schnell in den nächsten Wochen zusaätzlich 60
aufnehmen müssen,mei, denen hab ich den Wind aus den Segeln genommen.
Die Urteilten plötzlich über Menschen die fliehen müssen, nicht das sie
das einfach so wollen, es geht ums nackte Überlegen und da haben Voruteile einfach keinen Platz und ich finde es gut, dass die, die
es haben teilen, abgeben, wir bilden Vorurteile und wissen gar nicht,
wie gutmütig und spendabel auch die angeblich Reichen sein können.
Vorturteile eben, sollte man zum Unwort des Jahres erklären, oder nicht.
Ich halte mich öfters am Bodensee auf, aber so kam mir die Menschheit
dort noch nie rüber, auch nicht als ich noch Vorurteile hatte.
Das ist eine schwierige Übung, dies abzulegen, ertappe mich auch noch
oft dabei, weil man eben so erzogen wird und so aufwächst, aber darin
Zeit zu investieren lohnt sich.
Man sollte sich das Video vom Pinguin vom E. HIrschhausen mal ansehen,
da geht es genau um das.
In diesem Sinne…